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Autor Thema: EuGH C-617/15 - Markenrecht - Begriff "Niederlassung"  (Gelesen 367 mal)

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Vorabhinweis:
Ob die hier zu lesenden Aussagen des EuGH für den ganzen Bereich der Wirtschaft gelten, wäre noch zu ermitteln; sie gelten jedenfalls für das Markenrecht -> eine "Niederlassung" hat es nur dann, wenn es ein "Stammhaus" hat und diese "Niederlassung" als Außenstelle dieses "Stammhauses" handelt. Die Rechtssache betrifft Deutschland; in dieser geht es um den Sportartikelhersteller "Nike".

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
18. Mai 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Unionsmarke – Art. 97 Abs. 1 – Internationale Zuständigkeit – Verletzungsklage gegen eine Gesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat – Enkelgesellschaft mit Sitz im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts – Begriff ‚Niederlassung‘“

In der Rechtssache C-617/15

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=190789&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1906740

Zitat
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 97 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke ist dahin auszulegen, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige rechtlich selbständige Gesellschaft, die eine Enkelgesellschaft eines Stammhauses ist, das seinen Sitz nicht in der Union hat, eine „Niederlassung“ dieses Stammhauses im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn diese Enkelgesellschaft einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit bildet und in dem Mitgliedstaat, in dem sie sich befindet, über eine bestimmte reale und konstante Präsenz verfügt, von der aus eine geschäftliche Tätigkeit ausgeübt wird, und sie auf Dauer als Außenstelle des Stammhauses hervortritt.

Zitat
22      Es ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch des Kontexts der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. u. a. Urteile vom 18. Januar 1984, Ekro, 327/82, EU:C:1984:11, Rn. 11, vom 3. September 2014, Deckmyn und Vrijheidsfonds, C-201/13, EU:C:2014:2132, Rn. 14, und vom 16. Juli 2015, Abcur, C-544/13 und C-545/13, EU:C:2015:481, Rn. 45).

23      Dies ist bei dem Begriff „Niederlassung“ im Sinne von Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 der Fall, da dieser Begriff in der Verordnung nicht definiert wird und die Verordnung für die Ermittlung seiner Bedeutung nicht auf die nationalen Rechtsordnungen verweist.
Der Begriff "Niederlassung" hat unionsweit eine einheitliche Auslegung und Bedeutung.

Zitat
37      Diese weite Auslegung führt dazu, auf das Vorliegen greifbarer materieller Merkmale abzustellen, anhand deren das Bestehen einer „Niederlassung“ im Sinne von Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 leicht festgestellt werden kann. Wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verlangt das Bestehen einer solchen Niederlassung somit eine bestimmte reale und konstante Präsenz, von der aus eine geschäftliche Tätigkeit ausgeübt wird und die sich in einer persönlichen und materiellen Ausstattung vor Ort manifestiert. Des Weiteren muss diese Niederlassung auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortreten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. November 1978, Somafer, 33/78, EU:C:1978:205, Rn. 11, vom 18. März 1981, Blanckaert & Willems, 139/80, EU:C:1981:70, Rn. 12, vom 9. Dezember 1987, SAR Schotte, 218/86, EU:C:1987:536, Rn. 10, und vom 19. Juli 2012, Mahamdia, C-154/11, EU:C:2012:491, Rn. 48).

38      In dieser Hinsicht kommt es nicht darauf an, ob die Niederlassung einer Gesellschaft mit Sitz außerhalb der Union im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats Rechtspersönlichkeit besitzt oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2011, Voogsgeerd, C-384/10, EU:C:2011:842, Rn. 54). So müssen sich Dritte auf den von der als Außenstelle des Stammhauses auftretenden Niederlassung erweckten Anschein verlassen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Dezember 1987, SAR Schotte, 218/86, EU:C:1987:536, Rn. 15)

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
EVGENI TANCHEV
vom 12. Januar 2017(1)
Rechtssache C-617/15

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=186706&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1906740

Zitat
43.      Schließlich hat der Gerichtshof in den Urteilen Blanckaert & Willems und SAR Schotte befunden, dass eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung „aus der Sicht eines Dritten leicht erkennbar als Außenstelle eines Stammhauses hervortreten muss“(38) und dass die „enge Verknüpfung zwischen der Klage und dem zur Entscheidung hierüber berufenen Gericht … auch unter Berücksichtigung der Art und Weise [zu beurteilen ist], wie sich diese beiden Unternehmen im Geschäftsleben verhalten und wie sie sich Dritten gegenüber in ihren Handelsbeziehungen darstellen“(39).

47.      Damit hat der Gerichtshof der Verknüpfung zwischen „Stammhaus“ und Niederlassung einen besonderen Aspekt hinzugefügt, nämlich Identifikation und Repräsentation. Dies entspricht den unterschiedlichen Aufgaben, die Art. 18 Abs. 2 der Brüssel?I-Verordnung im Verhältnis zu deren Art. 5 Nr. 5 übernimmt: Art. 18 Abs. 2 der Brüssel-I-Verordnung betrifft die besondere Situation, dass ein Beklagter in der Europäischen Union keinen Wohnsitz hat. Durch die Anknüpfung an die Niederlassung des Beklagten betrachtet er diese als Surrogat für den fehlenden Wohnsitz, indem er bestimmt, dass der Beklagte „so behandelt [wird], wie wenn er seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hätte“. Für die Annahme eines Surrogats ist Identifikation das wichtigste Element.

4.      „Niederlassung“ im Sinne von Art. 97 Abs. 1 GMVO

51.
      Das für meine Untersuchung damit allein relevante erste Kriterium enthält nun seinerseits zwei Elemente, die auf Merkmale verweisen, die von dem konkreten Rechtsstreit unabhängig sind, in dem die Anknüpfung an die Niederlassung erfolgt. Diese Merkmale verdeutlichen das Wesen des Begriffs der Niederlassung selbst. Es handelt sich um a) einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit, der b) auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt.

a)      Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit

52.
      In Bezug auf den „Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit“, das erste Merkmal, hat der Gerichtshof ferner darauf hingewiesen, dass die Niederlassung eine Geschäftsführung haben und sachlich so ausgestattet sein muss, dass sie in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese sich nicht unmittelbar an das Stammhaus zu wenden brauchen(42). Abstrahiert man nun von dem in den entschiedenen Fällen gegebenen vertragsrechtlichen Kontext, der hier nicht besteht, so dürften jedenfalls eine gewisse geschäftliche Tätigkeit sowie eine bestimmte reale und konstante Präsenz zu verlangen sein, die sich in einer persönlichen und materiellen Ausstattung vor Ort manifestiert. Erforderlich ist damit ein Mindestmaß an Organisation und eine gewisse Stabilität; das bloße Vorhandensein von Vermögenswerten und von Bankkonten genügt für eine Niederlassung nicht(43). Überdies verlangt die Rechtsprechung zur Brüssel-I-Verordnung eine Geschäftsführung vor Ort.

53.      Das Element der realen und betrieblichen Präsenz liegt hier offensichtlich vor, da Nike Deutschland ein ortsansässiges Unternehmen ist, das für Kunden von Nike in Deutschland Betreuungsleistungen vor und nach dem Verkauf erbringt. Nike Deutschland ist eine rechtlich selbständige GmbH; damit ist das Element der Geschäftsführung vor Ort gegeben.

b)      Dauerhaftes Hervortreten als Außenstelle eines Stammhauses

54.
      Die Beklagten des Ausgangsverfahrens bezweifeln jedoch, dass zwischen Nike Deutschland und der Beklagten zu 1. tatsächlich eine ausreichende Verknüpfung besteht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird diese Verknüpfung dadurch hergestellt, dass ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit „auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt“(44). Auf Seiten der Niederlassung dürfte dies ein gewisses Maß an Abhängigkeit und Unterordnung voraussetzen.

Den Interessierten bleibt es, den Rest dieses Schlußantrages zu lesen.



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