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Autor Thema: EuGH C-896/19 - Begriff "Unabhängiges Gericht"  (Gelesen 1143 mal)

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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
GERARD HOGAN
vom 17. Dezember 2020(1)

Rechtssache C-896/19
http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=freiheit&docid=235729&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=6948363#ctx1


Zitat
53.  Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde nämlich die Wendung „auf Gesetz beruhendes Gericht“ in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eingefügt, um sicherzustellen, dass die Organisation des Justizsystems nicht ins uneingeschränkte Ermessen der Exekutive gestellt ist, sondern dass die Einrichtung des Gerichtssystems und die Richterernennung auf geeigneter gesetzlicher Grundlage beruhen. Es steht daher außer Zweifel, dass das Recht, von einem „auf Gesetz beruhenden“ Gericht im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK abgeurteilt zu werden, schon seinem Wesen nach das Verfahren zur Ernennung der Richter umfasst (23). In der Praxis sind die durch nationale Gesetze insoweit auferlegten Ermessensbeschränkungen allerdings zumeist auf Angelegenheiten wie die Ernennungsvoraussetzungen, die Beförderung innerhalb des Gerichtssystems und Altersgrenzen begrenzt.

60.      Ein Großteil dieser Rechtsprechung ist in den Urteilen „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ und A. K. u. a. gefestigt und zusammengefasst worden, so dass es hier genügen mag, einfach den vom Gerichtshof in den beiden genannten Urteilen entwickelten Begriff der Unabhängigkeit zu prüfen. Ich schlage vor, zunächst das Urteil A. K. u. a. zu betrachten.

61.      In seinem Urteil A. K. u. a. hat der Gerichtshof Folgendes ausgeführt:

„123      Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C-216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie [„Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“], Rn. 74).

124      Im Übrigen ist nach dem für einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2016, Poltorak, C-452/16 PPU, EU:C:2016:858, Rn. 35).

125      Insoweit sind die betreffenden Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, zu schützen. Die in Rn. 123 des vorliegenden Urteils angeführten Vorschriften müssen es insbesondere ermöglichen, nicht nur jede Form der unmittelbaren Einflussnahme in Form von Weisungen auszuschließen, sondern auch die Formen der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der betreffenden Richter geeignet sein könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil [„Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“], Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung).



127      Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt es für die Frage, ob ein Gericht als ,unabhängig‘ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen ist, u. a. auf die Art und Weise der Berufung und die Amtszeit seiner Mitglieder, das Bestehen von Schutz gegen die Ausübung von Druck von außen und darauf an, ob es den Eindruck von Unabhängigkeit vermittelt (EGMR, 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, § 144 und die dort angeführte Rechtsprechung), wobei zu diesem letzten Punkt klargestellt wird, dass es um das Vertrauen selbst geht, das jedes Gericht in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss (vgl. in diesem Sinne EGMR, 21. Juni 2011, Fruni/Slowakei, CE:ECHR:2011:0621JUD000801407, § 141).



129      Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt entschieden hat, sind die Begriffe der Unabhängigkeit und der objektiven Unparteilichkeit eng miteinander verknüpft, was ihn in der Regel dazu veranlasst, sie zusammen zu prüfen (vgl. u. a. EGMR, 6. Mai 2003, Kleyn u. a./Niederlande, CE:ECHR:2003:0506JUD003934398, § 192 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, § 150 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird bei der Entscheidung, ob Anlass zu der Befürchtung besteht, dass die Erfordernisse der Unabhängigkeit oder objektiven Unparteilichkeit in einem bestimmten Fall nicht erfüllt sind, der Standpunkt einer Partei zwar berücksichtigt, spielt aber keine entscheidende Rolle. Entscheidend ist, ob die Befürchtungen als objektiv gerechtfertigt angesehen werden können (vgl. u. a. EGMR, 6. Mai 2003, Kleyn u. a./Niederlande, CE:ECHR:2003:0506JUD003934398, §§ 193 und 194 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, §§ 147 und 152 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).“

62.      Im selben Urteil hat der Gerichtshof ferner ausgeführt, „dass der bloße Umstand, dass [bestimmte Richter] vom Präsidenten der Republik ernannt werden, keine Abhängigkeit von ihm schaffen oder Zweifel an der Unparteilichkeit [dieser Richter] aufkommen lassen kann, wenn diese nach ihrer Ernennung keinem Druck ausgesetzt sind und bei der Ausübung ihres Amtes keinen Weisungen unterliegen“(36). Der Gerichtshof hat allerdings darauf hingewiesen, dass „jedoch sicherzustellen [ist], dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten für den Erlass der Ernennungsentscheidungen so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen, sind die betreffenden Richter erst einmal ernannt, keine berechtigten Zweifel an deren Unempfänglichkeit für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen lassen“(37). Diesbezüglich müssen die genannten Voraussetzungen und Modalitäten u. a. so ausgestaltet sein, dass der Schutz der Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, sichergestellt ist(38).

Der Schlußantrag ist deswegen als Basis für dieses Thema gewählt, weil er 3 Entscheidungen des EGMR zitiert, der ebenfalls Gelegenheit hatte, sich mit dieser Thematik zu befassen.

- EGMR, 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, §§ 144, 147, 150, 152;
- EGMR, 6. Mai 2003, Kleyn u. a./Niederlande, CE:ECHR:2003:0506JUD003934398, §§ 192, 193, 194;
- EGMR, 21. Juni 2011, Fruni/Slowakei, CE:ECHR:2011:0621JUD000801407, § 141;

Entscheidend aus obigen Zitat wird folgende Aussage sein, siehe Hervorhebung in Blau:

Zitat
wobei zu diesem letzten Punkt klargestellt wird, dass es um das Vertrauen selbst geht, das jedes Gericht in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss

Das Gericht muß also den Eindruck erwecken, daß es unabhängig im Sinne des europäischen Rahmens handelt und selber das Vertrauen schaffen, das ihm entgegengebracht werden soll; das Gericht hat also kein "Grundrecht auf Vertrauen" und muß sich dieses selbst erarbeiten.

Eine Entscheidung des Gerichtshofes zu dieser Rechtssache hat es noch nicht.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 02. März 2021, 18:22 von pinguin«
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