Von der neuen Gebührenregelung sind rund 580.000 bislang befreite Personen mit Behinderungen betroffe.
Die Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten setzten im Herbst 2012 Behinderte davon in Kenntnis, dass von ihnen ab 2013 ein ermäßigter Beitrag in Höhe von monatlich 5,99 zu entrichten sei. Auf dem Beiblatt Seite 2 heißt es:
„Was ändert sich für Sie?
1. Sie sind aus gesundheitlichen Gründen von der Rundfunkgebühr befreit.
Menschen mit Behinderung, denen das Merkzeichen „RF“ zuerkannt wurde, sind ab 2013 beitragspflichtig. Sie zahlen jedoch nur einen ermäßigten Beitrag von 5,99 Euro monatlich.
Ihre Befreiung werden wir ab dem 1. Januar 2013 automatisch auf den ermäßigten Beitrag umstellen. Für die Umstellung brauchen Sie nichts weiter zu tun. Die zukünftige Ermäßigung gilt für den selben Zeitraum wie die bisherige Befreiung.“
Mit der Beitragsrechnung für 2013, informiert der Beitragsservice der ARD, ZDF und Deutschlandradio die Behinderten darüber, dass der Rundfunkbeitrag in Zukunft die Rundfunkgebühr ersetzt.
Des weiteren werden die Behinderte zur Zahlung eines ermäßigten Rundfunkbeitrages in Höhe von 17,97 für das erste Quartal 2013 aufgefordert, des weiteren werden bei Nichtzahlung ein Verwaltungszwangsverfahren sowie ein Ordnungswidrigkeiten-verfahren mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 1.000,00 € angedroht.
Zunächst geht es um die Begrifflichkeit und Definition von Gebühr und Beitrag
Bisher:
Eine Gebühr (veraltet: Gebührnis) ist eine Abgabe, die für verschiedene behördliche Tätigkeiten erhoben wird, oder ein Entgelt, das gesetzlich geregelt ist, z.B. Praxisgebühr. Im Sprachgebrauch wird der Begriff auch häufig für privatwirtschaftliche Entgelte verwendet, insbesondere bei ehemals staatlichen Leistungen (Telefongebühren).
Jetzt:
Ein Beitrag ist eine Sache, die man selbst irgendwo hinzu steuert, mit der man sich an etwas beteiligt. Zum Beispiel zahlt man Beiträge in Form von Geld, ebenso kann man sich an einer Diskussion mit Beiträgen beteiligen.
Der Unterschied zwischen Gebühr und Beitrag liegt darin, dass ein Beitrag auf freiwilliger Basis beruht, im Gegensatz zu einer Gebühr, die von Gesetzes wegen erhoben wird und aus der man sich nicht lösen kann.
Bei der Rundfunkbeitrag kann man wohl kaum von einer freiwilligen Leistung sprechen, da jeder Wohnungsinhaber zur Zahlung verpflichtet wird. Der Mitgliedsbeitrag eines Vereins setzt voraus, dass freiwillig in den Verein eingetreten werden kann. Auch das Bezahlfernsehen SKY kassiert Beiträge, jedoch muss auch hier zuvor ein Vertrag abgeschlossen und beigetreten werden. Wenn man mit dem Programmangebot nicht zufrieden ist, besteht die Möglichkeit der Kündigung, was bei den Öffentlich-rechtlichen nicht möglich ist. Somit ist es der falsche Begriff oder es fehlt an der Freiwilligkeit des Beitritts. Eine Zwangsmitgliedschaft halte ich für rechtlich äußerst bedenklich, da hierfür alle weiteren Grundlagen fehlen.
Die Rundfunkgebührenbefreiung.
Viele Behinderte sind von der Rundfunkgebühr laut rechtskräftigem Bescheid von der Rundfunkgebühr befreit. Die Befreiung und der Eintrag „RF“ in ihren Behindertenausweis erfolgte auf der Grundlage des § 69 Neuntes Buch SGB IV. Dieser Bescheid ist verwaltungsrechtlich nicht aufgehoben worden und besteht nach wie vor. Folge dessen fehlt ein Aufhebungsbescheid und der Erlass eines neuen Gebührenbescheides.
Die Definition von „Befreit“ ist eindeutig und heißt das „Gesamte erlassen“ und nicht dass man einen reduzierten Beitrag von 1/3 zu bezahlen hat.
Bei dem Merkzeichen „RF“ handelt es sich um einen vom Gesetzgeber (Bund) eingerichteten „Nachteilausgleich“ der seine Begründung im SGB IX findet und somit ein Bundesgesetz ist, welches nicht durch einen Vertrag (Staatsvertrag) der Länder ausgehebelt werden kann, Art. 31 GG Bundesrecht bricht Landesrecht.
Im Merkblatt zum Befreiungsbescheid heißt es:
„RUF“ Rundfunkgebührenbefreiung (Nachteilausgleiche bei Rundfunk, Fernseher und Telefon)
„§ 126 SGB IX Nachteilausgleich
(1) Die Vorschriften über Hilfen für behinderte Menschen zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile oder Mehraufwendungen (Nachteilausgleich) werden so gestaltet, dass sie unabhängig von der
Ursache der Behinderung, der Art oder Schwere der Behinderung Rechnung tragen.
(2) Nachteilausgleiche, die auf Grund bisher geltender Rechtsvorschriften erfolgen, bleiben unberührt.“
Die Rundfunkanstalten begründen die Zahlung des gekürzten Beitrages für Behinderte, die bislang von den Rundfunkgebühren befreit waren, damit, dass sie in Zukunft ein barrierefreies Fernsehen schaffen werden. Hierzu sind die Rundfunkanstalten jedoch nach § 7, § 9, und § 11 BGG schon seit langem verpflichtet und kommen dieser Verpflichtung seit Jahren nicht nach.
Auch die seit März 2009 von der UNO beschlossene, von der EU und der Bundesrepublik ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention die Medien zur umfassenden Information über die Situation der Menschen mit Behinderung verpflichtet, wird von den Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht umgesetzt .
Jetzt extra dafür von den Behinderten eine Gebühr zu kassieren ist gesetzeswidrig, auch hier fehlt jegliche Gesetzesgrundlage.
Des weiteren wird von den Rundfunkanstalten für ihre Beitragsänderung für Behinderte das BSG, Urteil vom 28. 6. 2000 - B 9 SB 2/00 R herangezogen.
„Ungeachtet der Zugehörigkeit auch psychisch Behinderter zum Kreis der Berechtigten hält der Senat an seiner Auffassung fest, dass ein durch Gebührenbefreiung ausgleichbarer Mehraufwand behinderter Rundfunk- und Fernsehteilnehmer kaum je entstehen dürfte, weil die deutsche Bevölkerung unabhängig von Behinderungen nahezu vollständig Rundfunk hört und fernsieht. (vgl zur Frage, ob das Merkzeichen "RF" den gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen noch entspricht BSG SozR 3-3870 § 48 Nr 2 und Urteil des Senats vom 16. März 1994 - 9 RVs 3/93 - unveröffentlicht). Der Senat sieht deshalb in der Gebührenbefreiung für Behinderte einen Verstoß gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der verhältnismäßigen Gleichbehandlung aller Nutzer (vgl BVerfGE 50, 217, 227; BSG SozR 3- 3870 § 4 Nr 2; Vogel in Hdb des Staatsrechts, Bd IV, 1990 § 87 Nr 100; ebendort
Kirchhof, § 88 RdNr 203). Die daraus folgende Konsequenz kann aber nur der Verordnungsgeber ziehen. Denn die Versorgungsverwaltung und die Sozialgerichte haben lediglich - allerdings mit verbindlicher Wirkung für die Rundfunkanstalten (vgl BVerwGE 66, 315 ff) - über ein gesundheitliches Merkmal des Befreiungstatbestandes der RGVO, nicht über die - möglicherweise gegen höherrangiges Recht verstoßende - Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht zu entscheiden. Im übrigen eröffnet der Nachteilausgleich auch den Zugang zu günstigeren Tarifen von - inzwischen durchweg privatrechtlich organisierten - Anbietern der Telekommunikation (vgl dazu BSG SozR 3870 § 3 Nr 13). „
Im Bezug auf die Telekommunikation verweist der Senat im o.g. Urteil auf BSG SozR 3870 § 3 Nr 13) und führt an:
„Nachteilausgleich auch den Zugang zu günstigeren Tarifen von - inzwischen durchweg privatrechtlich organisierten - Anbietern der Telekommunikation.“
Im Bereich Rundfunk und Fernsehempfang lässt sich ein Ausweichen auf rein private Anbieter nicht anwenden. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erheben grundsätzlich pro Wohnung eine Gebühr (Zwangsabgabe) auch dann, wenn kein Gerät zum Empfang bereit steht. Würde man im Umkehrschluss den Hinweis des GBS auf die Telekommunikation übertragen, müsste jeder Haushalt eine Gebühr an die Telekom entrichten, egal bei welchem privaten Telefonanbieter er sich befindet.
Im o.g. Urteil stellt der Senat einen Vergleich zwischen Behinderten und nicht Behinderten in ihrem Radio und Fernsehkonsum an. Das BSG stellt dabei fest, dass es zwischen den beiden Personengruppen keinen Unterschied mehr in ihrem Rundfunkkonsum gibt. Daher gebe es auch keinen durch Gebührenbefreiung auszugleichenden Mehraufwand für Behinderte mehr.
Der Senat verkennt offensichtlich, dass es hier nicht um den „Mehraufwand“, sondern es um einen „Nachteilausgleich“ durch die Nichtteilnahme am öffentlichen Leben durch Behinderte geht.
Der Senat verkennt auch, dass so z.B. das Aufsuchen von öffentlichen Veranstaltungen von Behinderten grundsätzlich gewährleistet sein muss, was natürlich nicht der Fall ist. Weder eine körperliche und geistige Einschränkung von Behinderten, noch die baulichen und bürokratischen Barrieren, welche die Teilhabe am öffentlichen Leben erschweren oder unmöglich machen, wurden vom Senat angemessen berücksichtigt.
Was oft dabei vergessen wird, sind nicht nur die körperlichen, geistigen und seelischen Einschränkungen der Behinderten, die sie an der Teilnahme am öffentlichen Leben hindern. Es sind immer noch oftmals bauliche Barrieren vorhanden, wofür der Staat in der Umsetzung des BGG (Behindertengleichstellungsgesetz) sowie Art. 3 Abs. 3 GG die Verantwortung trägt. Darüber hinaus wird in diesem Zusammenhang häufig nicht daran gedacht, dass oftmals ganz andere Gründe Behinderte daran hindern am öffentlichen Leben teilzunehmen.
Hierzu Beispiele:
Ein Besuch eines André-Rieu-Konzerts ist daran gescheitert, dass das Kontingent der Rollstuhlfahrer-Plätze aus feuerpolizeilichen Gründen erschöpft war. Das Konzert war zu der Zeit nur zur Hälfte ausverkauft, ein normaler Sitzplatz wäre jederzeit zu bekommen gewesen.
Beim Bestellen der Karten für ein Andrea-Berg-live-Konzert an welchem der SWR4 mitwirkte, wurde festgestellt, dass in den allgemeinen Geschäftsbedingungen steht, dass das Mitbringen von Sitzgelegenheiten jeglicher Art verboten ist. Eine schriftliche Anfrage, ob „Rollstühle“ auch unter diese Sitzgelegenheiten fallen, blieb unbeantwortet. Somit fiel auch diese Veranstaltung für den Rollstuhlfahrer aus.
Bei einem Nena-Konzert in Ulm waren extra in der Mitte des Saales Plätze für Rollstuhlfahrer mit ihren Begleitpersonen reserviert. Nach dem zweiten Lied forderte die Künstlerin „Nena“ das Publikum zum Mitmachen auf, worauf alle aufstanden. Ab diesem Moment hatte der Rollstuhlfahrer für 2 ½ Stunden in kürzester Entfernung einen im Rhythmus schwingenden Hintern vor seiner Nase, eine Sicht auf die Bühne war somit nicht mehr möglich. Den Platz zu wechseln, wurde durch die Saalordner verhindert.
Das Aufsuchen von Großveranstaltungen scheitert allein schon an den Toiletten. Die Veranstalter werden von den Genehmigungsbehörden zwar zum Aufstellen von ausreichend vielen Toiletten verpflichtet, hierbei handelt es sich jedoch um Toilettenwagen die über eine Treppe erreichbar sind, oder DIXI- Toiletten die viel zu schmal für Rollstuhlfahrer sind. Somit ist das Aufsuchen von Großveranstaltungen für Rollstuhlfahrer, die nicht eine Ordnungswidrigkeit wegen öffentlichem Urinieren begehen möchten, nicht machbar.
Zurecht wurde hierfür vom Gesetzgeber der Nachteilausgleich eingeführt.
Derartige Beispiele gibt es viele, und es ist nur gerechtfertigt, dass der Staat hier einen Nachteilausgleich schafft, was er auch mit § 69 Neuntes Buch SGB IV. getan hat, in dem er beispielsweise die Rundfunkgebühren für Behinderte erlässt.
Dies ist vergleichbar mit dem jetzt eingeführten Kinderbetreuungsgeld. Nachdem der Staat und die Kommunen nicht in der Lage waren, ausreichend viele Krippenplätze zur Verfügung zu stellen, wird jetzt ein Betreuungsgeld als Nachteilausgleich bezahlt.
Hier ist der Gesetzgeber (Bund) gefragt um Klarheit zu schaffen und nicht die Länder in Form eines Staatsvertrages. Darüber hinaus, würde man das o.g. BSG-Urteil 1 zu 1 umsetzen, müssten in Zukunft Behinderte den vollen Preis bezahlen und nicht wie jetzt gefordert nur ein 1/3.
Laut Spiegel-Online sind künftig von der neuen Gebührenregelung rund 580.000 bislang befreite Personen mit Behinderungen betroffen. Somit können die Rundfunkanstalten hier wohl kaum von Einzelfällen sprechen, wie es in div. Sendungen zu diesem Thema durch den Intendant des Südwestrundfunks (SWR) Peter Boudgoust behauptet wurde.