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Autor Thema: EuGH C-489/07 - Nutzungsmöglichkeit im Fernabsatz nicht kostenpflichtig  (Gelesen 903 mal)

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Diese ältere Entscheidung beruht auf einer Vorlage des Amtsgerichtes Lahr, betrifft letztlich also Deutschland; darin ging es um die Rücksendung von Waren, die via Fernabsatz bezogen worden sind. Vielleicht sind Teile daraus auf die Belange zwischen Rundfunkunternehmen und Verbraucher*innen übertragbar, da auch hier freilich eine Art Fernabsatz von Dienstleistungen besteht?

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
3. September 2009(*)

„Richtlinie 97/7/EG – Verbraucherschutz – Vertragsabschlüsse im Fernabsatz – Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher – Dem Verkäufer zu zahlender Wertersatz für die Nutzung“

In der Rechtssache C-489/07

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=73082&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=10256478

Zitat
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Verkäufer vom Verbraucher für die Nutzung einer durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekauften Ware in dem Fall, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht fristgerecht ausübt, generell Wertersatz für die Nutzung der Ware verlangen kann.

Diese Bestimmungen stehen jedoch nicht einer Verpflichtung des Verbrauchers entgegen, für die Benutzung der Ware Wertersatz zu leisten, wenn er diese auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat, sofern die Zielsetzung dieser Richtlinie und insbesondere die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf nicht beeinträchtigt werden; dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts.

Die Aussage im Titel geht so direkt aus dem Leitsatz hervor, denn nur eine nicht auf Treu und Glauben basierende Nutzung darf überhaupt im Falle einer Rücksendung mit Kosten belegt werden, die die bloßen Kosten für die Rücksendung übersteigen.

Rn. 19
Zitat
In diesem Zusammenhang ergibt sich aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7, dass dieses Verbot, dem Verbraucher andere Kosten als die der unmittelbaren Rücksendung der Waren aufzuerlegen, gewährleisten soll, dass das in dieser Richtlinie festgelegte Widerrufsrecht „mehr als ein bloß formales Recht“ ist. Wäre dieses Recht nämlich mit negativen Kostenfolgen verbunden, könnte dies den Verbraucher davon abhalten, von diesem Recht Gebrauch zu machen.

Rn. 22
Zitat
Insoweit ist festzustellen, dass die generelle Auferlegung eines Wertersatzes für die Nutzung der durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekauften Ware mit den genannten Zielen unvereinbar ist.

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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
VERICA Trstenjak
vom 18. Februar 2009(1)
Rechtssache C-489/07

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=74207&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=10256478

Zitat
52.      Allein die Abgrenzung zwischen „Probe“ und „Nutzung“ reicht jedoch nicht aus. Auch der Begriff der „Nutzung“ ist zu hinterfragen. Geht es um tatsächliche Nutzung (in Stunden oder Tagen), oder reicht bereits die Nutzungsmöglichkeit (Zeitspanne zwischen Erhalt und Rückgabe der Sache)? Kann also der bloße Besitz der Ware während des Laufs der Widerrufsfrist eine ersatzpflichtige Nutzung darstellen(35) (was praktisch auf eine nachträgliche Leihgebühr hinausliefe)? Ist sodann jegliche tatsächliche Nutzung zu vergüten (was ebenfalls praktisch auf eine nachträgliche Leihgebühr hinausliefe) oder nur diejenige, die Spuren der Abnutzung hinterlassen hat? Der „Wertersatz für Nutzung“ kann aus meiner Sicht – vergröbert dargestellt – zum Ausgleich von zwei grundsätzlich verschiedenen, dennoch eng miteinander verbundenen Vermögenspositionen gedacht sein. Einerseits kann es sich um den Ausgleich des Vorteils handeln, den der Verbraucher durch die Nutzung erlangt hat (Nutzungswertersatz). Andererseits kann der Wertersatz jedoch auch auf eine Entschädigung für durch die Nutzung entstandene Schäden abzielen (Abnutzungswertersatz).

Zitat
77.      Insbesondere die strukturelle Gefahr eines eventuellen (Rechts?)Streits darüber, ob der Verbraucher die Sache nur auf ihre Tauglichkeit für seine Zwecke hin überprüft oder darüber hinaus Nutzungen (gegebenenfalls welche) aus ihr gezogen hat(60), könnte den Verbraucher davon abhalten, seine Rechte wahrzunehmen. Einerseits könnte es ihn in der Praxis bereits vorsorglich davon abhalten, eine tatsächliche Überprüfung der Ware vor Rücksendung vorzunehmen, z. B. durch Zerreißen einer schützenden Plastikfolie. Denn eine unversehrte Plastikschutzfolie dokumentiert eindeutig Nichtnutzung, aber sie verhindert auch das Ansehen und Prüfen der Ware. Andererseits könnte er Abstand davon nehmen, den Vertrag zu widerrufen, wenn er feststellt, dass die Ware nicht seinen Vorstellungen entspricht oder nicht für seine Bedürfnisse geeignet ist. Unter diesen Umständen würde das Recht des Verbrauchers, die Ware nach Vertragsschluss überprüfen zu können, entgegen dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 zu einem bloß formalen Recht verkommen. Dies würde dem Sinn und Zweck der Richtlinie 97/7 widersprechen.

Zitat
88.      Das von der Kommission vorgebrachte Argument ( 87 ), dass in manchen Fällen die Grenze zu ungerechtfertigter Bereicherung überschritten sein könnte, beispielsweise wenn eine Ware für einen speziellen Anlass im Fernabsatz bestellt und nach der anlassbezogenen Benutzung unter Widerruf des Vertrags wieder zurückgeschickt wird ( 88 ), kann nicht dafür herangezogen werden, eine alle Verbraucher belastende generelle Kostenregelung zu treffen.

Zitat
89.      Wie bereits oben ausgeführt, lässt die Richtlinie keinen weiteren Raum für mitgliedstaatliche Kostenregelungen zulasten des Verbrauchers, die nicht die in der Richtlinie ausdrücklich genannte Rücksendung der Ware betreffen. Insoweit sind die Regelungen der Richtlinie 97/7 als abschließend zu betrachten.

Zitat
90.      Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Befürchtung eines Missbrauchs durch Einzelne generell nicht dazu führen darf, den Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte für alle einzuschränken. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs(89) darf die Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift zur Vermeidung von Missbräuchen nicht die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Insbesondere dürfen nicht die Zwecke vereitelt werden, die mit einer bestimmten gemeinschaftsrechtlichen Regelung, beispielsweise einer bestimmten Richtlinie, verfolgt werden(90).


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Das Thema mal hochgeholt und folgende Aussage des BVerfG aus der letzten Rundfunkentscheidung eingefügt

BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018
- 1 BvR 1675/16 -, Rn. 1-157,

http://www.bverfg.de/e/rs20180718_1bvr167516.html

Zitat
1. [...] Der mit der Erhebung des Rundfunkbeitrags ausgeglichene Vorteil liegt in der Möglichkeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzen zu können.

Unstreitig erfolgen Angebot und Finanzierung des dt. ÖRR via Fernabsatz?

Wie kann es dann mit dem Unionsrahmen vereinbar sein, daß die bloße Möglichkeit der Rundfunknutzung kostenpflichtig sein soll?

Immerhin könnte doch dann, auch wenn es vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist, wenn die Bürger*innen auf die Angebote des ÖRR mit der Leistung des Rundfunkbeitrages reagieren, stillschweigend ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen LRA und Bürger*in zustande kommen?

Unionsrechtlich wurde ich dazu noch nicht fündig, ob sich ein Vertrag durch schlüssiges Handeln begründen läßt, wo er gesetzlich nicht vorgesehen ist.


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