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Autor Thema: EuGH - C-484/15 - Begriff "Unbestrittene Forderung"  (Gelesen 713 mal)

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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
9. März 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 805/2004 – Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen – Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel – Begriff ‚Gericht‘ – Notar, der auf der Grundlage einer ‚glaubwürdigen Urkunde‘ einen Vollstreckungsbefehl ausgestellt hat – Öffentliche Urkunde“

In der Rechtssache C-484/15

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=188746&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=6637950

Auch wenn es in der Entscheidung zwar unionsländerübergreifende Forderungen geht, lassen sich daraus u. U. für rein nationale Forderungen entsprechende Schlüsse ziehen, denn das Unionsrecht ist im Rahmenkontext betreffs der Belange der "Unternehmen im Sinne des Unionsrechts" berührt.

Rn. 32
Zitat
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontexts der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. Urteil vom 13. Oktober 2016, Miko?ajczyk, C-294/15, EU:C:2016:772, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Rn. 33
Zitat
Zum Aufbau der Verordnung Nr. 805/2004 ist festzustellen, dass darin zwar an mehreren Stellen auf die Begriffe „Gericht“ und „gerichtliches Verfahren“ Bezug genommen wird, doch werden sie nicht konkretisiert. In Art. 4 Nr. 6 der Verordnung wird der Begriff „Ursprungsgericht“ definiert als „das Gericht, das mit dem Verfahren zum Zeitpunkt der Erfüllung der Voraussetzungen nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstaben a), b) … und c) befasst war“. Nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung ist unter dem Begriff „Entscheidung“ „jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung“ zu verstehen.

Rn. 35
Zitat
Ferner ist festzustellen, dass die Verordnung Nr. 805/2004 – anders als z. B. die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107), nach deren Art. 3 Abs. 2 der Begriff „Gericht“ im Sinne dieser Verordnung nicht nur Gerichte, sondern auch alle sonstigen Behörden mit Zuständigkeiten in diesem Bereich einschließt, die gerichtliche Funktionen ausüben und gewisse in dieser Bestimmung genannte Anforderungen erfüllen – keine mit einer solchen Wirkung ausgestattete allgemeine Bestimmung enthält.

Rn. 47
 
Zitat
Gemäß Art. 12 der Verordnung Nr. 805/2004 kann eine Entscheidung über eine unbestrittene Forderung im Sinne ihres Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c aber nur dann als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, wenn das gerichtliche Verfahren im Ursprungsmitgliedstaat den Mindestvorschriften in Kapitel III der Verordnung genügt hat.

Rn. 48
Zitat
Art. 16 der Verordnung sieht, im Licht des zwölften Erwägungsgrundes der Verordnung betrachtet, vor, dass der Schuldner „ordnungsgemäß“ zu unterrichten ist, damit er seine Verteidigung vorbereiten kann, und gewährleistet damit den kontradiktorischen Charakter des Verfahrens zur Ausstellung des Vollstreckungstitels, der wiederum zur Ausstellung einer Bestätigung führen kann. In diesen Mindestvorschriften kommt die Absicht des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, dafür Sorge zu tragen, dass die Verfahren, die zum Erlass von Entscheidungen über eine unbestrittene Forderung führen, hinreichende Garantien für die Wahrung der Verteidigungsrechte bieten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juni 2016, Pebros Servizi, C-511/14, EU:C:2016:448, Rn. 44).

Rn. 49
Zitat
Ein innerstaatliches Verfahren zum Erlass eines Vollstreckungsbefehls, bei dem das verfahrenseinleitende oder ein gleichwertiges Schriftstück dem Schuldner nicht zugestellt und er in diesem Schriftstück nicht über die Forderung unterrichtet wird, so dass er erst zum Zeitpunkt der Zustellung des Vollstreckungsbefehls von der geltend gemachten Forderung Kenntnis erlangt, kann aber nicht als kontradiktorisch eingestuft werden.

Rn. 52
 
Zitat
Art. 3 („Vollstreckungstitel, die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden“) der Verordnung regelt, unter welchen Voraussetzungen eine Forderung als unbestritten gilt, und unterscheidet dabei zwischen den in Abs. 1 Buchst. a bis c genannten Forderungen, die in einem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurden, und den von Abs. 1 Buchst. d erfassten Forderungen, die der Schuldner ausdrücklich in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat.

Rn. 54
Zitat
Nach Art. 4 Nr. 3 der Verordnung ist eine „öffentliche Urkunde“ ein Schriftstück, das als öffentliche Urkunde aufgenommen oder registriert worden ist, wobei sich die Beurkundung auf die Unterschrift und den Inhalt der Urkunde bezieht und von einer hierzu ermächtigten Stelle vorgenommen worden ist, oder eine vor einer Verwaltungsbehörde geschlossene oder von ihr beurkundete Unterhaltsvereinbarung oder -verpflichtung.

Rn. 56
 
Zitat
Im Einklang mit dem fünften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 805/2004 sieht deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. d nämlich vor, dass eine öffentliche Urkunde nur dann als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden kann, wenn der Schuldner die Forderung in dieser Urkunde ausdrücklich anerkannt hat.

Zitat
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen ist dahin auszulegen, dass in Kroatien Notare, die im Rahmen der ihnen durch die nationalen Rechtsvorschriften in Zwangsvollstreckungsverfahren übertragenen Befugnisse auf der Grundlage einer „glaubwürdigen Urkunde“ tätig werden, nicht unter den Begriff „Gericht“ im Sinne dieser Verordnung fallen.

2.      Die Verordnung Nr. 805/2004 ist dahin auszulegen, dass ein von einem Notar in Kroatien auf der Grundlage einer „glaubwürdigen Urkunde“ erlassener Vollstreckungsbefehl, gegen den kein Widerspruch eingelegt wurde, nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden darf, sofern er sich nicht auf eine unbestrittene Forderung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung bezieht.

Es genügt also nicht, einfach eine Forderung zu erheben; es bedarf der ausdrücklich gerichtlichen Bestätigung dieser Forderung oder der ausdrücklichen Anerkennung der Forderung durch den Schuldner.

Es wäre insofern sehr fraglich, daß Forderungen eines "Unternehmens im Sinne des Unionsrechts" unionsrechtlich anerkannt würden, wenn die vom Unionsrecht aufgestellte gerichtliche Bestätigung oder das Anerkenntnis durch den Schuldner nicht vorliegt.

Die Verordnung, auf die sich in der Entscheidung berufen wird:

Konsolidierter Text: Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A02004R0805-20081204&qid=1622095359639

Knifflig wird das in Belangen des Anwendungsbereichs:

Zitat
Artikel 2
Anwendungsbereich


(1)  Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten sowie die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte („acta jure imperii“).

[...]

Der Rundfunkbeitrag ist zwar als "Abgabe" klassifiziert, die zudem zugunsten eines "Unternehmens im Sinne des Unionsrechts" geleistet wird; ein "Unternehmen im Sinne des Unionsrechts" handelt aber gegenüber Verbrauchern weder "hoheitlich", noch "verwaltungsrechtlich".

Die von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die ja als "Unternehmen im Sinne des Unionsrechts" klassifiziert sind, ausgestellten Dokumente erfüllen in Belangen aller rundfunkfernen Personen nicht die unionsrechtlichen Anforderungen an "Titel" im Sinne des Vollstreckungsrechts, da sie weder im Gerichtsweg entstanden sind, noch die unionsrechtlich notwendige Zustimmung der rundfunkfernen Person enthalten.

Weiterführend könnten sein:

BGH KZR 31/14 - Dt. ÖRR = Unternehmen im Sinne des Kartellrechts
https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,33155.msg202828.html#msg202828

EuGH C-349/18 -> Kein Verwaltungsrecht zw. Unternehmen und Verbraucher anwendbar
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=32558.0

EuGH C-206/06 - Zwangsabgabe ->Keine Verbr.-pflicht z. Übn. marktunübl. Kosten
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35292.0

EuGH C-706/17 - Zwangsabgabe immer staatl. Mittel -> Staatl. Beihilfe
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35258.0

EuGH C-922/19 - Begriff "Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung"
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35073.0

EuGH C-562/19 P - Nat. Steuer muß dem Unionsrecht entsprechen
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35031.0

EuGH C-87/19 - Rundfunk >Einhaltung Art. 10 EMRK und Art. 11 GrCh essentiell
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=33292.0


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