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Autor Thema: EuGH C-366/10 - Nur EuGH darf Unionsrecht für ungültig erklären  (Gelesen 259 mal)

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Vorabinfo:
Auch die Aussage im Titel ist gefestigte Rechtsprechung; eine der Entscheidungen, auf die der EuGH verweist, (Foto Frost), wurde von @Profät Di Abolo bereits im Forum zitiert. Nachstehend nun eine aktuellere Entscheidung, aus der der Wortlaut zu den Rn. 47 und 48 thematisiert wird.

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
21. Dezember 2011(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Richtlinie 2003/87/EG – System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten – Richtlinie 2008/101/EG – Einbeziehung des Luftverkehrs in dieses System – Gültigkeit – Chicagoer Abkommen – Kyoto-Protokoll – Luftverkehrsabkommen EU/Vereinigte Staaten – Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts – Rechtswirkungen – Möglichkeit der Geltendmachung – Extraterritoriale Wirkung des Unionsrechts – Begriffe ‚Gebühr’ und ‚Abgabe’“

In der Rechtssache C-366/10

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=117193&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1144300

Zitat
47      Zunächst ist zu beachten, dass die nationalen Gerichte nach ständiger Rechtsprechung nicht befugt sind, Handlungen der Organe der Union für ungültig zu erklären. Die dem Gerichtshof in Art. 267 AEUV zuerkannten Befugnisse bezwecken nämlich im Wesentlichen, eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts durch die nationalen Gerichte zu gewährleisten. Diese Einheitlichkeit ist von besonderer Bedeutung, wenn es um die Gültigkeit eines Unionsrechtsakts geht. Denn Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten über die Gültigkeit von Unionsrechtsakten wären geeignet, die Einheit der Unionsrechtsordnung selbst zu gefährden und das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit zu beeinträchtigen (Urteil vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C-344/04, Slg. 2006, I-403, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Daher ist allein der Gerichtshof befugt, die Ungültigkeit eines Unionsrechtsakts wie der Richtlinie 2008/101 festzustellen (vgl. Urteile vom 22. Oktober 1987, Foto-Frost, 314/85, Slg. 1987, 4199, Randnr. 17, vom 21. Februar 1991, Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest, C-143/88 und C-92/89, Slg. 1991, I-415, Randnr. 17, vom 21. März 2000, Greenpeace France u. a, C-6/99, Slg. 2000, I-1651, Randnr. 54, IATA und ELFAA, Randnr. 27, sowie vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C-188/10 und C-189/10, Slg. 2010, I-5667, Randnr. 54).

Nachstehende weitere Entscheidung enthält eine weiterführende, durchaus interessante Aussage.

Querverweis zu Rn. 48 betreffs C-143/88:
Urteil des Gerichtshofes vom 21. Februar 1991.
Zuckerfabrik Süderdithmarschen AG gegen Hauptzollamt Itzehoe und Zuckerfabrik Soest GmbH gegen Hauptzollamt Paderborn.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Hamburg und Finanzgericht Düsseldorf - Deutschland.
Befugnis der nationalen Gerichte, im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes die Vollbeziehung eines auf einer Gemeinschaftsverordnung beruhenden nationalen Verwaltungsakts auszusetzen - Gültigkeit der besonderen Tilgungsabgabe für Zucker.

Verbundene Rechtssachen C-143/88 und C-92/89.
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/TXT/?uri=CELEX:61988CJ0143

Zitat
16 Artikel 189 Absatz 2 EWG-Vertrag kann den Rechtsschutz nicht verkürzen, der den Bürgern nach Gemeinschaftsrecht zusteht. Der gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Rechtsschutz umfasst in den Fällen, in denen die verwaltungsmässige Durchführung von Gemeinschaftsverordnungen nationalen Stellen obliegt, das Recht der Bürger, die Rechtmässigkeit dieser Verordnungen vor dem nationalen Gericht inzident zu bestreiten und dieses zur Befassung des Gerichtshofes mit Vorlagefragen zu veranlassen.

17 Dieses Recht wäre gefährdet, wenn der Bürger trotz des Vorliegens bestimmter Voraussetzungen solange nicht in der Lage wäre, eine Aussetzung der Vollziehung zu erreichen und damit für sich der Verordnung einstweilen die Wirksamkeit zu nehmen, als es an einem Urteil des Gerichtshofes fehlt, der allein befugt ist, die Ungültigkeit einer Gemeinschaftsverordnung festzustellen (vgl. Urteil vom 22. Oktober 1987 in der Rechtssache 314/85, Foto-Frost, Slg. 1987, 4199, Randnr. 20). 

Zitat
18 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 22. Oktober 1987 (Foto-Frost, a. a. O., Randnr. 16) ausgeführt hat, stellt das Vorabentscheidungsersuchen zur Beurteilung der Gültigkeit, ebenso wie die Nichtigkeitsklage, eine Form der Kontrolle der Rechtmässigkeit der Handlungen der Gemeinschaftsorgane dar. Im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gibt nun Artikel 185 EWG-Vertrag dem Kläger das Recht, eine Aussetzung der Durchführung der angefochtenen Handlung zu beantragen, und dem Gerichtshof die Befugnis, sie zu gewähren. Die Kohärenz des Systems des vorläufigen Rechtsschutzes verlangt somit, daß das nationale Gericht die Vollziehung eines auf einer Gemeinschaftsverordnung beruhenden nationalen Verwaltungsakts aussetzen kann, wenn dessen Rechtmässigkeit bestritten wird.

[...]

20 Der vorläufige Rechtsschutz, den das Gemeinschaftsrecht den Bürgern vor den nationalen Gerichten sichert, muß unabhängig davon derselbe sein, ob sie die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht oder die Gültigkeit abgeleiteten Gemeinschaftsrechts rügen, da diese Rüge in beiden Fällen auf das Gemeinschaftsrecht selbst gestützt ist. 

Zitat
Die Voraussetzungen der Aussetzung

23 Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts kann nur ausgesetzt werden, wenn die vom Antragsteller angeführten sachlichen und rechtlichen Gegebenheiten das nationale Gericht davon überzeugen, daß an der Gültigkeit der Gemeinschaftsverordnung, auf der der angefochtene Verwaltungsakt beruht, erhebliche Zweifel bestehen. Die Aussetzung rechtfertigt sich nämlich allein aus der Möglichkeit einer Feststellung der Ungültigkeit, die dem Gerichtshof vorbehalten ist.

24 Weiter muß die Aussetzung der Vollziehung vorläufig bleiben. Das nationale Gericht kann im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes die Vollziehung also nur aussetzen, bis der Gerichtshof über die Frage der Gültigkeit entschieden hat. Damit obliegt es ihm, sofern der Gerichtshof mit dieser Frage noch nicht befasst ist, diese selbst vorzulegen und dabei die Gründe anzugeben, aus denen es die Verordnung für ungültig hält.

[...]

27 Da die Befugnis der nationalen Gerichte, die Vollziehung eines solchen Verwaltungsakts auszusetzen, der Befugnis des Gerichtshofes nach Artikel 185 im Rahmen von Klagen nach Artikel 173 entspricht, können diese Gerichte die Vollziehung nur unter den Voraussetzungen aussetzen, die für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung durch den Gerichtshof gelten.

Die Bürger/-innen selber haben also das Recht, die Gültigkeit einer Norm des Gemeinschaftsrechts gerichtlich anzuzweifeln und das damit befasste Gericht zu veranlassen, eine diesbezügliche Vorlage an den EuGH zu unterbreiten?

Weiterer  Querverweis zu Rn. 48 betreffs der Rechtssache 314/85:
Urteil des Gerichtshofes vom 22. Oktober 1987.
Foto-Frost gegen Hauptzollamt Lübeck-Ost.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Hamburg - Deutschland.
Unzuständigkeit der nationalen Gerichte für die Feststellung der Ungültigkeit von Handlungen der Gemeinschaft - Gültigkeit einer Entscheidung über die Nacherhebung von Eingangsabgaben.
Rechtssache 314/85.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A61985CJ0314&qid=1706649337566

Zitat
17 DA ARTIKEL 173 DEM GERICHTSHOF DIE AUSSCHLIESSLICHE ZUSTÄNDIGKEIT FÜR DIE NICHTIGERKLÄRUNG DER HANDLUNG EINES GEMEINSCHAFTSORGANS ZUWEIST, VERLANGT ES DIE KOHÄRENZ DES SYSTEMS, DASS DIE BEFUGNIS ZUR FESTSTELLUNG DER UNGÜLTIGKEIT DIESER HANDLUNG, WENN SIE VOR EINEM NATIONALEN GERICHT GELTEND GEMACHT WIRD, EBENFALLS DEM GERICHTSHOF VORBEHALTEN BLEIBT .

18 IM ÜBRIGEN IST HERVORZUHEBEN, DASS DER GERICHTSHOF AM BESTEN IN DER LAGE IST, ÜBER DIE GÜLTIGKEIT VON GEMEINSCHAFTSHANDLUNGEN ZU ENTSCHEIDEN . DENN DIE GEMEINSCHAFTSORGANE, DEREN HANDLUNGEN IN FRAGE GESTELLT WERDEN, KÖNNEN SICH NACH ARTIKEL 20 DES PROTOKOLLS ÜBER DIE SATZUNG DES GERICHTSHOFES DER EWG AM VERFAHREN VOR DEM GERICHTSHOF BETEILIGEN, UM DIE GÜLTIGKEIT DIESER HANDLUNGEN ZU VERTEIDIGEN . AUSSERDEM KANN DER GERICHTSHOF NACH ARTIKEL 21 ABSATZ 2 DES GENANNTEN PROTOKOLLS VON DEN GEMEINSCHAFTSORGANEN, DIE NICHT PARTEIEN IN DEM BETREFFENDEN RECHTSSTREIT SIND, ALLE AUSKÜNFTE VERLANGEN, DIE ER FÜR DIE ERLEDIGUNG DES RECHTSSTREITS FÜR ERFORDERLICH ERACHTET .

19 ES IST HINZUZUFÜGEN, DASS ABWEICHUNGEN VON DER REGEL, NACH DER DIE NATIONALEN GERICHTE NICHT BEFUGT SIND, SELBST DIE UNGÜLTIGKEIT VON GEMEINSCHAFTSHANDLUNGEN FESTZUSTELLEN, UNTER BESTIMMMTEN UMSTÄNDEN IM FALLE EINES VERFAHRENS DER EINSTWEILIGEN ANORDNUNG GEBOTEN SEIN KÖNNEN; DIESER FALL WIRD JEDOCH IN DER FRAGE DES VORLEGENDEN GERICHTS NICHT ANGESPROCHEN .

Und noch ein Querverweis zu einer im Forum bereits thematisierten Entscheidung, die ihrerseits in deren zitierter Rn 71 auf die Rechtssache 314/85, (Foto-Frost), verweist:

EuGH C-430/21 - Auch Urteile des BVerfG sind dem EuGH zwecks Prüfung vorlegbar
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35990.0

Zitat
Rn. 71
Zitat
Ist ein Verfassungsgericht eines Mitgliedstaats der Auffassung, dass eine Bestimmung des sekundären Unionsrechts in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof gegen die Verpflichtung verstoße, die nationale Identität dieses Mitgliedstaats zu achten, muss es das Verfahren aussetzen und dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV ein Ersuchen um Vorabentscheidung über die Gültigkeit dieser Bestimmung im Licht von Art. 4 Abs. 2 EUV vorlegen, da allein der Gerichtshof befugt ist, die Ungültigkeit einer Handlung der Union festzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Oktober 1987, Foto-Frost, 314/85, EU:C:1987:452, Rn. 20, und vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C-583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 96).


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