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Autor Thema: Frage zur Beitragspflicht - Vergleich mit Krankenversicherung  (Gelesen 17268 mal)

  • Beiträge: 72
Hallo,

eine ähnlichen Beitragszwang wie im Falle der GEZ ist ja die Beitragspflicht im Falle gesetzlicher Krankenkassen. Für eine Argumentation gegen die GEZ wäre es bestimmt sinnvoll, wenn sich die rechtlichen Unterschiede dieser zwei Modelle abgrenzen bzw. herausarbeiten lassen können. Ansonsten bestünde evtl. die Gefahr, dass die Gegenseite mit dieser Analogie argumentieren wird.

Ich wäre sehr dankbar, wenn jemand kurz die wichtigsten Unterschiede benennen kann.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 23. September 2014, 03:52 von Bürger«
Liebe GEZ-Mitarbeiter, lest Euch ruhig alle Argumente sorgfältig durch. Es gibt nichts zu verbergen. Schön, dass Ihr Interesse an den GG-Verletzungen habt und unsere Anliegen ernst nehmt - es sind übrigens auch Eure Rechte, für die wir uns einsetzen :)

  • Beiträge: 86
Die ÖRR senden überwiegend Unterhaltung.
Unterhaltung ist Privatvergnügen.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 23. September 2014, 03:52 von Bürger«
Ich bin ein "voluntatives Element",
(Richterdeutsch für
"ich hab meinen eigenen Willen")

  • Beiträge: 285
Formal gesehen handelt es sich bei der Krankenversicherung um ein Bundesgesetz (niedergelegt im Sozialgesetzbuch), beim RBStV um einen zwischen den Ländern ausgehandelten Staatsvertrag.

Prinzipiell ist es dieselbe Form staatlicher Willkür. Man postuliert Notwendigkeiten (hier Absicherung im Krankheitsfall, dort Versorgung mit unabhängiger Information) und fordert deren Finanzierung. Genauso läuft es mit jeder Steuer, jeder Abgabe, jeder Gebühr, jeder anderen Zwangsversicherung.
Staatliche Strukturen erklären ihre Zuständigkeit und greifen in die Eigentumsrechte der Bürger ein.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 23. September 2014, 03:52 von Bürger«
"Ein Anspruch, dass alle Aspekte eines Sachverhalts zu nennen sind, lässt sich aus dem Programmgrundsatz nicht ableiten und stände auch nicht in Einklang mit der grundgesetzlich geschützten Rundfunkfreiheit."
WDR-Intendant Tom Buhrow, Antwort auf Programmbeschwerde der Publikumskonferenz e.V.

  • Moderator
  • Beiträge: 11.801
  • ZahlungsVERWEIGERER. GrundrechtsVERTEIDIGER.
    • Protest + Widerstand gegen ARD, ZDF, GEZ, KEF, ÖRR, Rundfunkgebühren, Rundfunkbeitrag, Rundfunkstaatsvertrag:
[...] evtl. die Gefahr, dass die Gegenseite mit dieser Analogie argumentieren wird.

Diese Argumentation wäre nicht neu - wird und wurde schon seit jeher (allerdings weder logisch noch juristisch begründet) auch seitens der Politik und anderer Verfechter hier und da bemüht.
Allein eine Suche im Forum nach "Kranken~"/ "Krankenversicherung" liefert so einige Diskussionen zu diesem Thema...

Bei der Krankenversicherung handelt es sich (wie es der Name schon sagt) um eine
Versicherung - zur Abdeckung eines (unkalkulierbares) Risikos.
Es geht um Krankheit, Leben und Tod.
Allein dies ist schon ein himmelweiter Unterschied zum sog. Rundfunkbeitrag, der eigentlich jegliche weitere Diskussion über dieses Thema erübrigen sollte.

Desweiteren ist der Krankenkassenbeitrag personenbezogen und - zumindest in gewissen Unter- und Obergrenzen - einkommensabhängig gestaffelt.

Das aktuelle Rundfunkbeitragsmodell, übertragen auf die Krankenversicherung, würde in etwa bedeuten:
pro Wohnung 1.000€/mtl. Krankenkassenbeitrag - unabhängig von der Personenanzahl und dem persönlichen finanziellen Leistungsvermögen.
Dies auch für Zweitwohnungen, Betriebsstätten und KFZ.
Doppelt und dreifach - usw.

Ich Glaube die Diskussion und somit vielleicht auch die Frage nach den rein rechtlichen Unterschieden erübrigt sich damit eigentlich...


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 23. September 2014, 09:02 von Bürger«
Schnelleinstieg | Ablauf | FAQ-Lite | Gutachten
Lastschrift kündigen + Teil werden von
www.rundfunk-frei.de

R
  • Beiträge: 375
Der Krankenversicherungsbeitrag steht ein zurechenbarer Nutzen gegenüber - die Absicherung von Risken bei der Zahlung von Krankengeld (wie auch bei der Rente) gilt das Äquvalenzprinzip zwischen Beitrag und Geldleistung.

Spannend wäre es, sich mit IHK-Beiträgen oder z.B. der Weinabgabe zu beschäftigen.


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"Eine Abgabe ist jedenfalls immer dann eine Steuer und kein Beitrag, wenn sie Begünstigte und Nichtbegünstigte zur Finanzierung einer staatlichen Leistung heranzieht" (Paul Kirchhoff)

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Persönlich stehe ich der Krankenversicherungspflicht gerade für Selbständige (seit 2006) ebenfalls sehr kritisch gegenüber. Man darf nicht übersehen, dass unsere Sozialsysteme aufgrund der demographischen Entwicklung kranken und der Staat hierauf keine andere Antwort weiß, als den Bürger mehr und mehr mit Zwangsbeiträgen zu überziehen. Dies ist eine sehr unschöne Entwicklung und man sollte auch bei der Krankenversicherungspflicht kritisch bleiben und fragen, was wir möchten: den totalen Staat, der dem Bürger keinen Entscheidungsspielraum mehr lässt oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung der alten Bundesrepublik, die dem Bürger einiges an Spielräumen ließ. Was konkret für Selbständige die Möglichkeit offenließ, sich auch nicht bei einer Krankenkasse zu versichern. (So teuer ist ein privat bezahlter Arztbesuch auch nicht.)

Grundsätzlich ist eine Krankenversicherung natürlich eine sinnvolle Sache und insofern haben die Vorkommentatoren recht, dass man diese nicht mit öffentlich-rechtlichem Fernsehsiechtum vergleichen kann. Aus einer Krankenversicherung erwachsen individuelle wie kollektive Vorteile. Fernsehen hingegen ist schlichtweg nicht überlebenswichtig und man kann ohne Probleme darauf verzichten.

Generell jedoch sollte man wachsam bleiben und die relativ hohe Akzeptanz des derzeitigen Krankenverisicherungsmodells nicht als Argument für weitere Zwangsbeiträge gelten lassen. Denn da gibt es immer wieder neue Vorstöße bei Politik und Lobbyisten.


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Ich bin auch gegen den Krankenversicherungszwang, und eigentlich hier doch für eine Teilfinanzierung mit Steuern.

Man kann sich streiten, ob Versicherungspflicht richtig ist. Der Streitpunkt ist die Versicherungspflicht, nicht ihre Folge, die Beitragspflicht. Und genau hier liegt der große Unterschied mit dem Rundfunkbeitrag: eine Teilnahmepflicht am Rundfunk soll auf Grund der Informationsfreiheit ausgeschlossen sein, da darf kein Streitpunkt geben. Wieso Beitragspflicht ohne Teilnahmepflicht? Der Trick der Rundfunkanstalten: der Beitrag sei unabhängig der Nutzung, wie sind nicht nutzende Teilnehmer. Aber doch Teilnahmepflicht.

Übrigens, ich zitiere wieder Wikipedie bezüglich Norbert Blüm:

Zitat
Nach 1998 fand Blüm seine Ansichten in der CDU nur noch in geringem Maß vertreten; schon zuvor wurde er teils als „Herz-Jesu-Marxist“ belächelt.[4] Unter anderem kritisierte er Pläne zur Einführung einer Kopfpauschale und vertrat die Ansicht, dass die CDU einen Kurswechsel vollziehe, bei dem das Soziale fehle.[5][4] Auf dem Leipziger Parteitag der CDU von 2003 wurde er wegen seiner Kritik am Kurs von einigen Parteimitgliedern ausgepfiffen[6] und die veränderte Linie in der Gesundheitspolitik zur Kopfpauschale mit deutlicher Mehrheit bestätigt.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 23. September 2014, 11:49 von Sophia.Orthoi«

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Der Streitpunkt ist die Versicherungspflicht, nicht ihre Folge, die Beitragspflicht. Und genau hier liegt der große Unterschied mit dem Rundfunkbeitrag: eine Teilnahmepflicht am Rundfunk soll auf Grund der Informationsfreiheit ausgeschlossen sein, da darf kein Streitpunkt geben. Wieso Beitragspflicht ohne Teilnahmepflicht? Der Trick der Rundfunkanstalten: der Beitrag sei unabhängig der Nutzung, wie sind nicht nutzende Teilnehmer. Aber doch Teilnahmepflicht.


Man könnte im Gegenzug argumentieren, dass die Versicherungspflicht und die draus folgende Beitragspflicht bei der Krankenversicherung ebenefalls keine Teilnahmepflicht am Gesundheitssystem ableitet. Also niemand wird gezwungen zum Arzt zu gehen, auch wenn ihm das Bein abfällt.

Insofern sind die beiden Modelle doch vergleichbar, auch wenn die juristischen Voraussetzungen beider Beitragsmodelle gänzlich unterschiedlich sind. Denn gemeinsam haben beide, dass praktisch jeder Bürger zur Beitragszahlung verpflichtet wird. Ob daraus für den einzelnen Beitragszahler Vorteile entstehen oder nicht, ist zweitrangig.

Es geht in beiden Fällen um den Erhalt von Strukturen, die sich einer Reform in Anbetracht der gesellschaftlichen Veränderungen verweigern und nunmehr zwecks ihres Erhalts für alle zum Zwang werden müssen.

Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern kommt noch erschwerend hinzu, dass sie Sprachrohr einer politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Elite sind, die dieses Machtinstrument, mit dem sie Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen kann, nicht so einfach fallen lassen möchte.


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Der Streitpunkt ist die Versicherungspflicht, nicht ihre Folge, die Beitragspflicht. Und genau hier liegt der große Unterschied mit dem Rundfunkbeitrag: eine Teilnahmepflicht am Rundfunk soll auf Grund der Informationsfreiheit ausgeschlossen sein, da darf kein Streitpunkt geben. Wieso Beitragspflicht ohne Teilnahmepflicht? Der Trick der Rundfunkanstalten: der Beitrag sei unabhängig der Nutzung, wie sind nicht nutzende Teilnehmer. Aber doch Teilnahmepflicht.


Man könnte im Gegenzug argumentieren, dass die Versicherungspflicht und die draus folgende Beitragspflicht bei der Krankenversicherung ebenefalls keine Teilnahmepflicht am Gesundheitssystem ableitet. Also niemand wird gezwungen zum Arzt zu gehen, auch wenn ihm das Bein abfällt.

Nicht ganz. Zwar kann entgegengesetzt werden, dass man auch bei der Krankenversicherung für die Möglichkeit
unabhängig von der Nutzung zahlt. Aber wie gesagt, es geht nicht um den Beitragszwang, sondern um den Teilnahmezwang: beim Rundfunk sollte es wegen der Informationsfreiheit ausgeschlossen sein. Ich meine, die Idee muss man als Argument schleifen.



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Nicht ganz. Zwar kann entgegengesetzt werden, dass man auch bei der Krankenversicherung für die Möglichkeit
unabhängig von der Nutzung zahlt. Aber wie gesagt, es geht nicht um den Beitragszwang, sondern um den Teilnahmezwang: beim Rundfunk sollte es wegen der Informationsfreiheit ausgeschlossen sein. Ich meine, die Idee muss man als Argument schleifen.


Das ist richtig, meine Formulierung war etwas überspitzt. Der Rundfunkbeitrag darf verfassungsrechtlich niemals zum Teilnahmezwang ausarten, deswegen argumentieren die Gerichte, dass selbst bei geringem Einkommen eine Einschränkung der Informationsfreiheit nicht vorliege, da die Möglichkeit der Befreiung aus sozialen Gründen besteht und der Beitrag darüber hinaus so geringfügig wäre, dass eine Einschränkung nicht gegeben sei.

Beim Krankenversicherungszwang bestehen solche aus dem Grundgesetz abgeleiteten Vorbehalte nicht. Der Staat darf jeden Bürger zur "Teilnahme" an der Krankenversicherung (!) zwingen, so lautet die bisherige Rechtssprechnung. Vor allem da die Krankenversicherung anders, als ich schrieb nicht gleichzusetzen ist mit unserem Gesundheitssystem, dass man auch ohne Krankenversicherung nutzen kann, indem man eben privat bezahlt. Insofern besteht die Gegenleistung der Krankenversicherung darin, manche in Anspruch genommenen Angebote des Gesundheitssystems zu bezahlen, die "Gegenleistung" des Zwangsfernsehsystems besteht darin, prinzipiell öffentlich-rechtliches Fernsehen zur Verfügung zu stellen, unabhängig davon, ob es in Anspruch genommen wird oder nicht.

Der Unterschied zwischen beiden System liegt formaljuristisch darin, dass der Rundfunkbeitrag sich an das Innehaben einer Wohnung anschließt und eine Wohnung in der Regel, so die Argumentation, über Rundfunkempfangsgeräte verfügt, so dass der Gesetzgeber hier pauschalisierend Rundfunkbeiträge für das Innehaben einer Wohnung erheben darf.

Der Krankenversicherungszwang ist hingegen Pflicht für jede natürliche Person. Es besteht für jede Person allerdings die Wahlfreiheit (bei Selbständigkeit oder ausreichend großem Einkommen) sich alternativ privat, oder (noch) über kleine Versicherungssolidargemeinschaften (wie die Atabana) zu versichern.

Reicht dies als Abgrenzung aus?


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 24. September 2014, 00:17 von Bürger«

R
  • Beiträge: 1.126
Nicht nur die Krankenversicherung wird von den Beitragsbefürwortern bemüht. Auch noch unabdingbar wichtigere Sachen als eine Sozialversicherung, gleich welchen Zweigs, müssen als fadenscheinige Argumente herhalten. Dazu Herr Jörg Schönenborn:

Zitat
„Gehen wir die Thesen mal durch. Es gebe in diesem Land nichts, das vergleichbar sei mit der “Zwangsabgabe” für den Rundfunk. Aus der Kirche könne man austreten. Eine Wohnung könne man kündigen, nur eben nicht den Rundfunkbeitrag. Wer so argumentiert, kündigt vor allem eines auf: jede Form von gesellschaftlicher Solidarität. Eigentlich ist es bei uns nämlich gesellschaftlicher Konsens, dass wichtige Strukturen für das Zusammenleben gemeinschaftlich finanziert werden, und zwar egal, ob sie jeder persönlich nutzt oder nicht. Das beginnt beim Wasseranschluss, für den jeder, der irgendwo “wohnt”, eine “Zählergebühr” bezahlt, ohne auch nur einen Liter verbraucht zu haben. Das gilt für Straßen, deren Bau und Pflege über die Steuern jeder mitbezahlt, der kein Auto hat. Und es hört mit dem Sessel im Konzertsaal noch lange nicht auf, der jeden Abend solidarisch bezuschusst wird, selbst wenn das Konzert ausverkauft ist.“

Wobei insbesondere sein "...Wasseranschluss,  für den jeder, der irgendwo “wohnt”, eine “Zählergebühr” bezahlt," totaler Unfug ist. Da hat der Oberschlaue schlicht die Menschen vergessen, die im  Außenbereich wohnen und sich mit Wasser über eine Brunnenanlage selber versorgen. Wäre ein Dingen, wenn die auch noch für die Allgemeinheit mitblechen dürften. Wobei aber gerade hier auch das Argument gewertet werden müsste, dass ALLE in einem Sozialgefüge gerade in Punkto Wasserversorgung füreinander einstehen sollten. Aber letztendlich gilt hier: wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch. Und das dürfte dann erst recht für den ÖRR gelten.

Ohne Bestellung keine Knete für den Lieferanten.

Hier der Link zu den geistigen Ergüssen des Jörg S.:
http://www.ard.de/home/intern/presse/pressearchiv/253050/index.html

Und hier der Volltext. Wurde ja öffentlich-rechtlich kreiert, daher sollte er auch für die Nachwelt erhalten bleiben und besonders von denen mal verinnerlicht werden, die sich erst später hier im Forum eingeschaltet haben:

Zitat
Stellungnahme
"Ein Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Gesellschaft"

Jörg Schönenborn

Jörg Schönenborn, WDR-Chefredakteur Fernsehen, zur Kritik am neuen Rundfunkbeitrag und der Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Die Tage sind zum Jahresende kurz und meistens düster. Wenn man derzeit Medienseiten deutscher Zeitungen liest, möchte man als ARD-Mitarbeiter beinahe zu Anti-Depressiva greifen - wäre da nicht: die Wirklichkeit. Mit der hat nämlich wenig von dem zu tun, was da oft geschrieben steht. Viele Artikel funktionieren nach dem Motto: Ich nehme mir meine These und mache die Welt einfach passend. In dieser Welt begehrt ein Land auf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den nur noch wenige sehen oder hören wollen. Und wenn überhaupt, dann sind es Greise. Diese Welt ist voller Menschen, die Wut haben wie einst bei Sarrazin oder in Stuttgart. Voller Menschen, die ARD und ZDF am liebsten abschaffen möchten. Und wenn man es mit der Wirklichkeit ohnehin nicht so genau nimmt, spielen auch Geschmacksgrenzen keine Rolle mehr. Eine Schlagzeile sprach letzte Woche allen Ernstes vom "UnGEZiefer" – das weckt in mir keine guten Erinnerungen.

Gehen wir die Thesen mal durch. Es gebe in diesem Land nichts, das vergleichbar sei mit der "Zwangsabgabe" für den Rundfunk. Aus der Kirche könne man austreten. Eine Wohnung könne man kündigen, nur eben nicht den Rundfunkbeitrag. Wer so argumentiert, kündigt vor allem eines auf: jede Form von gesellschaftlicher Solidarität. Eigentlich ist es bei uns nämlich gesellschaftlicher Konsens, dass wichtige Strukturen für das Zusammenleben gemeinschaftlich finanziert werden, und zwar egal, ob sie jeder persönlich nutzt oder nicht. Das beginnt beim Wasseranschluss, für den jeder, der irgendwo "wohnt", eine "Zählergebühr" bezahlt, ohne auch nur einen Liter verbraucht zu haben. Das gilt für Straßen, deren Bau und Pflege über die Steuern jeder mitbezahlt, der kein Auto hat. Und es hört mit dem Sessel im Konzertsaal noch lange nicht auf, der jeden Abend solidarisch bezuschusst wird, selbst wenn das Konzert ausverkauft ist.

Der Rundfunkbeitrag passt gut in dieses Land. Er ist genau genommen eine "Demokratie-Abgabe". Ein Beitrag für die Funktionsfähigkeit unseres Staatswesens und unserer Gesellschaft. Demokratie fußt auf der Urteils- und Entscheidungsfähigkeit ihrer Bürgerinnen und Bürger. Und die ist in einem 80-Millionen-Land nur mittelbar herzustellen, "medial", durch Medien eben. Trotz der vielen guten Zeitungen und Zeitschriften und trotz des Internets geben die Deutschen immer noch zwei Drittel ihres täglichen Medien-Zeitbudgets für Radio und Fernsehen aus. Und weil man schwerlich ein kommerzielles Vollprogramm findet, das auch nur eine halbe Stunde pro Tag über Politik berichtet, behaupte ich: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sichert das Funktionieren unserer Demokratie.

Der vom Bundesverfassungsgericht geprägte Begriff der "Grundversorgung" ist aktueller denn je. Zu dieser Grundversorgung gehört auch kulturelle Breite gerade in den Sparten, für die sich wenige interessieren. Dazu gehören Angebote für Minderheiten genauso wie Programme für die Integration derer, die längst eine "Mehrheit" geworden sind, der Einwanderer. All das stellt der Rundfunkbeitrag langfristig sicher. Das ist kein Freifahrschein – im Gegenteil. Wir werden mehr Rechenschaft ablegen müssen darüber, wie wir mit unserem Geld umgehen. Und wir werden weniger leichtfertig die Information einfach ausfallen lassen können, weil der Sport gerade gute Quoten verspricht.

Dann ist da die These von der Wut, einer Welle der Ablehnung gegen das öffentlich-rechtliche System. Die Wirklichkeit, in der ich lebe, ist eine, in der wir wertgeschätzt werden, sehr sogar. Ich erlebe es höchst selten, dass Zuschauer unser System in Frage stellen. Wer stattdessen irgendwo im Land unterwegs ist, im Münster- oder Sauerland zum Beispiel und sich als WDR-Mitarbeiter zu erkennen gibt, kann viel Lob einstreichen. Für unsere Regionalsendungen, die "Lokalzeiten", die das Publikum überaus schätzt, weil sie ihre Lebenswelt ernst nehmen. Für kritische Magazine oder unsere vielen tollen Dokus. Und, ja!, auch für Gesprächssendungen, die man zur Zeit besser nicht "Talk" nennen sollte. Auch das sichert der Rundfunkbeitrag für die Zukunft.

Die nächste These funktioniert wie eine Wechseljacke, linksrum und rechtsrum. Wahlweise läuft uns das Publikum weg oder wir schielen mit unseren Sendungen nur auf die Quoten. Ja, was denn nun? Ich beschränke mich mal auf den ersten Punkt. Unser öffentlich-rechtliches Rundfunksystem ist nach fast 30 Jahren kommerzieller Konkurrenz sehr vital.

Mit der Tagesschau versammeln wir Abend für Abend durchschnittlich fast neun Millionen Menschen vor einer durch und durch politischen Nachrichtensendung. Bei RTL aktuell sind es nicht halb so viele. Und wenn man nicht auf den Marktanteil sondern auf die tatsächliche Zuschauerzahl sieht, haben wir natürlich auch mehr junge Zuschauer. Anderes Beispiel: Der Tatort strukturiert für Millionen den Sonntagabend. Und man guckt ihn auch deshalb, um am Montagmorgen mitreden zu können. Das ist gesellschafts-bildend im doppelten Sinne des Wortes. Haben wir wirklich keine jungen Zuschauer mehr? Den Münster-Tatort sehen etwa so viele 14-29jährige wie Grey`s Anatomy oder Galileo. Schön wäre, wenn wir mehr Programme für die Jüngeren hätten. Aber wenn wir sie anbieten, findet sie das Publikum. Vom Radio will ich gar nicht reden. Hat Einslive, das bundesweit erfolgreichste junge Radioprogramm, etwa nichts mit der ARD zu tun?

Nicht dass wir keine Probleme hätten, im Gegenteil. Jüngere im Fernsehen für klassische Politik zu interessieren, ist eine Aufgabe, an der wir oft scheitern. Übrigens nicht nur wir, sondern auch die Zeitungen und die Parteien selbst. Ich glaube, das hat vor allem mit unserem Politik-Begriff zu tun. Für 20jährige ist Politik, wenn in Bangladesh eine Textilfabrik brennt und Menschen sterben, die unsere Kleidung herstellen. Für 30jährige ist Politik, ob man in diese Welt verantwortlich Kinder setzen kann. Und für 60jährige ist Politik, wenn der Bundestag das Afghanistan-Mandat verlängert. So gesehen hat die Tagesschau einen ziemlich alten Politikbegriff, den wir überprüfen müssen. Und zwar deshalb, weil uns die Demokratie-Abgabe noch mehr als bisher verpflichtet, politische Berichterstattung für alle zu machen.

Unsere wichtigsten Verbündeten sind die Zuschauer/innen und Hörer/innen. Die mögen, was wir produzieren – meistens jedenfalls. Und wenn nicht, sollten wir uns der Kritik stellen und unsere Schwächen angehen! Nicht alles, was wir seit Jahren senden, ist immer up to date. Schließlich sollten wir uns nicht den Bären aufbinden lassen, wir seien ausschließlich für die Minderheiten zuständig, und Mehrheiten seien was fürs Kommerzielle. Nein, wir sollten daran arbeiten, dass es weiter Programme für Mehrheiten gibt, für alle. Sonst hätte der Demokratie-Beitrag seinen Sinn verfehlt.

Stand: 27.12.2012, 14.41 Uhr

Am Datum kann man erkennen, was passiert, wenn einem der fette Gänsebraten von Weihnachten nicht bekommt.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 24. September 2014, 00:20 von Bürger«
"Verfassungsrechtlich bedenklich ist schließlich die Reformvariante einer geräteunabhängigen Haushalts- und Betriebsstättenabgabe. Insofern ist fraglich, ob eine solche Abgabe den vom BVerfG entwickelten Anforderungen an eine Sonderabgabe genügt und eine Inanspruchnahme auch derjenigen, die kein Empfangsgerät bereithalten, vor Art. 3 I GG Bestand hätte." Dr. Hermann Eicher, SWR-Justitiar in "Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 12/2009"

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  • Für Informations- und Pressefreiheit!
    • Für Informationsfreiheit
Dazu Herr Jörg Schönenborn: [...] Wer so argumentiert, kündigt vor allem eines auf: jede Form von gesellschaftlicher Solidarität.

;) Die Solidarität aller Versicherten wurde auch bei der Einführung der Zwangskrankenversicherung für alle bemüht. Nun sollen wir solidarisch öffentlich-rechtliches Fernsehen finanzieren. Solidarität ist eigentlich ein schönes Wort, ich mag es.

Zitat Wikipedia:

Zitat
Solidarität (abgeleitet vom lateinischen solidus für gediegen, echt oder fest; Adjektiv: solidarisch) bezeichnet eine, zumeist in einem ethisch-politischen Zusammenhang benannte Haltung der Verbundenheit mit – und Unterstützung von – Ideen, Aktivitäten und Zielen anderer. Sie drückt ferner den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte aus (vgl. auch Solidaritätsprinzip).

Warum funktioniert das nun beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht? Das Problem ist m. E. nicht die fehlende Solidarität, es ist das Fehlen jeglicher gemeinsamer Werte zwischen den Machern des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und großen Teilen der Bevölkerung.

Wie gesagt, ich habe schon seit Jahren keinen Fernseher mehr. Aber wenn man dann doch einmal bei Freunden oder Verwandten dazu kommt, einen Blick in die Flimmerkiste zu werfen, werde ich zunehmend fassungslos! Für wie blöd halten die uns?!!!

Insofern ist die Frage, wer zuerst die Solidarität bei der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender aufgekündigt hat. Die öffentlich-rechtlichen Macher oder der Bürger, der sich nicht länger für blöd verkaufen lässt.


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Am Datum kann man erkennen, was passiert, wenn einem der fette Gänsebraten von Weihnachten nicht bekommt.

Allein wegen des Gedankens, mal das Schicksal anderer Bürger teilen zu müssen, soll der Solidaritätsheld Antidepressiva nehmen.


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Das ist richtig, meine Formulierung war etwas überspitzt. Der Rundfunkbeitrag darf verfassungsrechtlich niemals zum Teilnahmezwang ausarten, deswegen argumentieren die Gerichte, dass selbst bei geringem Einkommen eine Einschränkung der Informationsfreiheit nicht vorliege, da die Möglichkeit der Befreiung aus sozialen Gründen besteht und der Beitrag darüber hinaus so geringfügig wäre, dass eine Einschränkung nicht gegeben sei.

Nein. es geht um etwas Grundsätzliches. Ohne Teilnahme, keinen Vorteil, auch nicht die Möglichkeit ist ein Vorteil. Die Teilnahme (an der abstrakten Möglichkeit ohne Nutzung) kann auf Grund der Informationsfreiheit nicht erzwungen werden. Wo keine Teilnahme, keinen Beitrag.


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b
  • Beiträge: 74
Zitat
Jörg Schönenborn.....
.....Der Rundfunkbeitrag passt gut in dieses Land. Er ist genau genommen eine "Demokratie-Abgabe". Ein Beitrag für die Funktionsfähigkeit unseres Staatswesens und unserer Gesellschaft.

Sollte das nichts "Staatsfern" sein? Oder verstehe ich da nur was falsch??


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---------------
Mfg
badboy-72

 
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