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Autor Thema: EuGH C-118/22 - Datenschutz im Strafrecht - Recht auf Löschung  (Gelesen 274 mal)

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Recht auf Löschung: Die allgemeine und unterschiedslose Speicherung
biometrischer und genetischer Daten strafrechtlich verurteilter Personen
bis zu ihrem Tod verstößt gegen das Unionsrecht

https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2024-01/cp240020de.pdf

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
30. Januar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zweck der Bekämpfung von Straftaten – Richtlinie (EU) 2016/680 – Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und e – Datenminimierung – Beschränkung der Speicherung – Art. 5 – Angemessene Fristen für die Löschung oder regelmäßige Überprüfung der Notwendigkeit der Speicherung – Art. 10 – Verarbeitung biometrischer und genetischer Daten – Unbedingte Erforderlichkeit – Art. 16 Abs. 2 und 3 – Recht auf Löschung – Einschränkung der Verarbeitung – Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Rechtskräftig verurteilte und später rehabilitierte natürliche Person – Frist für die Datenspeicherung bis zum Tod – Kein Recht auf Löschung oder Einschränkung der Verarbeitung – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C-118/22

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=282264&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=1296414

Zitat
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und e der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates in Verbindung mit ihren Art. 5 und 10, ihrem Art. 13 Abs. 2 Buchst. b und ihrem Art. 16 Abs. 2 und 3 sowie im Licht der Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

ist dahin auszulegen, dass

er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die vorsehen, dass die Polizeibehörden zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung personenbezogene und insbesondere biometrische und genetische Daten, die wegen einer vorsätzlichen Offizialstraftat rechtskräftig verurteilte Personen betreffen, speichern, und zwar bis zum Tod der betroffenen Person und auch im Fall ihrer Rehabilitierung, ohne den Verantwortlichen zu verpflichten, regelmäßig zu überprüfen, ob diese Speicherung noch notwendig ist, und ohne dieser Person das Recht auf Löschung dieser Daten, sobald deren Speicherung für die Zwecke, für die sie verarbeitet worden sind, nicht mehr erforderlich ist, oder gegebenenfalls das Recht auf Beschränkung der Verarbeitung dieser Daten zuzuerkennen.

Zitat
42      Daher müssen insbesondere die Erhebung personenbezogener Daten im Rahmen eines Strafverfahrens und deren Speicherung durch die Polizeibehörden zu den in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie genannten Zwecken – ebenso wie jede Verarbeitung, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt – diese Anforderungen erfüllen. Eine solche Speicherung stellt im Übrigen einen Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten dar, unabhängig davon, ob die gespeicherten Informationen sensiblen Charakter haben, ob die Betroffenen durch diesen Eingriff Nachteile erlitten haben oder ob die gespeicherten Daten in der Folge verwendet werden (vgl. entsprechend Urteil vom 5. April 2022, Commissioner of An Garda Síochána u. a., C-140/20, EU:C:2022:258, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Was namentlich die Verhältnismäßigkeit der Dauer der Speicherung dieser Daten betrifft, müssen die Mitgliedstaaten des Weiteren nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2016/680 vorsehen, dass diese Daten nicht länger, als es für die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, erforderlich ist, in einer Form gespeichert werden, die die Identifizierung der betroffenen Personen ermöglicht.

44      In diesem Rahmen verpflichtet Art. 5 dieser Richtlinie die Mitgliedstaaten, für die Löschung personenbezogener Daten oder die regelmäßige Überprüfung der Notwendigkeit der Speicherung solcher Daten angemessene Fristen vorzusehen sowie durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen sicherzustellen, dass diese Fristen eingehalten werden.

Zitat
48      Insbesondere stellt dieser Art. 10 das Erfordernis auf, dass die Verarbeitung sensibler Daten „nur“ dann erlaubt ist, „wenn sie unbedingt erforderlich ist“; hierin liegt eine verschärfte Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung solcher Daten, was u. a. bedeutet, dass die Einhaltung des Grundsatzes der „Datenminimierung“, wie er sich aus Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2016/680 ergibt, der in diesem Erfordernis eine spezifische Anwendung auf die genannten sensiblen Daten erfährt, besonders streng kontrolliert werden muss (vgl. in diese Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 26. Januar 2023, Ministerstvo na vatreshnite raboti [Registrierung biometrischer und genetischer Daten durch die Polizei], C-205/21, EU:C:2023:49, Rn. 117, 122 und 125).

Zitat
65      Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederum entschieden, dass die allgemeine und unterschiedslose Befugnis zur Speicherung von Fingerabdrücken, biologischen Proben und DNA-Profilen der Personen, die im Verdacht stehen, Straftaten begangen zu haben, aber nicht verurteilt wurden – wie in der nationalen Regelung vorgesehen, um die es in der Rechtssache vor dem Gerichtshof für Menschenrechte ging –, keinen gerechten Ausgleich zwischen den betroffenen widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen zum Ausdruck bringt und dass die Speicherung dieser Daten daher als unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Privatlebens anzusehen ist und nicht als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig angesehen werden kann, weshalb ein solcher Eingriff einen Verstoß gegen Art. 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten darstellt (EGMR, 4. Dezember 2008, S und Marper/Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:2008:1204JUD003056204, §§ 125 und 126).

66      Zwar kann die Speicherung der biometrischen und genetischen Daten von bereits rechtskräftig verurteilten Personen einschließlich bis zum Tod dieser Personen unbedingt erforderlich im Sinne von Art. 10 der Richtlinie 2016/680 sein, insbesondere um ihre etwaige Verwicklung in andere Straftaten prüfen und somit die Täter, die diese Straftaten begangen haben, verfolgen und verurteilen zu können. Es ist nämlich zu berücksichtigen, welche Bedeutung diesen Daten für strafrechtliche Ermittlungen zukommt, und zwar auch viele Jahre nach der Tat, insbesondere wenn es sich bei diesen Straftaten um schwere Straftaten handelt (vgl. in diesem Sinne EGMR, 13. Februar 2020, Gaughran/Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:2020:0213JUD004524515, § 93).

67      Davon, dass die Speicherung biometrischer und genetischer Daten der Anforderung genügt, wonach sie im Sinne von Art. 10 der Richtlinie 2016/680 nur dann zu erlauben ist, „wenn sie unbedingt erforderlich“ ist, kann jedoch lediglich dann ausgegangen werden, wenn sie Art und Schwere der Straftat, die zur rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung geführt hat, oder andere Umstände wie etwa den besonderen Kontext, in dem diese Straftat begangen wurde, ihren etwaigen Zusammenhang mit anderen laufenden Verfahren oder aber den früheren Lebenswandel oder das Profil der verurteilten Person berücksichtigt. Falls nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vorsehen, dass die im Polizeiregister eingetragenen biometrischen und genetischen Daten der betreffenden Personen im Fall ihrer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung bis zum Zeitpunkt des Todes dieser Personen gespeichert werden, greift daher der Anwendungsbereich dieser Speicherung, wie oben in den Rn. 59 und 60 festgestellt, im Hinblick auf die Zwecke, für die diese Daten verarbeitet werden, übermäßig weit.




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