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Autor Thema: EuGH C-73/06 - Begriff "Sitz d. wirtschaftlichen Tätigkeit"  (Gelesen 211 mal)

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Vorabhinweis:
In der Rechtssache, die Folge eines Vorabentscheidungsersuchens des Finanzgerichtes Köln ist, geht es zwar um die mehrwertsteuerrechtliche Betrachtung, aber es wird auch auf das Insolvenzrecht verwiesen; siehe Rn. 68f des Schlußantrages. Es ist sogar denkbar, daß auch andere Regelwerke der Union eine entsprechende Deutung enthalten.

Der mehrwertsteuerliche Aspekt ist für alle LRA und Co. von Bedeutung, so diese Werbung publizieren oder andere mehrwertsteuerpflichtige Einnahmen erzielen.

Der Unionsrahmen unterscheidet zwischen "Sitz" und "Niederlassung".

Eine "Niederlassung" ist nur dann als "Sitz" zu qualifizieren, wenn an diesem Ort eine "autonome Erbringung der Dienstleistungen" möglich ist; siehe Rn. 67 des Schlußantrages.

In diesem Sinne hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg allein in der Stadt Berlin seinen Sitz, siehe Rn. 60 der Entscheidung, und keine Sitze im Land Brandenburg; die Begriffe "Hauptsitz", bzw., "Nebensitz" kennt der Unionsrahmen offenbar nicht.

Die Bürger/-innen des Landes Brandenburg brauchen sich in Belangen des Rundfunk Berlin-Brandenburg jedenfalls nicht auf das Recht des Landes Berlin verweisen lassen, denn, da Rundfunk Landesrecht ist, wird der Rundfunk Berlin-Brandenburg im Land Brandenburg nur nach Bundes- bzw. Unionsrecht tätig.

Entsprechend findet das Recht des Landes Berlin durch Behörden, bzw., öffentliche Stellen des Landes Brandenburg keine Anwendung. (Wer mag, darf darüber gerne streiten, aber bitte nicht in diesem Thema)

Gemäß der im Forum bereits thematisierten Alt-Entscheidung des Bundesverwaltunsgerichtes wirkt Landesrecht nicht über das Land hinaus; länderübergreifend wirkt nur Bundesrecht und das noch ranghöhere Unionsrecht.

Querverweise, (diesmal am Anfang):
BVerwG 6 A 2.12 - Einhaltepflicht höherrangiger Rechtsgrenzen durch Landesrecht (2013-02-20)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=33743.0

BVerwG, 05.11.1965 - BVerwG VII C 119.64
Eine landesrechtliche Bestimmung ist nach Landesrecht zu beurteilen

https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=23914.0

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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
28. Juni 2007(*)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 17 Abs. 3 und 4 – Erstattung der Mehrwertsteuer – Achte Mehrwertsteuerrichtlinie – Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige – Art. 3 Buchst. b und 9 Abs. 2 – Anhang B – Bescheinigung über die Steuerpflichtigeneigenschaft – Rechtliche Bedeutung – Dreizehnte Mehrwertsteuerrichtlinie – Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige – Art. 1 Nr. 1 – Begriff des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit“

In der Rechtssache C-73/06

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=61694&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1259637

Zitat
53      Zu diesen Anknüpfungspunkten gehören u. a. der „Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit“ und das Vorhandensein einer „festen Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind“.

56      Eine feste Einrichtung, die nur dazu verwendet wird, für das Unternehmen Tätigkeiten vorbereitender Art oder Hilfstätigkeiten vorzunehmen, wie z. B. das Anwerben von Personal oder den Ankauf von für die Durchführung der Unternehmenstätigkeit erforderlichen Sachmitteln, ist keine feste Niederlassung.

58      Zum Begriff „Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie ist festzustellen, dass zwar ein und derselbe Ort gleichzeitig Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit und feste Niederlassung des betreffenden Unternehmens sein kann, die Tatsache allein aber, dass diese Bestimmung, wie übrigens auch Art. 1 der Achten Richtlinie, zwischen den Begriffen „Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit“ und „feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind“, unterscheidet, zeigt, dass der erste dieser Begriffe nach der Vorstellung des Gemeinschaftsgesetzgebers eine vom zweiten unabhängige Bedeutung hat.

59      Daraus folgt, dass es der Umstand, dass nach den vom vorlegenden Gericht im Rahmen des Ausgangsverfahrens getroffenen Feststellungen der Ort, von dem aus die Tätigkeiten der Klägerin des Ausgangsverfahrens tatsächlich ausgeübt werden, nicht im Ausstellungsstaat liegt, an sich noch nicht ausschließt, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens dort den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit unterhält.

60      Wenn es sich wie im Ausgangsverfahren um eine Gesellschaft handelt, bezieht sich der Begriff „Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie auf den Ort, an dem die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung dieser Gesellschaft getroffen und die Handlungen zu deren zentraler Verwaltung vorgenommen werden.

Zitat
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Art. 3 Buchst. b und 9 Abs. 2 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige sind dahin auszulegen, dass eine dem Muster in Anhang B dieser Richtlinie entsprechende Bescheinigung grundsätzlich die Vermutung begründet, dass der Betreffende nicht nur in dem Mitgliedstaat, dessen Steuerverwaltung ihm die genannte Bescheinigung ausgestellt hat, mehrwertsteuerpflichtig ist, sondern dass er dort auch ansässig ist.

Diese Bestimmungen bedeuten allerdings nicht, dass es der Steuerverwaltung des Staates, in dem die Erstattung der Vorsteuer beantragt wird, verwehrt wäre, sich bei Zweifeln an der wirtschaftlichen Realität des Sitzes, dessen Anschrift in dieser Bescheinigung angegeben ist, zu vergewissern, ob diese Realität tatsächlich gegeben ist, indem sie auf die Verwaltungsmaßnahmen zurückgreift, die die Gemeinschaftsregelung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer hierzu vorsieht.

2.      Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17. November 1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige ist dahin auszulegen, dass der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Gesellschaft der Ort ist, an dem die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung dieser Gesellschaft getroffen und die Handlungen zu deren zentraler Verwaltung vorgenommen werden.

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
VERICA TRSTENJAK
vom 19. April 20071(1)
Rechtssache C-73/06

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=60940&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1259637

Zitat
64.      Zumeist stimmt der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit mit dem statutarischen Sitz überein. So führte Generalanwalt Mancini in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Berkholz aus: „Der Begriff ‚Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit‘ … [ist] in technischem Sinne zu verstehen …: Er bezieht sich auf den Gesellschaftssitz, wie er in dem Vertrag über die Gründung der Gesellschaft angegeben ist, die Inhaberin des dienstleistenden Unternehmens ist“(26). Es kann sich jedoch als notwendig erweisen, nachzuprüfen, ob dies wirklich der Fall ist, um künstliche Gestaltungen zu vermeiden, mit denen die Regeln des Mehrwertsteuersystems der Gemeinschaft umgangen werden können.

66.      So wird im Urteil Berkholz darauf hingewiesen, dass der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat, sich als vorrangiger Anknüpfungspunkt darstellt und dass die Zuordnung einer Dienstleistung zu einer anderen Niederlassung als dem Sitz nur in Betracht kommt, wenn „diese Niederlassung aufgrund des ständigen Zusammenwirkens der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen persönlichen und Sachmittel einen zureichenden Mindestbestand aufweist“(27).

67.      Im Urteil ARO Lease ist außerdem darauf hingewiesen worden, dass eine Niederlassung nur dann sachdienlicherweise unter Abweichung vom vorrangigen Kriterium des Sitzes als Ort der Dienstleistungen eines Steuerpflichtigen betrachtet werden kann, „wenn sie einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur hat, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht“(28).

68.      Im Übrigen ist es, wenn es angezeigt ist, bei der Bestimmung des Begriffs des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie die Ausführungen des Gerichtshofs zu Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie zu berücksichtigen, ebenfalls nützlich, seine Rechtsprechung zur Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren herauszuziehen, wie dies von der deutschen Regierung angeregt worden ist.

72.      Daher wird vorgeschlagen, auf die zweite Frage zu antworten, dass der Begriff des „Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie den Ort meint, an dem sich die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens tatsächlich entfaltet und der durch das Zusammenwirken hinreichender Personal? und Sachmittel zur autonomen Ausübung dieser Tätigkeit gekennzeichnet ist. Bis zum Beweis des Gegenteils ist dieser Ort der des statutarischen Sitzes.


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