Worum geht es dem Tagesspiegel?Der Artikel von Caroline Fetscher im Tagesspiegel vom 05.01.2020
glänzt durch einige Auffälligkeiten. So erwähnt die Verfasserin zwar die Meinungsfreiheit und das damit verbundene Recht auf Kritik. Nutzt jemand dies Recht allerdings in Bezug auf die öffentlich-rechtlichen Medien, so
raunt er,
bedroht, beschimpft, ereifert sich und
schwadroniert nach Ansicht der Autorin. Die so herabgewürdigten Vertreter einer
Trollarmee sind dann natürlich nicht auf Augenhöhe mit Frau Fetscher, haben kein echtes Anliegen sondern
ziehen zu Felde und können nicht Fakten von Meinung trennen.
Ich kann nicht beurteilen, ob der Chefredakteur der "Welt" den ÖR-Rundfunk zurecht kritisiert, da ich seit Jahrzehnten weder das Hetzblatt für die Masse noch die zugehörige "Elitenversion" aus dem Hause Springer konsumiere. Allerdings kann ich zählen; und eine Einzelperson ist ebenso wenig eine Armee, die in Gestalt eines Chefredakteurs quasi die deutschen Medien besetzt hat, wie die Erwähnung einer weiteren Person eine ganze Heerschar repräsentiert.
Wenn ich gelegentlich Programmbeschwerden von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam, zwei ehemaligen NDR-Mitarbeiter, lese, dann kann man wohl ohne zu trollen durchaus die Meinung vertreten, dass es um die Nachrichten in den ÖR-Sendern nicht zum Besten bestellt ist, da die Beschwerden häufig gut mit Fakten unterlegt sind. Dass man seitens des NDR-Rundfunkrats nicht eine der Beschwerden für berechtigt hielt, ist wohl eher Zeichen der Bunkermentalität im Sender und seinen Institutionen als Beleg für Trollerei der beiden Pensionäre. Dass man in den Anstalten völlig ohne Fehler arbeitet, ist unwahrscheinlich und glaubt außerhalb der Anstalten daher kein vernünftiger Mensch; außer vielleicht beim Tagesspiegel. Ich habe auch noch nie gehört, dass Kritik am Programm bei Journalisten verpönt oder gar unberechtigt ist. Liest man doch eigentlich jede Woche mal mehr mal weniger kritische Beiträge zu Fernsehkrimis und anderen Sendungen.
Es ist richtig, was Frau Fetscher zum Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus dem Rundfunkstaatsvertrag zitiert. Das Problem ist, dass die Sender diesen Auftrag aus der Sicht nicht gerade weniger Bürger nicht oder nicht gut genug erfüllen. Über dieses Thema kann man sicher streiten, nur eben nicht mit Leuten wie Frau F., da sie diejenigen, die anderer Meinung sind als sie, ja zum Teil einer "Trollarmee" zählt. Es ist gut, dass Frau Fetscher sich mit dieser Problematik nicht beschäftigt. Könnten die Ergebnisse einer tieferen Analyse sie doch womöglich verunsichern. Dazu zum einlesen ein paar Buchtipps:
1.
Die Macht um acht: Der Faktor Tagesschau von Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
2.
Lügen die Medien?: Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung von Jens Wernicke , Walter van Rossum, et al.
Womit ich zu den Fakten komme, die Frau Fetscher bei den Kritikern wohl deshalb nicht erkennen kann, weil sie diese recht einseitig einer rechten Gruppe zurechnet, obwohl die Bandbreite der Kritiker des OR-Rundfunks sehr viel größer ist. Sicher gibt es darunter Leute, die man politisch rechts verorten kann. Nachdem hierzulande gut 10 Prozent eine entsprechende Partei wählen und weite Teil der CSU sich bezüglich ihrer Positionen von denen kaum unterscheiden, wundert das nicht wirklich. Tatsache ist aber auch, dass es bis in das linke Lager hinein Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, seiner Finanzierung, dem Programm und dem Auftrag gibt. Zu den bekannten Fakten gehört, dass das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender seit dem Start privater Sender diesen ohne Not immer ähnlicher geworden ist. Etwas, was schon in dem 1980 und 1990er Jahren beklagt wurde. Ebenfalls Fakt ist, dass heute weniger Dokumentationen als früher gesendet werden und die, die es dennoch ins Programm schaffen, zu extremen Randzeiten über den Sender gehen. Auch kulturell Interessierte müssen teilweise sehr lange wach bleiben um entsprechende Sendungen zu sehen. Dafür gibt es zuviel Talkshows, auch oft bemängelt, Ratesendungen, Krimis, Musik-Trallala und krampfhafte Versuche, die alte Samstagabendschau am Leben zu halten. Die Dritten Programme und Sender wie ZDF Neo und One sind längst eine Resterampe für die Zweitverwertung der Hauptprogramme. Wie überhaupt Wiederholungen über Wiederholungen nerven. Tatsache ist auch, dass es immer mal wieder Skandale um Schleichwerbung gegeben hat, dass aber eine Moderatorin, die in solche verwickelt war, heute noch im TV die gleiche Sendung betreut. Bis zum nächsten Skandal um Werbung, Drehbücher o. ä. ist es letztlich nur eine Frage der Zeit. Und egal was Frau F. vom ÖR-Rundfunk hält, so ist ebenfalls Tatsache, dass der politische Einfluß auf die Sender immer vorhanden war und bis heute besteht. Der Fall Brender ist eine Tatsache ebenso wie Fälle, in denen sich ein Sender auf politischen Druck aus dem Gemeinschaftsprogramm auskoppelte. Man sage nicht, dass so etwas heute nicht mehr vorkommt. Schließlich: Posten werden weiterhin nach Parteienproporz besetzt, die Rundfunkräte sind zum Teil Versorgungsposten für Parteifunktionäre. Die Wikipedia kennt ja nicht zufällig die Begriffe "Rotfunk" und "Schwarzfunk".
Dies und weitere Schwächen eines stetig wachsenden Systems mit größtenteils undurchsichtigen Verflechtungen und Beteiligungen zu einem inzwischen horrenden Preis. An dessen Höhe ist nicht zuletzt der Betrieb des ZDF schuld. Was die Doppelung des von den LRA betriebenen TV-Programms durch das ZDF soll, kann niemand nachvollziehbar erklären. Warum zweimal für das Gleiche bezahlen? Die Nachrichten aus Washington werden ja nicht anders oder besser, wenn sie von zwei Korrespondenten über zwei Sender übermittelt werden. Im Gegenteil! Als Jeremy Corbyn 2015 zum Vorsitzenden der Labour Party in GB gewählt wurde hieß es im ZDF, dass er "nicht nur beim politischen Gegner als linker Spinner" bezeichnet würde. Seit dem warte ich darauf, dass im gleichen Sender über Frau Merkel gesagt wird, dass sie auch in der eigenen Partei als "zaudernde Wurst im Blazer" betrachtet wird. Und warum erlaubt man sich in Nachrichtensendungen Wertungen? Z. B. die von russischen und ukrainischen Industriellen als Oligarchen oder Putin und Assad als "Machthaber"? Schließlich bezeichnet niemand Frau Klatten als Oligarchin, trotz eines Milliarden-Vermögens, und dass jemand den Regierungschef in London, Paris oder Riad als "Machthaber" bezeichnet, habe ich noch nie in einer Nachrichtensendung gehört. In einem Kommentar kann man das natürlich sagen, in einer Nachricht hat das nichts verloren.
Ich will hier nicht zu sehr in Details des Artikels gehen, aber zwei Punkte doch herausgreifen. Frau Fetscher schreibt:
In leichter Abwandlung ortet nun Ulf Poschardt, der Chefredakteur der "Welt", einen "hermetischen Werte- und Wahrnehmungskorridor" der öffentlich-rechtlichen Medien, in denen sich "beamtenähnliche Journalistenexistenzen", etwa bei den "Tagesthemen", zu einem "konformistischen Haltungskollektiv" verschworen hätten.
Auf dem Namen des Chefredakteurs in diesem Text liegt ein Link. Nun erwartet man als Leser im Web, dass der Link einen zu dem Text führt, in dem die obige Bemerkung enthalten ist. Erstaunlicherweise landet man aber bei einem Kurzinterview mit dem Gescholtenen im Tagesspiegel vom
24.11.2019.
Nun?. Zudem taucht die fragliche Feststellung dort gar nicht auf. Das geht ziemlich sicher besser, z. B. mindestens mit einer Quelle und der Datumsangabe der fraglichen Äußerung, wenn man auf ein Konkurrenzprodukt nicht verlinken mag, sowie ein Link auf den Wikipediaeintrag. Auch die anderen Links im Artikel verweisen auf Beiträge im Tagesspiegel, belegen damit m. E. wenig bis nichts.
Zur Diskussion um den "Fall Gutjahr" liest man, dass die "Trollarmee" bei ihrem Eintreten für Gutjahr übersieht, dass der Journalist sich uneingeschränkt zum BR, "dem Feind", bekennt. Andererseits schreiben die "Trolle", dass sich ihr Mitleid mit Gutjahr in Grenzen hält. Ja was denn nun? Da zeigt sich die Crux von Pauschalierungen. Wenn "Trolle" den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum
Feind haben, so kann man auch bei Frau Fetscher ein ziemlich klares Feindbild erkennen.
Die Frage, die man sich als Leser ggf. stellen kann, lautet also "Worum geht es dem Tagesspiegel?" Die Antwort mag sich jeder selbst geben. Ich hätte allerdings einen Tipp für diejenigen, denen die denkbaren Absichten hinter dem Artikel nicht zusagen: man muss diese Zeitung nicht lesen.
M. Boettcher