Liebe Forumsgemeinde,
ich war während der Verhandlung am Oberverwaltungsgericht Bremen am 14.06.2016 persönlich anwesend und habe protokolliert. Hier ist nun das Protokoll in nur leicht bearbeiteter Fassung. Es ist natürlich nicht vollständig und spiegelt nur die Gesprächsinhalte wider, die mir wichtig erschienen.
Viel Spaß beim Lesen!
PS Eine kleine Anmerkung am Rande über das Auftreten des Justitiars des NDR mir gegenüber:
Er schien verwundert zu sein, auf Beobachter unseres Forums bei dieser Verhandlung zu stoßen. Es ginge hier schließlich um etwas ganz Anderes und der Kläger wolle ja schließlich bezahlen ... (ja nee - is klar...) In der Pause sagte er zu mir, dass er sehe, dass ich protokolliere. Während der Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht Leipzig hätte auch Jemand live aus dem Gerichtssaal berichtet, was unzulässig sei wegen der Unmittelbarkeit. Er sagte, dass er unser Forum lese und sich vorbehält, mein Protokoll zu prüfen. Also bitteschön, hier und ab jetzt dürfen Sie prüfen, berichtigen und ergänzen. Falls Sie noch kein eigenes Forumsprofil haben, könnten Sie Ihren Kollegen Herrn Eicher fragen, ob er etwas für Sie veröffentlicht.
Protokoll der Verhandlung am OVG Bremen am 14.06.2016
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Kläger: W*****
Klägeranwalt: Dr. T*****
Beklagtenvertreter: S******n
06.03.2014 Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bremen
30.09.2015 Berufung mit Fristverlängerung wegen Begründung
Richter spricht:
Rundfunkgebühren im Zeitraum August 2012-2015
Kläger Student, kein Bafög, Wohngeldbescheid ab Jan 2013, Nettoverdienst Dez12-März13 (486-597€), Miete 284€
Vorgeschichte:
Gebühren, Mahnung, Vollstreckungsmaßnahmen, Ratenzahlungsvereinbahrung,
Fernseher abgemeldet und nur noch Radio behalten
Nov 2012 Antrag auf Befreiung der Rundfunkgebühr, Begründung mit Verfassungsgerichtsbeschluss,
abgewiesen wegen fehlenden Bescheids
Widerspruch
Rückweisung des Widerspruchs
Klage, Begründung Rundfunkstaatsvertrag entspricht nicht mehr den Anforderungen des Verfassungsgerichts
Zurückweisung, aber Berufung ermöglicht
seit 2004 ist das Befreiungsrecht geändert worden, um Doppelprüfung zu vermeiden (die Bescheide müssen nicht nochmal durch den Rundfunk geprüft werden)
Klagebegründung: Ungleichbehandlung wegen Einkommens unterhalb des Existenzminimums
Gegenstellungnahme: keine Unterlaufung der Bescheidregelung durch Härtefälle
Richter zum Kläger:
ihre Miete lag zeitweise über den Einnahmen
sie obliegen der Beitragspflicht
Prüfung, ob die Befreiungsgründe bestehen
vorlesen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags Härtefallregelung
Was ist ein besonderer Härtefall?
Gesetzesbegründung 2004:
keine allgemeine Befreiung wegen geringer Einkünfte wurde in der Begründung ausgeschlossen
Hinweis auf Befreiung wegen Bedürftigkeit in vergleichbaren Fällen zu Absatz 1
Was heißt vergleichbare Bedürftigkeit?
Rechtsprechung soll keine allgemeine Auffangklausel sein
sie findet auch keine Anwendung in Fällen die vom Normenbereich in Abs 1 erfasst werden
Bescheidklausel
vergleichsweise restriktive Anwendung der Härtefallregelung
zwei Fälle, bei denen die Betreffenden durch den Rundfunkbeitrag unterhalb des Bedarfssatzes geraten, wurde Befreiung durchgeführt
Begründung mit Gleichheitsgrundsatz GG
Wie weit reicht diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts?
es gibt Rechtsprechung aus Berlin
es gibt nur die Grenzfälle des Bundesverfassungsgerichts
Gesichtspunkte in den letzten Jahren, die zu berücksichtigen sind
staatliche Pflicht zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums
seit 2013 ist der Rundfunkbeitrag verpflichtend, die Frage ist:
Gibt es neue Gesichtspunkte, die zu berücksichtigen sind?
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.03.2016 mit Hinweis auf das Existenzminimums
zurück zu Ihnen...
wer einen BAFÖG-Bescheid vorweist, wird befreit
Entscheidende Frage: Was ist wenn die Leistungen enden?
Verlängerung der Höchstdauer ist möglich innerhalb des Bafögs. §§27 SGBII. Im SGBII sind Vorschriften enthalten, die eine Ausbildungsförderung vorsehen.
Es gibt Raum für Härtefälle innerhalb des Bafög und des SGBII
Die Frage ist, ob ihn ihrem Fall von einem Sachverhalt ausgegangen werden kann, der außerhalb des Bafögs und des SGBII liegt.
Wir sehen da Zweifel, weil es zumutbare Handlungen gegeben hätte, die sie über das Existenzminimums gebracht hätten. (Der Richter sagt salopp, dass der Kläger selbst verantwortlich sei.)
Klägeranwalt:
- es gibt aber eventuell private Günde, wie die Pflege eines Angehörigen
Der Richter sagt, dass das lange Studium dagegen spräche.
Kläger:
bringt vor, dass er zwar eingeschrieben war, aber sozialvericherungspflichtig tätig war, wie ein ganz normaler Angestellter
Richter:
das Jobcenter hat einen ablehnenden Bescheid ausgefüllt.
Justitiar NDR:
Härtefallregelung ist Einzelfallregelung
Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen
etwas für die Allgemeinheit da hinein zu deuten, wäre eine Unterstellung
der entscheidende Punkt hier ist, wenn ich auf eine Sozialleistung verzichte, kann ich nicht die Solidargemeinschaft zum Ausgleich heranziehen
der Kläger zieht es weiter vor, den Studentenstatus zu behalten
es waren ja mal Ratenzahlungen vereinbart, aber es gibt seit 2012 keine Zahlungen mehr
Richter:
seid August 2015 studieren sie nicht mehr.
Kläger:
Gehaltserhöhung seit 2015, die über das Existenzminimum
Richter:
sie sind eingeschrieben, gehen arbeiten, der Status als Studierender, sind ausschlaggebend für fehlende Ansprüche hinsichtlich SGBII
Die Härtefallklausel muss offen sein...
in ihrem Fall ist es ein Problem, einen Härtefall zu konstruieren,
Klägeranwalt:
dem Kläger wird also zum Nachteil gereicht, dass er zuwenig Geld verdient hat?
Richter:
Das ist nichts Ungewöhnliches für Studierende, aber wenn in ihrem Fall bei doppelter Studiendauer...
bei Fachrichtungswechsel und einer deshalb gegebenen Ausbildungsverlängerung ist die Härtefallregelung anzuwenden
bei Ihnen wäre es nicht anwendbar wegen ihrer Studiendauer
Klägeranwalt:
Zumutbarkeitsprüfung ist normal
die Zumustbarkeit das Studium abzuschließen
Richter:
in diesem Fall hat die Selbstorganisation des Lebens dazu geführt, das sie in wirtschaftlich prekären Verhältnissen leben
Kläger:
ich konnte durch das Studium mein Einkommen erhöhen, was bei Abbruch des Studiums nicht möglich gewesen wäre
ich zahle auch seit...
Richter:
...ja, das entspricht ja einer Steuer
Justitiar NDR:
jede Befreiung wird von der Solidargemeinschaft gezahlt
Richter:
die Verhandlung wird um 12:30 unterbrochen.
es geht weiter...
12:45
Richter:
wir haben noch einmal beraten und sind zu der Entscheidung gekommen, dass die Berufung zugelassen wird
es wird ein Urteil verkündet
Sie können die Sache aber hier beenden
Klägeranwalt:
in Anbetracht des Streitwertes bestehen wir auf der Weiterführung
Richter:
Verlesung des Antrags der Klägerseite
Der Justitiar vom NDR stellt den Antrag, die Berufung zurückzuweisen
Kläger:
Ich sehe es auch als rechtswidrig an, dass die Einteilung zu einer Personengruppe (Studenten) zum Nachteil der Lebensführung unterhalb des Existenzminimuns führt.