LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
Drucksache 17/4657
20.12.2018
Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1811 vom 6. Dezember 2018 des Abgeordneten Sven W. Tritschler AfD Drucksache 17/4522
Indexierung des Rundfunkbeitrags ab 2023 – Sieht die Landesregierung die unabhängige Finanzkommission (KEF) und den Parlamentsvorbehalt als ein Auslaufmodell?Vorbemerkung der Kleinen Anfrage
2017 brachten Vertreter von ARD und ZDF eine automatische Rundfunkbeitragserhöhung in Form einer Koppelung der Erhöhung des Rundfunkbeitrags an das Brutto-Inlandsprodukt auf die Agenda. Diesem Ansinnen widersprachen sowohl die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) als auch führende Fachpolitiker wie der damalige kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Marco Wanderwitz 1.
Am 14. Juni 2018 präsentierte eine Arbeitsgruppe von sechs Bundesländern (Bayern, Baden- Württemberg, Schleswig-Holstein, Hamburg, Sachsen und Thüringen) der Minister- präsidentenrunde einen Plan, nach dem der allgemeine Rundfunkbeitrag zur Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio regelmäßig, automatisch und auf Basis der jährlichen Inflationsrate anzuheben sei.
Ende Oktober 2018 hat sich dazu die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, Malu Dreyer, im Vorfeld der Beratung am 5. Dezember optimistisch über eine mögliche Einigung aller Ministerpräsidenten geäußert2, zumal nun schon acht Bundesländer den Indexierungsvorschlag der Arbeitsgruppe vertreten 3.
Die Konferenz am 5. Dezember brachte jedoch keine Einigung, es wurde nur eine Befragung von Betroffenen und Experten für den Januar 2019 terminiert 4.
Einfluss auf die Entscheidung für eine Indexierung des Rundfunkbeitrags hat, neben dem wachsenden Finanzierungsbedarf durch steigende Pensionsverpflichtungen des öffentlich- rechtlichen Rundfunks, auch die Scheu vor dem sich wiederholenden und regelmäßig verschärfenden Diskurs und dem sich daraus ergebenden Begründungszwang sowie die Angst, vor einem immer wahrscheinlicher werdenden Veto durch eines der 16 Landesparlamente; so sprachen sich u.a. der bayerische Medienminister Florian Herrmann 5 sowie sein Ministerpräsident Markus Söder als auch die Landesregierung Sachsen-Anhalts gegen eine Erhöhung der Rundfunkgebühren aus 6.
Neben den genannten medienpolitischen Erwägungen steht eine Entscheidung zur Indexierung des Rundfunkbeitrags auch im rechtlichen Spannungsfeld der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, u.a. von 1994 („Die Regelung der Rundfunkfinanzierung durch den Gesetzgeber sei aber nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Das ergebe sich aus der Notwendigkeit, eine Vielzahl unterschiedlicher, zum T eil sogar gegenläufiger Interessen abzuwägen und auszugleichen. Dieser Ausgleich könne nur dem Gesetzgeber gelingen.“7) und von 2007 (Argumentation der Landesregierungen: „Das jeweilige Landesparlament sowie die von der jeweiligen Mehrheit getragene Landesregierung müssten dem Wähler gegenüber für die Festsetzung der Rundfunkgebühr die Verantwortung übernehmen können“8).
Weitere Gründe für Einbeziehung des Parlamentes in der Urteilsbegründung: „Damit kann er auch zur Sicherung der Akzeptanz der Entscheidung bei den Bürgern beitragen, und zwar insbesondere dadurch, dass er die Interessen der Gebührenzahler in seine Entscheidung einbezieht.“9, sowie dem Gutachten des EuGH zur Erhebung des Rundfunkbeitrags in Deutschland, 2018 (die aktuelle Praxis stelle "keine rechtswidrige staatliche Beihilfe" dar. 10).
Weiterhin führt der Automatismus einer Indexierung zu einer Aufhebung eines im Urteil des BVerfG von 2007 benannten notwendigen Prinzips des „fachlich zu ermittelnden Finanzbedarfs, dieser muss die Grundlage für die Festsetzung der Gebührenhöhe bleiben.“11. Im nun zur Entscheidung stehenden Plan zur Indexierung wird dieses Prinzip konterkariert, der KEF wird nur noch eine evaluierende Funktion beigemessen.
Sollte dieser Systemwechsel bei der Finanzierung der Rundfunkgebühren beschlossen werden, stehen zudem womöglich weitere Überprüfungen durch das Bundesverfassungsgericht und die EU-Kommission an, wodurch die gesamte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ab 2023 rechtsunsicher würde.
Der Ministerpräsident hat die Kleine Anfrage 1811 mit Schreiben vom 19. Dezember 2018 namens der Landesregierung beantwortet.
1. Inwieweit war die Landesregierung in die Beratungen der Arbeitsgruppe der sechs o.g. Bundesländer involviert?
Nordrhein-Westfalen war nicht in die Beratungen der Arbeitsgruppe involviert.
2. Wie steht die Landesregierung zum Parlamentsvorbehalt bei der Festsetzung des Rundfunkbeitrags?
Die Landesregierung achtet den vom Bundesverfassungsgericht stets betonten Parlamentsvorbehalt für alle medienpolitischen Grundentscheidungen. Ungeachtet dessen ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht die in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage als Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zitierten Aussagen, „die Regelung der Rundfunkfinanzierung durch den Gesetzgeber sei aber nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten“ und „das jeweilige Landesparlament sowie die von der jeweiligen Mehrheit getragene Landesregierung müssten dem Wähler gegenüber für die Festsetzung der Rundfunkgebühr die Verantwortung übernehmen können“, nicht getroffen hat. Im Gegenteil hat es in den zitierten Entscheidungen (Urteil v. 22. Februar 1994 = BVerfGE 90, 60 – sog. „1. Gebührenurteil“ und Urteil v. 11.September 2007 = BVerfG 119, 181 – sog. „2. Gebührenurteil“) betont, dass der enge Zusammenhang von Programmfreiheit und Finanzausstattung es verbietet, dem Gesetzgeber bei der Gebührenfestsetzung freie Hand zu lassen. Er könnte sonst Einflussnahmen auf das Programm, die ihm verfassungsrechtlich untersagt sind, im Wege finanzieller Beschränkungen erreichen. Die Gebührenentscheidung ist auf der Grundlage der überprüften und gegebenenfalls korrigierten Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten zu treffen. Wer sie trifft und wie dies geschieht, ist wiederum Sache gesetzlicher Regelung (siehe Rn. 185 im 1. Gebührenurteil; Rn. 140 im 2. Gebührenurteil). Von Verfassungs wegen muss sichergestellt sein, dass Programmneutralität und Programmakzessorietät der Gebührenentscheidung gewahrt bleiben. Ausdrücklich heißt es unter Randnummer 188 in dem zitierten 1. Gebührenurteil weiter, die Verfassung zwingt auch nicht dazu, dass die Parlamente die Gebührenhöhe jeweils selbst bestimmen. Vielmehr kommt auch eine Delegation in Betracht, wenn diese den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen genügt und die wesentlichen Fragen durch Gesetz geregelt sind. Es steht den Landesgesetzgebern zum Beispiel auch verfassungsrechtlich frei, die Gebührenentscheidung durch Rechtsverordnung treffen zu lassen oder eine Mehrheitsentscheidung zu ermöglichen. (Siehe Rn. 157 im 2. Gebührenurteil).
Aus verfassungsrechtlicher Sicht spricht auch nichts gegen die Verwendung indexgestützter Berechnungsmethoden zur Berücksichtigung der allgemeinen und der rundfunkspezifischen Kostenentwicklung. Auch einer weiterreichenden Umstrukturierung des Verfahrens im Sinne einer Vollindexierung, wie sie in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union seit langem praktiziert wird, stehen von Verfassungs wegen grundsätzlich keine Hindernisse entgegen, zumal ein derartiges Vorgehen in besonderem Maße geeignet ist, das Gebührenfestsetzungsverfahren gegen sachfremde Einflüsse abzuschirmen (so ausdrücklich in Rn. 184 im 1. Gebührenurteil und Rn. 143 im 2. Gebührenurteil).
3. Die Konferenz der Ministerpräsidenten am 5. Dezember 2018 erbrachte keine Einigung bei der Frage der Indexierung des Rundfunkbeitrags. Mit welchem Votum (für oder gegen eine Indexierung des Rundfunkbeitrags) positionierte sich die Landesregierung?
4. Mit welcher Begründung hat sich die Landesregierung bei der Abstimmung zur Indexierung des Rundfunkbeitrags am 5. Dezember 2018 positioniert?
Aus Gründen des Sachzusammenhangs werden die Fragen 3 und 4 gemeinsam beantwortet.
Die Landesregierung bewertet die von den Anstalten erbetenen und vorliegenden Reformvorschläge, wie auch einvernehmlich alle anderen Länder, nur als ersten Schritt. Sie entsprechen noch nicht den Erwartungen der Länder. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder haben daher auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 5. Dezember 2018 einvernehmlich beschlossen, die Rundfunkkommission zu bitten, ihre Vorüberlegungen zur Reform von Auftrag, Struktur und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Lichte der Beratung am 5. Dezember 2018 bis zu ihrer Konferenz am 21. März 2019 weiter zu konkretisieren. Zudem wurde vereinbart, hierzu zeitnah ein Gespräch mit den Intendantinnen und Intendanten von ARD, ZDF und DLR zu führen. Nordrhein-Westfalen hat diesem Beschluss zugestimmt.
1 https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ard-und-zdf-laender-gegen-automatisch-steigenden-rundfunkbeitrag/20216912.html
2 https://www.medienkorrespondenz.de/politik/artikel/laender-wollen-eckpunkte-zur-zukunft-von-ard-und-zdf-erstellen.html
3 https://www.medienkorrespondenz.de/politik/artikel/laender-wollen-eckpunkte-zur-zukunft-von-ard-und-zdf-erstellen.html
4 https://www.horizont.net/medien/nachrichten/oeffentlich-rechtliche-laender-vertagen-entscheidung-ueber-rundfunkbeitrag-171573
5 https://www.heise.de/tp/features/Hoeherer-Rundfunkbeitrag-oder-weniger-Schmonzetten-Soaps-Schlager-und-Sport-4235876.html
6 https://www.deutschlandfunk.de/erhoehung-des-rundfunkbeitrags-der-druck-ist-relativ-gross.2907.de.html
7 BVerfG Beschluss des Ersten Senats vom 30.11.1993, BvL 30/88 Absatz 104 der Begründung (Zitat: Präsident des Landtags von Rheinland-Pfalz)
8 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 11. 09. 2007, BvR 2270/05 Absatz 87 der Begründung
9 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 11. 09. 2007, BvR 2270/05 Absatz 147f der Begründung
10 Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung Nr.140 /18
11 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 11. 09. 2007, BvR 2270/05 Absatz 153 der Begründung
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