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Autor Thema: EuGH C-3/16 - Zur Vorlagepflicht des letztinstanzl. nat. Gerichtes  (Gelesen 640 mal)

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URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 6. OKTOBER 1982. - SRL C.I.L.F.I.T. UND LANIFICIO DI GAVARDO S.P.A. GEGEN MINISTERO DELLA SANITA. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER CORTE SUPREMA DI CASSAZIONE. - VORLAGEPFLICHT.
RECHTSSACHE 283/81.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=ecli%3AECLI%3AEU%3AC%3A1982%3A335

Zitat
HAT
DER GERICHTSHOF
AUF DIE IHM VON DER CORTE SUPREMA DI CASSAZIONE MIT BESCHLUSS VOM 27 . MÄRZ 1981 VORGELEGTE FRAGE FÜR RECHT ERKANNT :

ARTIKEL 177 ABSATZ 3 EWG-VERTRAG IST DAHIN AUSZULEGEN , DASS EIN GERICHT , DESSEN ENTSCHEIDUNGEN SELBST NICHT MEHR MIT RECHTSMITTELN DES INNERSTAATLICHEN RECHTS ANGEFOCHTEN WERDEN KÖNNEN , SEINER VORLAGEPFLICHT NACHKOMMEN MUSS , WENN IN EINEM BEI IHM SCHWEBENDEN VERFAHREN EINE FRAGE DES GEMEINSCHAFTSRECHTS GESTELLT WIRD , ES SEI DENN , ES HAT FESTGESTELLT , DASS DIE GESTELLTE FRAGE NICHT ENTSCHEIDUNGSERHEBLICH IST , DASS DIE BETREFFENDE GEMEINSCHAFTSRECHTLICHE BESTIMMUNG BEREITS GEGENSTAND EINER AUSLEGUNG DURCH DEN GERICHTSHOF WAR ODER DASS DIE RICHTIGE ANWENDUNG DES GEMEINSCHAFTSRECHTS DERART OFFENKUNDIG IST , DASS FÜR EINEN VERNÜNFTIGEN ZWEIFEL KEINERLEI RAUM BLEIBT ; OB EIN SOLCHER FALL GEGEBEN IST , IST UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DER EIGENHEITEN DES GEMEINSCHAFTSRECHTS , DER BESONDEREN SCHWIERIGKEITEN SEINER AUSLEGUNG UND DER GEFAHR VONEINANDER ABWEICHENDER GERICHTSENTSCHEIDUNGEN INNERHALB DER GEMEINSCHAFT ZU BEURTEILEN .

Zitat
6 GEMÄSS ABSATZ 2 DIESES ARTIKELS ' ' KANN ' ' JEDES GERICHT EINES MITGLIEDSTAATS DEM GERICHTSHOF EINE AUSLEGUNGSFRAGE ZUR ENTSCHEIDUNG VORLEGEN , WENN ES EINE SOLCHE ENTSCHEIDUNG ZUM ERLASS SEINES URTEILS FÜR ERFORDERLICH HÄLT . WIRD EINE AUSLEGUNGSFRAGE IN EINEM SCHWEBENDEN VERFAHREN BEI EINEM EINZELSTAATLICHEN GERICHT GESTELLT , DESSEN ENTSCHEIDUNGEN SELBST NICHT MEHR MIT RECHTSMITTELN DES INNERSTAATLICHEN RECHTS ANGEFOCHTEN WERDEN KÖNNEN , SO IST DIESES GERICHT NACH ABSATZ 3 ZUR ANRUFUNG DES GERICHTSHOFES ' ' VERPFLICHTET ' ' .

Weiter geht es dann in einer neueren Entscheidung, in der auf diese ältere verwiesen wird.

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
15. März 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsrecht – Dem Einzelnen verliehene Rechte – Verletzung durch ein Gericht – Zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen – Anrufung des Gerichtshofs – Letztinstanzliches einzelstaatliches Gericht“

In der Rechtssache C-3/16

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=188906&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=724252

Rn. 31
Zitat
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 1982, Cilfit u. a., 283/81, EU:C:1982:335, Rn. 6).

Rn. 32
Zitat
Die in Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgesehene Pflicht, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, fügt sich in den Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den innerstaatlichen Gerichten als den mit der Anwendung des Unionsrechts betrauten Gerichten und dem Gerichtshof, durch die die ordnungsgemäße Anwendung und die einheitliche Auslegung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2015, X und van Dijk, C-72/14 und C-197/14, EU:C:2015:564, Rn. 54).

Rn. 33
Zitat
Außerdem soll diese in Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgesehene Pflicht zur Vorlage insbesondere verhindern, dass sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit den Normen des Unionsrechts nicht im Einklang steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2005, Intermodal Transports, C-495/03, EU:C:2005:552, Rn. 29).

Rn. 34
Zitat
Wie der Gerichtshof wiederholt ausgeführt hat, ist ein letztinstanzliches Gericht definitionsgemäß die letzte Instanz, vor der der Einzelne die ihm aufgrund des Unionsrechts zustehenden Rechte geltend machen kann. Die letztinstanzlichen Gerichte haben die Aufgabe, die einheitliche Auslegung von Rechtsvorschriften auf einzelstaatlicher Ebene zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C-224/01, EU:C:2003:513, Rn. 34, und vom 13. Juni 2006, Traghetti del Mediterraneo, C-173/03, EU:C:2006:391, Rn. 31).

Rn. 42
Zitat
Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass ein einzelstaatliches Gericht, soweit gegen seine Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben ist, grundsätzlich verpflichtet ist, den Gerichtshof gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV anzurufen, wenn sich in einem bei ihm anhängigen Verfahren eine Frage nach der Auslegung des AEU-Vertrags stellt (Urteil vom 18. Juli 2013, Consiglio Nazionale dei Geologi, C-136/12, EU:C:2013:489, Rn. 25).

Aber:
Rn. 43
Zitat
Aus dem Verhältnis zwischen Art. 267 Abs. 2 AEUV und Art. 267 Abs. 3 AEUV ergibt sich, dass die in Art. 267 Abs. 3 AEUV genannten Gerichte ebenso wie alle anderen einzelstaatlichen Gerichte die Frage, ob für den Erlass ihrer eigenen Entscheidung eine Entscheidung über eine unionsrechtliche Frage erforderlich ist, in eigener Zuständigkeit beurteilen. Diese Gerichte sind somit nicht zur Vorlage einer vor ihnen aufgeworfenen Frage nach der Auslegung des Unionsrechts verpflichtet, wenn die Frage nicht entscheidungserheblich ist, d. h., wenn die Antwort auf diese Frage, wie auch immer sie ausfällt, keinerlei Einfluss auf die Entscheidung des Rechtsstreits haben kann (Urteil vom 18. Juli 2013, Consiglio Nazionale dei Geologi, C-136/12, EU:C:2013:489, Rn. 26).

Andererseits:
Rn. 47
Zitat
Dessen ungeachtet können die nationalen Verfahrensvorschriften weder die Befugnis beeinträchtigen, die dem einzelstaatlichen Gericht nach Art. 267 AEUV zusteht, noch das einzelstaatliche Gericht von den Pflichten entbinden, die ihm nach dieser Bestimmung obliegen.

Rn. 48
Zitat
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es mangels einschlägiger Unionsregeln nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die verfahrensrechtlichen Modalitäten der Rechtsbehelfe, die zum Schutz der Rechte der Bürger bestimmt sind, festzulegen, vorausgesetzt allerdings, dass sie nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (Urteil vom 17. März 2016, Bensada Benallal, C-161/15, EU:C:2016:175, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Rn. 49
Zitat
Daraus ergibt sich, dass zwei kumulative Voraussetzungen, nämlich die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes und des Effektivitätsgrundsatzes, erfüllt sein müssen, damit sich ein Mitgliedstaat in Situationen, die dem Unionsrecht unterliegen, auf den Grundsatz der Verfahrensautonomie berufen kann (Urteil vom 17. März 2016, Bensada Benallal, C-161/15, EU:C:2016:175, Rn. 25).

Rn. 50
Zitat
Zum einen verlangt der Äquivalenzgrundsatz, dass bei der Anwendung sämtlicher für Rechtsbehelfe geltenden Vorschriften nicht danach unterschieden wird, ob ein Verstoß gegen Unionsrecht oder gegen innerstaatliches Recht gerügt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Januar 2014, Pohl, C-429/12, EU:C:2014:12, Rn. 26, und vom 20. Oktober 2016, Danqua, C-429/15, EU:C:2016:789, Rn. 30).

Rn. 52
Zitat
Zum anderen darf nach dem Effektivitätsgrundsatz eine nationale Verfahrensvorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Frage stehende die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Urteil vom 20. Oktober 2016, Danqua, C-429/15, EU:C:2016:789, Rn. 29).

Zitat
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 267 Abs. 3 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein Gericht, dessen Entscheidungen mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, nicht als letztinstanzliches Gericht angesehen werden kann, wenn die Kassationsbeschwerde gegen eine Entscheidung dieses Gerichts nicht geprüft wurde, weil der Beschwerdeführer sie zurückgenommen hat.

2.      Die zweite Frage ist nicht zu beantworten.

3.      Art. 267 Abs. 3 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein letztinstanzliches Gericht davon absehen kann, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, wenn eine Kassationsbeschwerde aus Unzulässigkeitsgründen zurückgewiesen wird, die dem Verfahren vor diesem Gericht eigen sind, sofern die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt bleiben.

Zur Entscheidung aus Rn. 13 der Rechtssache 283/81:

Zitat
13 HIERZU IST AUF DAS URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 27 . MÄRZ 1963 IN DEN VERBUNDENEN RECHTSSACHEN 28 BIS 30/62 ( DA COSTA , SLG . 1963 , 63 , 80 , 81 ) HINZUWEISEN , IN DEM ES HEISST : ' [...]

Urteil des Gerichtshofes vom 27. März 1963.
Da Costa en Schaake NV, Jacob Meijer NV, Hoechst-Holland NV gegen Niederländische Finanzverwaltung.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tariefcommissie - Niederlande.
Verbundene Rechtssachen 28 bis 30-62.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A61962CJ0028&qid=1638644613692

Leitsätze.
Zitat
1 . DIE DEN NATIONALEN GERICHTEN LETZTER INSTANZ IN ARTIKEL 177 ABSATZ 3 EWG-VERTRAG AUFERLEGTE VERPFLICHTUNG KANN DURCH DIE WIRKUNG, DIE VON EINER DURCH DEN GERICHTSHOF GEMÄSS ARTIKEL 177 GEGEBENEN AUSLEGUNG AUSGEHT, IHRES INNEREN GRUNDES BERAUBT WERDEN, WENN DIE GESTELLTE FRAGE TATSÄCHLICH BEREITS IN EINEM GLEICHGELAGERTEN FALL GEGENSTAND EINER VORABENTSCHEIDUNG GEWESEN IST .

2 . GIBT DER GERICHTSHOF NACH ARTIKEL 177 EINE AUSLEGUNG DES VERTRAGES, SO BESCHRÄNKT ER SICH DARAUF, DIE BEDEUTUNG DER NORMEN DES GEMEINSCHAFTSRECHTS AUS GEIST UND WORTLAUT DES VERTRAGES ABZULEITEN, WÄHREND ES DEM INNERSTAATLICHEN RICHTER VORBEHALTEN BLEIBT, DIE IN DIESER WEISE AUSGELEGTEN NORMEN AUF DEN KONKRETEN FALL ANZUWENDEN .

3 . ARTIKEL 177 GESTATTET ES DEN NATIONALEN GERICHTEN IMMER, DEM GERICHTSHOF AUSLEGUNGSFRAGEN ERNEUT VORZULEGEN, AUCH WENN DIESE FRAGEN SCHON GEGENSTAND EINER VORABENTSCHEIDUNG IN EINEM GLEICHGELAGERTEN FALL GEWESEN SIND .
Es braucht sich also kein nationales Gericht Gedanken darum machen, ob dem EuGH eine Frage schon einmal zur Klärung vorgelegt worden ist.

Schlussanträge des Generalanwalts Lagrange vom 13. März 1963.
Da Costa en Schaake NV, Jacob Meijer NV, Hoechst-Holland NV gegen Niederländische Finanzverwaltung.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tariefcommissie - Niederlande.
Verbundene Rechtssachen 28 bis 30-62.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A61962CC0028&qid=1638644613692

Zitat
Es sei noch bemerkt, daß die Ansicht, die ich zu widerlegen bemüht bin, die Gefahr ernster Nachteile heraufbeschwören würde. Denn sie würde die Tragweite der auf diesem Gebiet ergehenden Urteile des Gerichtshofes zum Gegenstand des Meinungsstreits machen: Wirft dieser oder jener spätere Rechtsstreit genau die gleiche Auslegungsfrage auf wie die bereits entschiedene, oder enthält er neue Elemente, die ein neues Auslegungsersuchen rechtfertigen? Statt eine die Auslegung des Vertrages betreffende Frage zu entscheiden (entweder ebenso wie das frühere Urteil oder, erforderlichenfalls, durch dessen Ergänzung), was seine normale Aufgabe ist, müßte sich der Gerichtshof zunächst fragen, ob er die ihm gestellte Frage schon früher entschieden habe oder nicht, was in vielen Fällen auf die Auslegung des früheren Urteils statt des Vertrages hinauslaufen würde. Das ist der Nachteil des Verzichts auf die Freiheit, die der Grundsatz der Relativität der Rechtskraftwirkung dem Gericht gibt. Es ist besser, ein Grundsatzurteil mehrmals zu wiederholen und dabei lediglich zu nuancieren, um neu zutage getretenen Umständen oder neuen Argumenten Rechnung zu tragen, als die Entscheidung abzulehnen, dabei aber erklären zu müssen, aus welchen Gründen dies geschieht. Noch einmal: es ist für einen Richter besser, das Gesetz auszulegen, was seine Aufgabe ist, als seine eigenen Entscheidungen zu interpretieren.


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