Diese Entscheidung behandelt grund- wie datenschutzrechtliche Aspekte im nationalen Steuerbereich, der ja ebenfalls den Vorgaben des Unionsrechts zu entsprechen hat, wie in einer weiteren Entscheidung im Forum bereits thematisiert worden ist.
***URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
27. September 2017(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 7, 8 und 47 – Richtlinie 95/46/EG – Art. 1, 7 und 13 – Verarbeitung personenbezogener Daten – Art. 4 Abs. 3 EUV – Erstellung einer Liste mit personenbezogenen Daten – Zweck – Steuererhebung – Bekämpfung von Steuerbetrug – Gerichtliche Überprüfung – Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten – Vorherige Verwaltungsbeschwerde als Voraussetzung für eine Klage bei Gericht – Zulässigkeit der betreffenden Liste als Beweismittel – Bedingungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten – Wahrnehmung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe des für die Verarbeitung Verantwortlichen“
In der Rechtssache C-73/16https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=195046&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=3293259Rn. 92Das Ziel, die nicht genehmigte Verwendung interner Dokumente in einem Gerichtsverfahren zu verhindern, kann ein legitimes dem Gemeinwohl dienendes Ziel sein (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 23. Oktober 2002, Österreich/Rat, C-445/00, EU:C:2002:607, Rn. 12, vom 23. März 2007, Stadtgemeinde Frohnleiten und Gemeindebetriebe Frohnleiten, C-221/06, EU:C:2007:185, Rn. 19, und vom 29. Januar 2009, Donnici/Parlament, C-9/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:40, Rn. 13). Wenn zudem eine Liste wie die streitige vertraulich bleiben soll und auch personenbezogene Daten anderer natürlicher Personen enthält, besteht ein Bedürfnis, deren Rechte zu schützen.
Rn. 93Auch wenn sich diese Ziele dadurch erreichen lassen dürften, dass eine Liste wie die streitige, die ohne die gesetzlich vorgeschriebene Einwilligung der für die Verarbeitung der in ihr enthaltenen Daten verantwortlichen Behörde erlangt wurde, als Beweismittel zurückgewiesen wird, muss das vorlegende Gericht trotzdem prüfen, ob eine solche Zurückweisung das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt.
Rn. 94Zumindest in dem Fall, dass eine Person, deren personenbezogene Daten in der Liste enthalten sind, ein Recht auf Zugang zu diesen Daten hat, erscheint eine solche Zurückweisung gemessen an den genannten Zielen unverhältnismäßig.
Rn. 95Art. 12 der Richtlinie 95/46 gewährleistet jeder Person ein Recht auf Zugang zu erhobenen Daten, die sie betreffen. Zudem muss der für deren Verarbeitung Verantwortliche nach den Art. 10 und 11 der Richtlinie 95/46 den betroffenen Personen bestimmte Informationen über die Verarbeitung zur Verfügung stellen.
Rn. 96Zwar erlaubt es Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 95/46, den Umfang der in ihren Art. 10 bis 12 vorgesehenen Rechte zu beschränken, wenn dies insbesondere für die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder ein wichtiges wirtschaftliches oder finanzielles Interesse eines Mitgliedstaats einschließlich Steuerangelegenheiten sowie die damit verbundenen Kontroll-, Überwachungs- und Ordnungsfunktionen notwendig ist. Allerdings verlangt diese Vorschrift ausdrücklich, dass derartige Beschränkungen durch Rechtsvorschriften vorgenommen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2015, Bara u. a., C-201/14, EU:C:2015:638, Rn. 39).
Rn. 97Somit muss das vorlegende Gericht bei der Beurteilung, ob eine Zurückweisung der streitigen Liste als Beweismittel verhältnismäßig ist, prüfen, ob seine nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf die in dieser Liste enthaltenen Daten die in den Art. 10 bis 12 der Richtlinie 95/46 genannten Auskunfts- und Zugangsrechte beschränken und ob eine solche Beschränkung gegebenenfalls gerechtfertigt ist. Selbst wenn dies der Fall ist und Gesichtspunkte für ein legitimes Interesse an der eventuellen Vertraulichkeit der fraglichen Liste sprechen, müssen die nationalen Gerichte zudem in jedem Einzelfall prüfen, ob diesen Gesichtspunkten größeres Gewicht zukommt als dem Interesse am Schutz der Rechte des Einzelnen und ob es im Rahmen des Verfahrens vor dem betreffenden Gericht andere Möglichkeiten gibt, diese Vertraulichkeit zu gewährleisten, insbesondere was die personenbezogenen Daten anderer Personen betrifft, die auf dieser Liste stehen.
Rn. 103Wie aus den Rn. 33 und 34 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ist die Erstellung einer Liste wie der streitigen, die die Namen bestimmter natürlicher Personen enthält und diese mit einer oder mehreren juristischen Personen in Verbindung bringt, bei denen die betreffenden natürlicher Personen Führungspositionen nur zum Schein wahrnehmen sollen, eine „Verarbeitung personenbezogener Daten“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 95/46.
Die Deutung im Sinne der DSGVO wäre keine andere.
Rn. 104Gemäß den Bestimmungen des Kapitels II („Allgemeine Bedingungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten“) der Richtlinie 95/46 muss jede Verarbeitung personenbezogener Daten – vorbehaltlich der in Art. 13 zugelassenen Ausnahmen – den in Art. 6 aufgestellten Grundsätzen in Bezug auf die Qualität der Daten und einem der in Art. 7 angeführten Grundsätze in Bezug auf die Zulässigkeit der Verarbeitung von Daten genügen (vgl. Urteil vom 1. Oktober 2015, Bara u. a., C-201/14, EU:C:2015:638, Rn. 30).
Diese Entscheidung
C-201/14 ist im Forum bereits thematisiert und betrifft die zwingende Vorabinformation an jenen, dessen Daten zwecks Weiterverarbeitung weitergegeben werden sollen; denn die natürliche Person hat hier ein Widerspruchsrecht. Hierzu siehe:
EuGH C-201/14 Ohne Kenntnis d. Bürger kein Datenaustausch zwecks Verarbeitg.https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=15947.0Rn. 105Außerdem ergibt sich aus dem mit der Richtlinie 95/46 verfolgten Ziel, ein gleichwertiges Schutzniveau in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass ihr Art. 7 eine erschöpfende und abschließende Liste der Fälle vorsieht, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten als zulässig angesehen werden kann (vgl. Urteil vom 24. November 2011, ASNEF und FECEMD, C-468/10 und C-469/10, EU:C:2011:777, Rn. 30).
Rn. 106Insbesondere sieht Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 vor, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten zulässig ist, wenn sie „erforderlich für die Wahrnehmung einer Aufgabe [ist], die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt und dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder dem Dritten, dem die Daten übermittelt werden, übertragen wurde“.
Rn. 110Insoweit schreibt Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 95/46 vor, dass die personenbezogenen Daten für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben werden. Wie die Generalanwältin in Nr. 106 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, ist der Zweck der Datenverarbeitung im Anwendungsbereich von Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 untrennbar mit der Aufgabe verbunden, die dem für die Verarbeitung Verantwortlichen übertragen wurde. Folglich muss die Übertragung dieser Aufgabe auf den für die Verarbeitung Verantwortlichen eindeutig den Zweck der jeweiligen Verarbeitung umfassen.
Rn. 112Insoweit muss darauf geachtet werden, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt bleibt. Der Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens auf Unionsebene verlangt nämlich vor allem, dass sich die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten und dessen Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Tele2 Sverige und Watson u. a., C-203/15 und C-698/15, EU:C:2016:970, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Rn. 114Dass eine Person in der streitigen Liste geführt wird, kann bestimmte ihrer Rechte beeinträchtigen. Die Aufnahme in diese Liste könnte nämlich dem Ruf der betroffenen Person schaden und ihre Beziehungen zu den Finanzbehörden beeinträchtigen. Die Aufnahme in die Liste könnte zudem die in Art. 48 Abs. 1 der Charta verankerte Unschuldsvermutung zugunsten der betroffenen Person sowie die in Art. 16 der Charta festgeschriebene unternehmerische Freiheit der juristischen Personen, die mit den in der streitigen Liste aufgeführten natürlichen Personen in Verbindung gebracht werden, beeinträchtigen. Ein solcher Eingriff kann sich nur dann als angemessen erweisen, wenn hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass der Betroffene Führungspositionen bei den mit ihm in Verbindung gebrachten juristischen Personen nur zum Schein wahrnimmt und dadurch die Erhebung von Steuern und die Bekämpfung von Steuerbetrug beeinträchtigt.
Rn. 115Falls das vorlegende Gericht zu dem Schluss gelangen sollte, dass die Erstellung der streitigen Liste für die Durchführung der im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben, die dem für die Verarbeitung Verantwortlichen gemäß Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 übertragen wurden, notwendig ist, muss es noch prüfen, ob die anderen in der Richtlinie aufgestellten Bedingungen für die Rechtmäßigkeit der betreffenden Verarbeitung personenbezogener Daten erfüllt sind, insbesondere die nach den Art. 6 und 10 bis 12 der Richtlinie.
Aus dem dazugehörigen Schlußantrag
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 30. März 2017(1)
Rechtssache C-73/16https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=189382&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=3293259Rn. 99Nach Art. 7 der Datenschutzrichtlinie darf die Verarbeitung personenbezogener Daten lediglich erfolgen, wenn eine der in dieser Bestimmung genannten sechs Voraussetzungen erfüllt ist. In der Vorlagefrage werden die in den Buchst. e und f genannten Fälle angesprochen, nämlich die Erforderlichkeit für die Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt, und für die Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten. Ergänzend könnte man auch an Art. 7 Buchst. c denken, nämlich die Erforderlichkeit für die Erfüllung einer Rechtspflicht.
Rn. 105Der Gerichtshof kann sich allerdings zu der Frage äußern, welchen unionsrechtlichen Anforderungen die nach Art. 7 Buchst. e der Datenschutzrichtlinie erforderliche Übertragung der betreffenden Aufgabe genügen muss.
Rn. 106Zwar enthält Art. 7 Buchst. e der Datenschutzrichtlinie dazu keine Hinweise, doch diese Bestimmung ist im Zusammenhang mit den Grundsätzen des Art. 6 zu lesen. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b müssen personenbezogene Daten für festgelegte eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben werden. Im Anwendungsbereich von Art. 7 Buchst. e ist der Zweck der Datenverarbeitung untrennbar mit den übertragenen Aufgaben verbunden. Folglich muss die Aufgabenübertragung eindeutig den Zweck der jeweiligen Verarbeitung umfassen.
Rn. 110Zwar fehlen konkrete Angaben zum Zweck der Liste, doch steht es außer Zweifel, dass eine Nennung auf der fraglichen Liste erheblich in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie beeinträchtigt seinen Ruf und kann auch zu schwerwiegenden praktischen Nachteilen in seinen Beziehungen zu den Steuerbehörden führen. Zugleich berührt seine Nennung die in Art. 48 Abs. 1 der Charta niedergelegte Unschuldsvermutung.(51) Darüber hinaus werden die mit den Betroffenen in Verbindung gebrachten juristischen Personen in ihrer unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 der Charta berührt.
Es ist sehr fraglich, ob die Meldeämter ohne Wissen und Genehmigung der betroffenen natürlichen Personen Daten an den Rundfunk herausgeben dürfen, wenn schon die Hürden dafür im strafrechtlichen Bereich hoch sind. Damit läßt sich übrigens auch die SCHUFA in Frage stellen, könnte doch unionsrechtlich auch dazu keine Befugnis bestehen, bzw. eingeschränkt sein.
Rn. 111Ein derart schwerwiegender Eingriff kann nur angemessen sein, wenn hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass der Betroffene zum Schein Führungspositionen bei den mit ihm in Verbindung gebrachten juristischen Personen wahrnimmt und dadurch das öffentliche Interesse an der Erhebung von Steuern und an der Bekämpfung von Steuerbetrug beeinträchtigt.
Rn. 114Die Grundrechte auf Privatsphäre, Art. 7 der Charta, und Datenschutz, Art. 8, die insbesondere für strafrechtliche Maßnahmen im Anwendungsbereich des Unionsrechts von Interesse sind, führen zum gleichen Ergebnis wie die Anwendung von Art. 7 Buchst. e der Datenschutzrichtlinie.
Rn. 115Die Nennung einer Person auf der streitgegenständlichen Liste würde beide Grundrechte berühren. Diese Eingriffe sind nach Art. 52 Abs. 1 der Charta nur gerechtfertigt, wenn sie auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruhen, den Wesensgehalt der beiden Grundrechte achten und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.
***EuGH C-562/19 P - Nat. Steuer muß dem Unionsrecht entsprechenhttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35031.0
Bei Verarbeitung pers.-bez.-Daten ist das Unionsgrundrecht unmittelbar bindend; (BVerfG 1 BvR 276/17 & BVerfG 1 BvR 16/13)
Keine Unterstützung für
- Amtsträger, die sich über europäische wie nationale Grundrechte hinwegsetzen oder dieses in ihrem Verantwortungsbereich bei ihren Mitarbeitern, (m/w/d), dulden;
- Parteien, deren Mitglieder sich als Amtsträger über Grundrechte hinwegsetzen und wo die Partei dieses duldet;
- Gegner des Landes Brandenburg wie auch gesamt Europas;