Das Verwaltungsgericht Aachen hat unter dem Aktenzeichen 8 K 1897/14 mit Beschluss vom 19.09.2016 über die Frage der Anwendbarkeit des VwVfG NRW auf die Tätigkeit des WDR geurteilt:
„Die Beratungspflichten des § 25 VwVfG NRW gelten für die Tätigkeit der Landesrundfunkanstalt bei der Erhebung der Rundfunkgebühren- oder -beiträge schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsverfahrensgesetz NRW nach § 2 Abs. 1 VwVfG NRW auf die Tätigkeit des Beklagten grundsätzlich nicht anwendbar ist.“
Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 VwVfG NRW
"Dieses Gesetz gilt nicht für die Tätigkeit der Kirchen, der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften sowie ihrer Verbände und Einrichtungen und des Westdeutschen Rundfunks Köln."
ist eindeutig und lässt keine Interpretation zu. Die häufig von den Gerichten vertretene Ansicht, diese Vorschrift sei „nicht aber auf Bereiche, in denen die Rundfunkanstalt - wie hier bei der Rundfunkbeitragserhebung - typische Verwaltungstätigkeit ausübt“ anwendbar, findet keine Grundlage in dem Gesetz.
Der Anwendungsausschluss des § 2 Abs. 1 VwVfG NRW betrifft nämlich die gesamte Tätigkeit des WDR und erstreckt sich auch und gerade auf die Verwaltungstätigkeit des Beitragseinzugs, denn der Kernbereich des Rundfunkbetriebs ist eben gerade keine Tätigkeit, die durch ein Verwaltungsverfahrensgesetz überhaupt geregelt werden kann.
Im Hinblick auf die Nichtanwendbarkeit des VwVfG NRW auf die Tätigkeit des WDR stellt sich die Frage, ob hier eine versehentliche Lücke, eine Unachtsamkeit des Gesetzgebers, vorliegt, oder eine bewusste Entscheidung.
Letzteres ist der Fall, was sich aus einem Vergleich der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder ergibt: Es gibt Länder in denen auch im Rundfunkbeitragsrecht das LVwVfG ausnahmslos gilt, einschliesslich der Zugangsvermutung. Es gibt Länder wie Baden-Württemberg, in denen die Rundfunkanstalt bewusst ausgenommen ist; es gibt Länder, die auf das Bundes-VwVfG verweisen. Sachsen verweist beispielsweise auf das Bundesrecht mit der Zugangsvermutung durch Postaufgabe, Rheinland-Pfalz wendet unmittelbar eigenes Landesrecht mit entsprechender Regelung an. Hieraus ergibt sich, dass es - zumal nach vieljähriger Gesetzespraxis - als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers anzusehen ist, wenn das LVwVfG ausgeschlossen wurde.
Das OVG NRW hat in seinem Beschluss vom 14. Juli 2010, Az. 16 A 49/09, zutreffend festgestellt:
Insbesondere kann § 2 Abs. 1 VwVfG, soweit darin auch der Beklagte genannt wird, nicht aus der Erwägung heraus unbeachtet gelassen werden, dass diese Vorschrift lediglich für den unter besonderen verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 GG gestellten Kernbereich der Tätigkeit des Westdeutschen Rundfunks, also für die Produktion und Ausstrahlung von Rundfunk und Fernsehprogrammen, nicht aber für die begleitende originäre Verwaltungstätigkeit wie etwa den Einzug der Rundfunk und Fernsehbeiträge zum Tragen kommen solle.
Denn dem Gesetz kann kein Anhaltspunkt für eine solche Differenzierung nach den unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen entnommen werden; vielmehr stellen die Tatbestände des § 2 Abs. 1 VwVfG NRW anders als diejenigen des § 2 Abs. 2 VwVfG gerade nicht auf bestimmte Funktionen, sondern umfassend auf die dort genannten Funktionsträger ab. Außerdem vollzieht sich die grundrechtlich abgesicherte "eigentliche" Rundfunktätigkeit des Beklagten jedenfalls typischerweise von vornherein nicht in verwaltungsverfahrensrechtlichen Formen, etwa dem Erlass von Verwaltungsakten. Die Aufnahme des Beklagten in den Ausschlusskatalog des § 2 Abs. 1 VwVfG NRW kann daher nur so verstanden werden, dass der Gesetzgeber die Tätigkeiten des Westdeutschen Rundfunk umfassend von der Geltung des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes ausnehmen wollte, auch und gerade bezogen auf dessen originäre Verwaltungstätigkeit.
- So auch Schliesky, in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 9. Aufl., § 2 Rn. 9.
Diese Rechtsauffassung hat das OVG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 25. April 2013, Az. 16 A 1873/12, nahezu wortgleich bekräftigt. Die Verwaltungsgerichte müssen diese Rechtsauffassung des OVG NRW in ihren Entscheidungen beachten, zumindest aber sich mit ihr auseinandersetzen.
Auch für die vielfach von den Gerichten und den Vollstreckungsbehörden vertretene Rechtsauffassung, ein Beitragsbescheid bzw. Festsetzungsbescheid über Rundfunkbeiträge sei als Verwaltungsakt anzusehen, fehlt die gesetzliche Grundlage.
Die Merkmale des Verwaltungsaktbegriffs sind in Anlehnung an Otto Mayer Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band I 1. Auflage 1895, S. 95. in § 35 S. 1 VwVfG legaldefiniert (siehe ferner § 118 AO, § 31 SGB X). Danach ist Verwaltungsakt „jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Massnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach aussen gerichtet ist“
Der Westdeutsche Rundfunk Köln ist jedoch keine Behörde.
Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen bestimmt in Artikel 77, dass die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung und die Regelung der Zuständigkeiten durch Gesetz erfolgt und dass die Einrichtung der Behörden im einzelnen der Landesregierung und auf Grund der von ihr erteilten Ermächtigung den einzelnen Landesministern obliegt.
Das Landesorganisationsgesetz NRW bestimmt den Aufbau und die Struktur der Landesverwaltung und benennt die als Behörden und die mit behördlichen Befugnissen ausgestatteten Einrichtungen und Institutionen. Für die Gemeinden und Gemeindeverbände gilt das Gesetz nur, soweit es dies bestimmt. Unter der gleichen Voraussetzung gilt es auch für die der Aufsicht des Landes unterstehenden sonstigen Körperschaften sowie Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit. Hierzu gehört unzweifelhaft auch der Westdeutsche Rundfunk Köln, der als Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit der Rechtsaufsicht der Landesregierung untersteht.
Allerdings ist in dem LOG NRW eben gerade nichts über den WDR bestimmt, schon gar nicht, dass dieser zumindest in Bezug auf dessen originäre Verwaltungstätigkeit zu behördlichem Handeln ermächtigt sei.
Ebensowenig stattet das Gesetz über den Westdeutschen Rundfunk (WDRG) diesen mit behördlichen Befugnissen aus. Das Gesetz benennt zwar die tragenden Körperschaften der Anstalt, nämlich den Intendanten, den Rundfunkrat und den Verwaltungsrat, es bestimmt aber an keiner Stelle eine Einrichtung des WDR zur Behörde. Ebensowenig ist in dem WDRG bestimmt, dass die Verwaltung überhaupt, und auch nicht, soweit diese sich auf den Einzug der Rundfunk und Fernsehbeiträge bezieht, zu behördlichem Handeln befugt oder mit behördlichen Befugnissen ausgestattet ist.
Der Begriff der Behörde ist in allen gesetzlichen Vorschriften in einem einheitlichen Sinn aufzufassen, und zwar im Sinn des Staats- und Verwaltungsrechts (st. Rechtspr., vgl. BGH, Beschl. v. 12. Juli 1951, IV ZB 5/51, NJW 1951, 799; Beschl. v. 16. Oktober 1963, IV ZB 171/63, NJW 1964, 299). Danach ist eine Behörde eine in den Organismus der
Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln, die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein (BGH, Beschl. v. 16. Oktober 1963, aaO; BVerfGE 10, 20, 48; BVerwG NJW 1991, 2980). Es muss sich um eine Stelle handeln, deren Bestand unabhängig ist von der Existenz, dem Wegfall, dem Wechsel der Beamten oder der physischen Person, der die Besorgung der in den Kreis des Amtes fallenden Geschäfte anvertraut ist. (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 – V ZB 79/10 –, Rn. 8, juris).
Typische Merkmale einer Behörde sind gesetzlich festgelegte Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sowie die transparente Regelung wesentlicher Handlungsabläufe, Gestaltungsmöglichkeiten und Eingriffsbefugnisse durch Gesetz, Verordnung oder Satzung. Erforderlich ist zudem, dass das Handeln der Behörde als Verwaltungshandeln erkennbar ist, dass sich Behörde und Behördenmitarbeiter als solche erkennbar verhalten. Die formale Bezeichnung als Behörde - beispielsweise im Staatsvertrag - kann danach nicht zur Begründung einer materiellen Behördeneigenschaft ausreichen, wenn zugleich alle (materiellen) rechtlichen Voraussetzungen und Vorgaben fehlen.
Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es bei dem WDR an der Behördeneigenschaft. Der WDR tritt nach aussen in seinem Erscheinungsbild nicht als Behörde auf, sondern als Unternehmen. Bereits auf der Homepage
www.wdr.de wird am Fuss der Seite unter der Rubrik „der WDR“ als Menüpunkt „Unternehmen“und nicht "Behörde“ aufgeführt. Die Unterseite Unternehmen bzw. Profil weist den WDR als „eines der größten Medienunternehmen Deutschlands“ aus. Die weitere Unterseite „Organisation“ gibt einen Überblick über eine für ein Grossunternehmen übliche Organisationsstruktur, in der die Abteilung „Beitragsservice“ der Hauptabteilung „Betriebsmanagement“ unterstellt ist. Eine Behörde oder ein Behördenleiter sind nicht angegeben, statt dessen – behördenuntypisch – unternehmerische Beteiligungen.
Das wesentliche Handeln und Gestalten der WDR ist unternehmerisch. Eine Bindung an behördentypische Ausgestaltungen (Geltung des Besoldungsrechts oder der Tarifverträge bzw. der Gehaltsstrukturen) für den öffentlichen Dienst) fehlt völlig. Die Bezüge des Intendanten übersteigen diejenigen von sämtlichen Behördenleitern, selbst diejenigen eines Ministerpräsidenten oder Kanzlers, erheblich. Ein eigener Tarifvertrag besteht. Öffentlich-rechtliche Vergabevorschriften beim Einkauf von Senderechten oder Unterhaltungsmaterial werden nicht angewandt, die Bezahlung freier Mitarbeiter und fest angestellter Sprecher entspricht nicht ansatzweise dem öffentlichen Dienst.
Eine Behörde wird nie im Kernbereich ihrer Aufgaben gewerblich tätig, so aber der WDR (Werbezeitenverkauf). Einer Behörde ist die Annahme Gelder Dritter auch in Form von „Sponsoring“ oder Produktplatzierung streng untersagt. Als Träger der Informationsgrundrechte unterliegt der WDR der Pflicht zur staatsfernen, objektiven Berichterstattung, auch über wirtschaftliche Unternehmen. Als Beitragsgläubiger macht er gegenüber wirtschaftlichen Unternehmen erhebliche Zahlungsforderungen geltend und vollstreckt diese als „Behörde“. Es ist mit staatlicher Verwaltung unvereinbar, wenn – abgesehen von dem Interessenkonflikt bei der Berichterstattung – die Vollstreckungs“behörde“ auf dem Umweg über eine Tochter-GmbH (WDR mediagroup GmbH) von Unternehmen als Beitragsschuldnern Geld für Werbung (oder für per staatsvertraglicher Definition als Nicht-Werbung bezeichnetes Sponsoring) nimmt.
Die Zahlungsaufforderungen werden nicht als Verwaltungsakt, der behördentypischen Handlungsform, erlassen, sondern als geschäfts- und unternehmenstypischer einfacher Brief mit Zahlungsaufforderung und Überweisungsvordruck, mit der Folge, dass die Verwaltungsgerichte in ständiger Rechtsprechung jegliche Anfechtungsklage als unzulässig zurückweisen (Gebührenfestsetzung: BVerwG v. 26.4.1968, BVerwGE 29, 310 ff.; v. 12.1.1973, BVerwGE 41, 305 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 35, Rn. 62). Der WDR bedient sich also insoweit also selbst nicht der Handlungsform einer Behörde, sondern der eines Unternehmens.
Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu unmißverständlich ausgeführt (BVerfGE 31, 314; Rz. 65):
"Die formale Organisation der Träger von Rundfunk- und Fernsehdarbietungen als öffentlich-rechtliche Anstalten kann - BVerfGE 31, 314 (341)BVerfGE 31, 314 (342)unbeschadet dessen, daß sie ausnahmsweise einmal an sehr peripheren materiellrechtlichen Punkten durchschlägt (Kompetenz zum Erlaß einer Satzung in § 3 Abs. 1 des Staatsvertrags über die Regelung des Rundfunkgebührenwesens vom 31. Oktober 1968, ARD-Handbuch 1970, S. 299; Zuteilung von Sendezeiten an politische Parteien im Wahlkampf als mit Verfassungsbeschwerde angreifbarer Akt der öffentlichen Gewalt, BVerfGE 7, 99 [104]; 14, 121 [129 f.]) - nicht darüber hinweg täuschen, daß sie nach ihrem Aufbau, ihren Organen und der Abwicklung ihrer Geschäfte jedes spezifisch öffentlich-rechtlichen Elements ermangeln: sie kennen nicht einmal Beamte oder öffentlich-rechtliche Bedienstete; sie verfügen dem Staatsbürger gegenüber über keinerlei hoheitliche Gewalt; ihre Aufgabe gehört nicht zu den dem Staat vorbehaltenen Aufgaben; sie konkurrieren de constitutione lata potentiell mit privaten Trägern. Sie gleichen also insoweit jedem beliebigen anderen Großunternehmen."