Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 2021 (1 BvR 2756/20 u.a.), mit dem die Erhöhung des Rundfunkbeitrags auf 18,36 Euro gerichtlich angeordnet wurde, hat auch in der juristischen Fachliteratur kritische Reaktionen hervorgerufen.
Zum Text des Beschlusses siehe
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 20. Juli 2021 - 1 BvR 2756/20 -, Rn. 1-119http://www.bverfg.de/e/rs20210720_1bvr275620.htmlZur Diskussion hier im Forum siehe
Bundesverfassungsgericht hebt Rundfunkbeitrag vorläufig auf 18,36 Euro an (08/2021)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35578.0Hier nun einige juristische Reaktionen
Cornils, Matthias: Eine Collage der Selbstreferenzialität: Zum Sachsen-Anhalt-Beschluss des BVerfG, VerfBlog, 2021/8/10https://verfassungsblog.de/eine-collage-der-selbstreferenzialitaet/ DOI: 10.17176/20210810-232820-0
Der Autor Prof. Dr. Matthias Cornils ist Professor für Medienrecht, Kulturrecht und Öffentliches Recht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Er kommentiert den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts unter anderem mit den Worten "In den eigenen Formeln erstarrt". Denn das Gericht zeige offenbar keine Bereitschaft, seine Grundsätze auf den Prüfstand zu stellen:
Der Beschluss bekräftigt das in den Gebührenurteilen errichtete Konzept auf ganzer Linie und auch in den Details. Auch das im Beitragsurteil von 2018 (BVerfGE 149, 222, Rn. 77-80) abgelegte Bekenntnis zur fortbestehenden, ja angeblich sogar gewachsenen Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter den Bedingungen der digitalisierten Kommunikation und Plattformökonomie wird wiederholt – obwohl es hier noch weniger als damals für die zu entscheidenden Fragen erheblich ist. Die Entscheidungsgründe sind im Maßstäbeteil fast vollständig nur eine Collage aus Textabschnitten der älteren Entscheidungen, vor allem des 2. Gebührenurteils. Von geringfügigen Formulierungsänderungen abgesehen, tritt nur die schon skizzierte Klarstellung hinsichtlich der Zustimmungspflicht (Ablehnung eines Vetorechts) hinzu (Rn. 68, 75, 101), auch dies aber nur in dezisionistischer Manier (jedes Land ist nun „Mitverantwortungsträger der föderalen Verantwortungsgemeinschaft“), ohne nähere Begründung und vor allem ohne jede Auseinandersetzung mit der immerhin demokratisch heiklen Ratifikationsrolle, in die die Landesparlamente durch die Zustimmungspflicht gedrängt werden.
Dann führt der Autor weiter aus:
Das wirkt schon ambitionslos und ist in dieser Gestalt ein doch unbefriedigendes Beispiel einer selbstgenügsamen, in den eigenen Formeln erstarrten Rechtsprechung. Und diese kammerbeschlussartige Selbstreferenzialität ist eben nicht nur unter Originalitätsgesichtspunkten ernüchternd, sondern unterstreicht auch inhaltlich den durch nichts erschütterten Willen, ausnahmslos alle irgendwie in den Kontext passenden Prämissen und Herleitungen der jahrzehntealten Rundfunkrechtsprechung aufrechtzuerhalten und weiter zu tradieren, als ob es in der Kommunikationstechnologie, der Kultur der Netzwerkkommunikation usw. keinerlei Veränderungen und Entwicklungen gegeben hätte. So werden etwa die schon längst fragwürdig gewordene These von der besonderen Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft des Rundfunks oder das Filterblasen-Narrativ unbekümmert weiter behauptet. Spezifisch mit Blick auf die Finanzierungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es keinen erkennbaren Versuch, in irgendeiner Weise Wege aus dem schon im ersten Gebührenurteil erkannten „strukturellen Dilemma“ (BVerfGE 90, 60, Rn. 162) hinsichtlich der Bestimmung des verfassungsgebotenen Rundfunkauftrags aufzuzeigen. Sensibilität für das „Demokratieproblem“ (Haseloff), das dadurch entsteht, dass die abschließende Entscheidung der Politik im Wesentlichen durch die Bedarfsanmeldung und KEF-Empfehlung „gebunden“ ist (BVerfGE 90, 60, Rn. 161), und ein Bemühen, der Kritik daran argumentativ etwas entgegenzuhalten, finden sich in den Entscheidungsgründen nicht.
Cornils zieht aus dem Gerichtsbeschluss dann die Konsequenz:
Ist der demokratische Gesetzgeber aber auf allen Seiten verfassungsrechtlich gehindert, Inhalt und Umfang der Tätigkeit seiner anstaltlichen Geschöpfe signifikant zu prägen, läuft dies auf eine einzigartige Sonderstellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (auch im Verhältnis zu Universitäten, Kultureinrichtungen usw.) hinaus. So selbstverständlich ist diese Stellung indes nicht, dass sie keiner fortwährenden Vergewisserung, überzeugenden Begründung und ggf. auch sachlichen Neujustierung bedürfte. Zu alledem leistet der Beschluss mit der bloßen Wiederholung der alten Sätze keinen Beitrag und verspielt damit jedenfalls die Chance, wieder neu und für mehr Verständnis für die Rechtsprechung des Gerichts zu werben.
Der gleiche Autor hat die Problematik in zwei Aufsätzen in der "Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht" [ZUM] weiter ausgeführt:
Cornils/Dietrich, Der intraföderale Konsenszwang im Beitragsfestsetzungsverfahren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in: ZUM 2021, 629 ff.
Cornils/Dietrich, Die Festsetzung des Rundfunkbeitrags als gebundene Entscheidung, in: ZUM 2021, September-Heft
Edit DumbTV:
Zu weiteren juristischen Abhandlungen zum Thema "Rundfunkbeitrag" siehe u.a:
Gutachten zum Rundfunkbeitrag/ Rundfunkbeitragsstaatsvertrag [gesammelte Werke]
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=5817.0
Matthias Cornils: Kommentar zum "Rundfunkbeitrags"-Urteil BVerfG vom 18.07.2018 (08/2019)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=31951.0