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Autor Thema: EuGH C-54/17 - Begriff "Aggressive Geschäftspraxis"  (Gelesen 906 mal)

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Hinweis:
Im Sachverhalt geht es um "Unbestellte Waren und Dienstleistungen" und um "Aggressive Geschäftspraktiken"; beide Begrifflichkeiten sind für den Titel aber zu lang.

Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 31. Mai 2018.
Verbundene Rechtssachen C-54/17 und C-55/17.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A62017CC0054&qid=1604385500800

Zitat
62. Laut Art. 8 der Richtlinie 2005/29 ist eine Geschäftspraxis „aggressiv“, die unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Falls durch den Einsatz gewisser Mittel zu einem bestimmten Ergebnis führt.

Zitat
63. Dieses Ergebnis muss in einer tatsächlichen oder voraussichtlichen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers zum Ausdruck kommen, die so „erheblich“ ist, dass sie eine Entscheidung zur Folge hat oder haben kann, die er anderenfalls nicht getroffen hätte. Nach dieser Bestimmung muss dieses Ziel durch „Belästigung, Nötigung, einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt, oder durch unzulässige Beeinflussung“ erreicht worden sein.

Zitat
68. Die „aggressive Geschäftspraxis“ ist die, die unter Ausnutzung der unterlegenen Position, in der sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden befindet ( 29 ), und unter Ausnutzung einer rechtswidrig – durch Belästigung, Nötigung, Gewalt oder proaktive Beeinflussung -erlangten Machtposition die Freiheit des Verbrauchers beeinträchtigt, der zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wird, dem er ohne diesen rechtswidrigen Vorteil nicht zustimmen würde.

Zitat
69. Gerade weil der Abschluss eines Vertrags die Eingehung bestimmter Verpflichtungen mit sich bringt, die die Gegenpartei nach dem Gesetz rechtmäßig geltend machen kann, schützt die Richtlinie 2005/29 die Freiheit des Verbrauchers, informiert zu kontrahieren und ausschließlich die Verpflichtungen zu übernehmen, die er in Ausübung dieser Freiheit einzugehen bereit ist. Die Richtlinie schützt daher nicht vor den rechtlichen Verpflichtungen, die der Verbraucher bereits freiwillig eingegangen ist, sondern vor ihrer Eingehung infolge einer unlauteren Geschäftspraxis.

Zitat
70. Daher ist für die Feststellung, ob das Vorenthalten von Informationen über die Installation voreingestellter Dienste eine aggressive Geschäftspraxis darstellt, entscheidend, ob der Gewerbetreibende durch dieses Vorenthalten die Wahlfreiheit des Verbrauchers bis zu dem Punkt beeinträchtigt hat, dass er ihn gezwungen hat, vertraglichen Verpflichtungen zuzustimmen, denen er unter anderen Umständen nicht zustimmen würde.  [...]

Aus der Entscheidung des Gerichtshofes:

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
13. September 2018(*)
In den verbundenen Rechtssachen C-54/17 und C-55/17

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=205669&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=11379105

Leitsätze:
Zitat
1.  Der Begriff „unbestellte Waren oder Dienstleistungen“ im Sinne von Anhang I Nr. 29 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen dahin auszulegen, dass er ein Verhalten wie das in den Ausgangsverfahren fragliche umfasst, das darin besteht, dass ein Telekommunikationsanbieter SIM-Karten („Subscriber Identity Module“,Teilnehmer-Identifikationsmodul) vermarktet, auf denen bestimmte Dienste – wie Internetzugangs- und Mailbox-Dienste – vorinstalliert und -aktiviert sind, ohne dass der Verbraucher zuvor angemessen darüber aufgeklärt wurde, dass diese Dienste vorinstalliert und -aktiviert sind oder welche Kosten hierfür anfallen.

Es ist eine der Entscheidungen des Gerichtshofes, der vom Schlußantrag abweicht; nachstehende Zitate sind der darüber verlinkten Entscheidung des Gerichtshofes entnommen.

Rn. 42
Zitat
Anhang I Nr. 29 der Richtlinie 2005/29 bestimmt als aggressive Geschäftspraktik, die unter allen Umständen als unlauter gilt, insbesondere die „Aufforderung des Verbrauchers zur sofortigen oder späteren Bezahlung … von Produkten, die der Gewerbetreibende geliefert, der Verbraucher aber nicht bestellt hat (unbestellte Waren oder Dienstleistungen)“.

Rn. 39
Zitat
Insoweit ist zunächst unstreitig, dass die Ausgangsrechtsstreitigkeiten Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 betreffen und die fraglichen Dienste unter die Begriffsdefinition von „Produkt“ gemäß Art. 2 Buchst. c fallen.[...]

Rn. 43
Zitat
Eine „unbestellte Ware oder Dienstleistung“ im Sinne von Nr. 29 ist somit insbesondere ein Verhalten, das darin besteht, dass der Gewerbetreibende den Verbraucher zur Bezahlung einer Ware oder Dienstleistung auffordert, die er dem Verbraucher geliefert hat, die vom Verbraucher aber nicht bestellt worden ist.

Der "Verbraucher", wie er hier angenommen wird, entspricht dem "Durchschnittsverbraucher"; siehe nachstehende Rnn. 45 und 51:

Rn. 45
Zitat
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 8 der Richtlinie 2005/29 eine „aggressive Geschäftspraktik“ insbesondere dadurch definiert, dass sie die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Durchschnittsverbrauchers in Bezug auf ein Produkt tatsächlich oder voraussichtlich erheblich beeinträchtigt. Daraus folgt, dass die Inanspruchnahme eines Dienstes eine freie Entscheidung des Verbrauchers darstellen muss. Dies setzt insbesondere voraus, dass der Gewerbetreibende den Verbraucher klar und angemessen aufklärt (vgl. entsprechend Urteil vom 18. Oktober 2012, Purely Creative u. a., C-428/11, EU:C:2012:651, Rn. 53).

Rn. 51
Zitat
Zum anderen ist der Begriff des Verbrauchers für die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2005/29 von entscheidender Bedeutung. Die Richtlinie nimmt nach ihrem 18. Erwägungsgrund den Durchschnittsverbraucher, der angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren als Maßstab (Urteil vom 12. Mai 2011, Ving Sverige, C-122/10, EU:C:2011:299, Rn. 22).

Rn. 48
Zitat
[...] Wurde der Verbraucher jedoch weder über die Kosten der fraglichen Dienste noch über ihre Vorinstallation und -aktivierung auf der von ihm gekauften SIM-Karte aufgeklärt, dann beruht die Erbringung dieser Dienste nicht auf seiner freien Entscheidung.


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