Und obwohl bei der Autorin kaum kritische Stellungnahmen zum ÖRR zu erwarten sind, gibt der Aufsatz dennoch einige Hinweise auf die Schwachstellen im Urteil des BVerfG.
Einer der Schwachstellen ist sicherlich, dass das BVerfG versucht, die neue Abgabe mit dem "individuellen Vorteil" zu rechtfertigen. Schiedermair schreibt dazu (Seite 701):
Die zentrale Frage, welchen »individuellen Vorteil« der Einzelne durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhält und inwiefern hier auch gesamtgesellschaftliche Vorteile eine Rolle spielen, behandelt das Bundesverfassungsgericht [...] erst im Rahmen der Prüfung von Artikel 3 Absatz 1 GG. Dabei betont das Gericht, dass der individuelle Vorteil noch nicht automatisch durch den gesamtgesellschaftlichen Vorteil der Existenz eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgegolten sei. Der Rundfunkbeitrag stelle keine »Demokratieabgabe« dar (Rn. 75). Die folgenden Ausführungen zeigen jedoch, dass sich individueller und gesamtgesellschaftlicher Vorteil nur schwer voneinander trennen lassen. [...] Für den individuellen Vorteil beschränkt sich das Gericht hingegen vergleichsweise knapp auf die Feststellung, dass die Möglichkeit der Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für alle Beitragszahler realistisch sei und es auf die tatsächliche Nutzung nicht ankomme (Rn. 82).
Wer das Urteil aufmerksam durchliest, wird in der Tat bemerken, dass die ganze Argumentation des BVferG auf dem angeblichen "individuellen Vorteil" beruht, aber das Gericht sagt eigentlich nichts dazu, worin denn dieser individuelle Vorteil besteht. Diese Schwachstelle scheint auch Schiedermair erkannt zu haben und bezeichnet es als "Dilemma":
Hinter den Überlegungen scheint das Dilemma des Verfassungsgerichts auf, dass es seine Rundfunkrechtsprechung stets darauf ausgerichtet hat, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als der Demokratie förderliche und damit gesamtgesellschaftlich bedeutsame Institution verfassungsrechtlich abzusichern und gleichzeitig dem Gesetzgeber den Spielraum gewährt, die Finanzierung dieser Institution als Beitrag auszugestalten und damit finanzverfassungsrechtlich weniger den gesamtgesellschaftlichen als den individuellen Vorteil in den Blick nehmen zu müssen. Die Tatsache, dass das Verfassungsgericht die gesamtgesellschaftliche Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks [...] zum Generalbass seiner Rundfunkrechtsprechung gemacht hat, steht in einem offenkundigen Spannungsverhältnis zu der deutlichen Aussage des Gerichts im neuesten Rundfunkurteil, dass der Rundfunkbeitrag einen auf den individuellen Vorteil ausgerichteten Beitrag im finanzverfassungsrechtlichen Sinne darstelle.
Für die voreingenommene Haltung der Autorin ist es denn auch bezeichnend, dass der Abschnitt, in dem dieses Dilemma aufgezeigt wird, dann mit den Worten schließt:
Allerdings ist die befriedende Funktion der klaren verfassungsgerichtlichen Aussage, dass es sich um einen Beitrag handelt, verfassungspolitisch zu begrüßen.
Es bleibt zu bezweifeln, dass ein so unglaubwürdiges Urteil wie das des BVerfG vom 18. Juli 2018 eine "befriedende Funktion" erfüllen kann.