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Autor Thema: EuGH C-633/22 - Charta - Pressefreiheit steht über Vollstreckungsrecht  (Gelesen 387 mal)

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Vorabhinweis:
In dieser Rechtssache, zu dem es bislang nur den Schlußantrag hat, geht es um die Pressefreiheit eines Verlages, das ebenfalls in Art 11 Charta enthalten ist, allerdings nicht in Abs 1, wie das Unionsgrundrecht auf Informations- und Meinungsfreiheit der natürlichen Personen, sondern in dessen Abs 2.

Es wir die Aussage getätig, daß eine nationale Vollstreckungsmaßnahme unzulässig ist, wenn sie in die Tragweite des Art 11 Charta eingreift und die daraus abgeleiteten Unionsgrundrechte beeinträchtigt, hier also das der Pressefreiheit.

Es ist nur ein kleiner Schritt zu der Überlegung, daß die Tragweite der aus einem Grundrechtsartikel abgeleiteten Grundrecht bei allen Grundrechtsträgern gleich sein muß?

Wenn also die Pressefreiheit der Printmedien aus Art 11 Abs 2 Charta höher ist, als es Maßnahmen des Vollstreckungsrechts sind, sollte es doch bei den aus Art 11 Abs 1 Charta abgeleiteten Grundrechten der natürlichen Personen nicht anders zu betrachten sein und auch diese über den Maßnahmen des Vollstreckungsrechts stehen?

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MACIEJ SZPUNAR
vom 8. Februar 2024(1)
Rechtssache C-633/22

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=282592&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=305714

Zitat
VI.    Ergebnis

193. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen der Cour de Cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) wie folgt zu beantworten:

Art. 45 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 34 Nr. 1 und Art. 45 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

sind dahin auszulegen, dass

ein Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt wird, die sich auf eine Verurteilung eines Unternehmens, das eine Zeitung herausgibt, und eines Journalisten wegen Schädigung des Rufs eines Sportvereins und eines Mitglieds seines medizinischen Teams durch eine in dieser Zeitung veröffentlichte Information bezieht, eine Vollstreckbarerklärung der Entscheidung versagen oder aufheben muss, wenn deren Vollstreckung zu einer offensichtlichen Verletzung der in Art. 11 der Charta der Grundrechte garantierten Freiheit der Meinungsäußerung führen würde.

Eine solche Verletzung ist zu bejahen, wenn die Vollstreckung der Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat eine potenziell abschreckende Wirkung in Bezug auf die Beteiligung sowohl der von der Verurteilung betroffenen Personen als auch anderer Presseunternehmen und Journalisten an der Debatte über ein Thema von allgemeinem Interesse hat. Eine potenziell abschreckende Wirkung liegt vor, wenn der Gesamtbetrag, dessen Zahlung gefordert wird, in Anbetracht der Art und der wirtschaftlichen Lage der betroffenen Person offensichtlich überhöht ist. Im Fall eines Journalisten liegt eine potenziell abschreckende Wirkung insbesondere dann vor, wenn dieser Betrag mehreren Dutzend Standardmindestlöhnen im Vollstreckungsmitgliedstaat entspricht. Im Fall eines Unternehmens, das eine Zeitung herausgibt, ist die potenziell abschreckende Wirkung so zu verstehen, dass das finanzielle Gleichgewicht dieser Zeitung offensichtlich gefährdet ist. Das Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats darf die Schwere des Verschuldens und das Ausmaß des Schadens nur berücksichtigen, um festzustellen, ob der Gesamtbetrag einer Verurteilung, obwohl er auf den ersten Blick offensichtlich überhöht scheint, angemessenen ist, um den Auswirkungen der verleumderischen Äußerungen entgegenzuwirken.

Zitat
C.      Art. 11 der Charta
1.      Die Pressefreiheit nach Art. 11 der Charta
2.      Die Pressefreiheit als Grundprinzip der Unionsrechtsordnung


108. Aus der Rechtsprechung lässt sich ableiten, dass die Tatsache, dass die durch die Charta garantierte Pressefreiheit den gleichen rechtlichen Stellenwert wie die Verträge hat, nicht automatisch bedeutet, dass sie ein Grundprinzip der Unionsrechtsordnung darstellt(75).

109. Abgesehen davon schützt die in Art. 11 Abs. 2 der Charta verankerte Pressefreiheit zum einen die wesentliche Rolle der Medien in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat, die darin besteht, Informationen und Ideen zu Fragen von allgemeinem Interesse zu verbreiten, zu der das Recht der Öffentlichkeit hinzukommt, diese Informationen und Ideen ohne andere als die unbedingt notwendigen Einschränkungen zu empfangen(76).

110. Zum anderen sind gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV die Grundrechte, „wie sie in der [EMRK] gewährleistet sind“, als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts Teil dieses Rechts. Unter diesem Gesichtspunkt ist zu fragen, ob Art. 11 Abs. 2 der Charta in der EMRK seine Entsprechung findet. Wenn ja, wäre die Medienfreiheit nicht nur ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, sondern würde die Rechtsprechung des EGMR auch nützliche Erkenntnisse über die Auslegung dieser Bestimmung der Charta liefern.

111. Insoweit ist zu bemerken, dass Art. 10 EMRK im Gegensatz zu Art. 11 der Charta weder auf die Freiheit noch auf die Pluralität der Medien Bezug nimmt. Zum einen bezieht sich die erstgenannte Bestimmung nach der Rechtsprechung des EGMR jedoch unstreitig auch auf die Pressefreiheit und sogar auf die journalistische Freiheit(77). Zum anderen weist der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung darauf hin, dass die in Art. 11 Abs. 1 und 2 der Charta sowie in Art. 10 EMRK verankerte Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit die gleiche Bedeutung und Tragweite hat(78).

112. In den Erläuterungen zu Art. 11 der Charta heißt es zwar, dass sich dessen Abs. 2 „insbesondere auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs bezüglich des Fernsehens, insbesondere [das Urteil Collectieve Antennevoorziening Gouda(79)], und auf das Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten“ stützt. Mit diesen Verweisen scheint allerdings eher auf die Pluralität der Medien abgestellt zu werden, die zwar untrennbar mit deren Freiheit verbunden ist, in der Ausgangsrechtssache offenbar aber nicht unmittelbar in Frage steht. Die Pluralität der Medien wird jedenfalls auch gemäß Art. 10 EMRK geschützt(80).

113. Daher bildet die Pressefreiheit unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat sowie der Tatsache, dass sie ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, meines Erachtens unbestreitbar einen wesentlichen Grundsatz der Unionsrechtsordnung, dessen offensichtliche Verletzung einen Grund für die Versagung der Vollstreckbarerklärung darstellen kann.

D.      Kriterien für die Prüfung einer offensichtlichen Verletzung der Pressefreiheit
1.      Rolle der Gerichte des Vollstreckungsmitgliedstaats


[...]

Querverweis:
BVerfG 2 BvR 1507/22 - Mißachtung d. Grundrechte b. Zwangsvollstr. unzulässig (2023-03-23)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=37264.0


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 08. Februar 2024, 23:04 von pinguin«
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