Vorabhinweis: Im Schlußantrag geht's auch um "ultra-vires" und hoheitliches Handeln im Sinne des Völkerrechts; nationale Normen in Belangen "hoheitswidriges Handeln" haben hier also eine völkerrechtliche Basis.
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
17. September 2014(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Staatliche Beihilfen – Art. 107 Abs. 1 AEUV – Begriff ‚Beihilfe‘ – Bürgschaften, die von einem öffentlichen Unternehmen gegenüber einer Bank für die Kreditvergabe an Dritte übernommen worden sind – Bürgschaften, die vom Leiter dieses öffentlichen Unternehmens bewusst unter Missachtung der satzungsmäßigen Vorschriften des Unternehmens übernommen worden sind – Mutmaßliche Ablehnung durch die Trägerkörperschaft des genannten Unternehmens – Zurechenbarkeit der Bürgschaften an den Staat“
In der Rechtssache C-242/13https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=157804&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=5394035Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass es für die Feststellung, ob die Übernahme von Bürgschaften durch ein öffentliches Unternehmen dem Träger dieses Unternehmens zuzurechnen ist, neben sämtlichen Indizien, die sich aus den Umständen des Ausgangsverfahrens und deren Kontext ergeben, von Bedeutung ist, dass zum einen der alleinige Geschäftsführer dieses Unternehmens, der die Bürgschaften übernommen hat, nicht ordnungsgemäß gehandelt, ihre Übernahme bewusst geheim gehalten und die Satzung seines Unternehmens missachtet hat und zum anderen dieser Träger der genannten Übernahme der Bürgschaften widersprochen hätte, wenn er darüber unterrichtet worden wäre. Diese Umstände können jedoch für sich allein eine solche Zurechenbarkeit in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht ausschließen.
Auch dann, wenn der Geschäftsführer eines öffentlichen Unternehmens eine Bürgschaft gegenüber einer Bank übernimmt, die er hätte bspw. ob der Richtlinien seines Unternehmens und anderer rechtlicher Vorgaben nicht übernehmen dürfen, ist es nicht ausgeschlossen, daß diese Bürgerschaft trotzdem dem Staat zugerechnet wird.
Rn. 30Vorab ist darauf hinzuweisen, dass im Ausgangsverfahren unstreitig ist, dass die Bürgschaftsübernahme durch Havenbedrijf Rotterdam für die Kredite an RDM Vehicles, RDM Finance I und RDM Finance II einen Einsatz staatlicher Mittel im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV bedeutet, da diese Bürgschaften mit einem hinreichend konkreten wirtschaftlichen Risiko einhergehen, das zu Belastungen für Havenbedrijf Rotterdam führen kann, und dass dieses Unternehmen zur im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeit vollständig im Eigentum der Gemeinde Rotterdam stand.
Rn. 32Insoweit kann nicht verlangt werden, dass anhand einer genauen Anweisung nachgewiesen wird, dass die Behörden das öffentliche Unternehmen konkret veranlasst haben, die in Rede stehenden Beihilfemaßnahmen zu treffen. Die Zurechenbarkeit einer Beihilfemaßnahme eines öffentlichen Unternehmens an den Staat kann nämlich aus einer Gesamtheit von Indizien abgeleitet werden, die sich aus den Umständen des konkreten Falles und aus dem Kontext ergeben, in dem diese Maßnahme ergangen ist (Urteil Frankreich/Kommission, EU:C:2002:294, Rn. 53 und 55).
Rn. 33Insbesondere ist jedes Indiz von Bedeutung, das im konkreten Fall entweder auf eine Beteiligung der Behörden oder auf die Unwahrscheinlichkeit einer fehlenden Beteiligung am Erlass einer Maßnahme, wobei auch deren Umfang, ihr Inhalt oder ihre Bedingungen zu berücksichtigen sind, oder auf das Fehlen einer Beteiligung der Behörden am Erlass dieser Maßnahme hinweist (Urteil Frankreich/Kommission, EU:C:2002:294, Rn. 56 und 57).
Rn. 36Ferner ist davon auszugehen, dass der Umstand, dass der alleinige Geschäftsführer des öffentlichen Unternehmens nicht ordnungsgemäß gehandelt hat, für sich allein nicht geeignet ist, eine solche Beteiligung auszuschließen. Wie nämlich das vorlegende Gericht selbst und der Generalanwalt in den Rn. 90 und 91 seiner Schlussanträge festgestellt haben, wäre die Wirksamkeit des Rechts der staatlichen Beihilfen deutlich abgeschwächt, wenn seine Anwendung allein mit der Begründung ausgeschlossen werden könnte, dass der Geschäftsführer eines öffentlichen Unternehmens dessen Satzung missachtet hat.
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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MELCHIOR WATHELET
vom 8. Mai 2014(1)
Rechtssache C-242/13https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=151975&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=539403549. Vor der Prüfung dieses Vorbringens erscheint es mir notwendig, zu überprüfen, ob die fraglichen Bürgschaften Beihilfemaßnahmen darstellen. Nur dann, wenn eine Bürgschaft einem Unternehmen einen Vorteil verschafft, kann sie nämlich eine Beihilfe darstellen(7).
55. Die Kommission vertritt die Auffassung, die Übernahme von Bürgschaften stelle im vorliegenden Fall eine aus Gründen des Allgemeininteresses und nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen getroffene Maßnahme dar. Ihre Schlussfolgerung gründet sich auf die Indizien, die der Gerechtshof te ’s-Gravenhage zur Untermauerung seiner Schlussfolgerung festgestellt hatte, dass HbR unter der tatsächlichen Kontrolle des niederländischen Staates stehe(9), sowie auf die Ziele des Allgemeininteresses, die dem Tätigwerden von HbR zugrunde liegen – u. a. was den Beitrag zur Stadtentwicklung, die Entwicklung der Stadthäfen und die Verbesserung des städtischen Gefüges der Stadt und der Region Rotterdam angeht.
63. Wird mit den Vergünstigungen, die die in Rede stehenden Bürgschaften verschaffen, kein überwiegend unternehmerisches Ziel verfolgt, werden sie nur dann zu staatlichen Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV, wenn sie „unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden“ und „dem Staat zuzurechnen“ sind(11).
66. Für den Fall, dass die Beihilfemaßnahme von einer Stelle getroffen wird, die keine Einrichtung des Staates im Sinne der vorhergehenden Nummer ist, hat der Gerichtshof in Rn. 51 des Urteils Frankreich/Kommission (EU:C:2002:294) sehr klar entschieden, dass die Zurechenbarkeit einer Beihilfemaßnahme an den Staat nicht automatisch „allein daraus“ abgeleitet werden kann, „dass die Maßnahme von einem öffentlichen Unternehmen getroffen wurde“.
68. In einem solchen Fall ist zu prüfen, ob die in Rede stehenden Beihilfemaßnahmen gleichwohl dem Staat zuzurechnen sind, da sie solchermaßen gewährt worden sind, dass „die Behörden in irgendeiner Weise am Erlass dieser Maßnahmen beteiligt waren“(12).
69. Von einer solchen Beteiligung des Staates ist auszugehen, wenn die in Rede stehenden Beihilfemaßnahmen von einer Stelle, die ermächtigt ist, hoheitliche Befugnisse auszuüben, oder von einer Stelle getroffen werden, die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates handelt.
73. Wie der Gerichtshof in Rn. 52 seines Urteils Frankreich/Kommission (EU:C:2002:294) entschieden hat, kann, „[a]uch wenn der Staat in der Lage ist, ein öffentliches Unternehmen zu kontrollieren und einen beherrschenden Einfluss auf dessen Tätigkeiten auszuüben, … nicht ohne Weiteres vermutet werden, dass diese Kontrolle in einem konkreten Fall tatsächlich ausgeübt wird. Ein öffentliches Unternehmen kann je nach dem Maß an Selbständigkeit, das ihm der Staat belässt, mehr oder weniger unabhängig handeln“.
74. Bevor ich mich der Prüfung zuwende, ob der Ultra-vires-Charakter der Übernahme der in Rede stehenden Bürgschaften deren Zurechnung an den Staat entgegensteht, und unter Hinweis darauf, dass ich bei meinen Ausführungen davon ausgehe, dass die Übernahmeentscheidung nicht hauptsächlich von wirtschaftlichen Erwägungen bestimmt worden ist, glaube ich – wie der Gerechtshof te ’s-Gravenhage –, dass hier genügend Indizien im Sinne des Urteils Frankreich/Kommission (EU:C:2002:294) vorhanden sind, um diese Entscheidung dem Staat zuzurechnen, was im Übrigen weder HbR noch die niederländische Regierung bestreiten.
75. Zur Zurechnung einer Beihilfemaßnahme an den Staat aufgrund der tatsächlichen Kontrolle ist es nicht erforderlich, dass „auf der Grundlage einer genauen Anweisung“ nachgewiesen wird, „dass die Behörden das öffentliche Unternehmen konkret veranlasst haben, die fraglichen Beihilfemaßnahmen zu treffen“(13). Wie der Gerichtshof in Rn. 54 seines Urteils Frankreich/Kommission (EU:C:2002:294) festgestellt hat, besteht die Gefahr, dass ein solcher Nachweis „gerade wegen der privilegierten Beziehungen zwischen dem Staat und einem öffentlichen Unternehmen für einen Dritten sehr schwierig“ ist.
77. Wie der Gerichtshof in Rn. 56 seines Urteils Frankreich/Kommission (EU:C:2002:294) ausgeführt hat, sind eine Reihe von Indizien zu berücksichtigen wie „[die] Eingliederung [der Stelle, die die fragliche Maßnahme getroffen hat,] in die Strukturen der öffentlichen Verwaltung, die Art [ihrer] Tätigkeit und deren Ausübung auf dem Markt unter normalen Bedingungen des Wettbewerbs mit privaten Wirtschaftsteilnehmern, der Rechtsstatus des Unternehmens, ob es also dem öffentlichen Recht oder dem allgemeinen Gesellschaftsrecht unterliegt, die Intensität der behördlichen Aufsicht über die Unternehmensführung oder jedes andere Indiz, das im konkreten Fall auf eine Beteiligung der Behörden oder auf die Unwahrscheinlichkeit einer fehlenden Beteiligung am Erlass einer Maßnahme hinweist, wobei auch deren Umfang, ihr Inhalt oder ihre Bedingungen zu berücksichtigen sind“.
85. Schließlich kann es sich als nützlich erweisen, die Grundsätze des Völkerrechts, die die Zurechnung völkerrechtswidriger Handlungen an den Staat betreffen, insbesondere Art. 7 der Artikel der Völkerrechtskommission über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen (im Folgenden: Artikel über die Verantwortlichkeit der Staaten)(18) in Bezug zu nehmen, der die Überschrift „Kompetenzüberschreitung oder weisungswidriges Handeln“ trägt.
Auch dafür hat es also ein internationales Vertragswerk.
86. Dieser Artikel bestimmt: „Das Verhalten eines Staatsorgans oder einer zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse ermächtigten Person oder Stelle ist als Handlung des Staates im Sinne des Völkerrechts zu werten, wenn das Organ, die Person oder die Stelle in dieser Eigenschaft handelt, selbst wenn sie ihre Kompetenzen überschreiten oder Weisungen zuwiderhandeln.“(19)
87. Diese Regel ist in der internationalen Rechtsprechung(20) gefestigt und von der Völkerrechtskommission in ihrem Kommentar zu den Artikeln über die Verantwortlichkeit der Staaten(21) anerkannt worden.
91. Die Zurechnung einer Beihilfemaßnahme an den Staat hat nämlich einen rein objektiven Charakter, bei dem der subjektive Begriff des Verschuldens seiner Organe oder Bediensteten oder deren Motive keine Rolle spielen. Wäre dies anders, würden die Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Rechts der staatlichen Beihilfen deutlich abgeschwächt.
92. Daher ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Bürgschaften wie die in Rede stehenden, wenn sie staatliche Beihilfen darstellen und vom einzigen Geschäftsführer eines öffentlichen Unternehmens übernommen werden, dem Staat selbst dann zuzurechnen sind, wenn der genannte Geschäftsführer in dieser Eigenschaft handelnd seine Befugnis überschritten oder den Vorschriften der Satzung des erwähnten Unternehmens zuwidergehandelt hat.
Zu Fußnote 20 aus Rn. 87 des Schlußantrages:[...] Dieser Grundsatz ist auch Teil der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, Urteil Ila?cu u. a. / Moldau und Russland vom 8. Juli 2004, Recueil des arrêts et décisions 2004-VII, S. 90 und 106), [...]
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