URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)
8. Dezember 2022(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten – Verordnung (EU) 2016/679 – Art. 2, 4 und 6 – Anwendbarkeit der Verordnung 2016/679 – Begriff ‚berechtigtes Interesse‘ – Wendung ‚Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt‘ – Richtlinie (EU) 2016/680 – Art. 1, 3, 4, 6 und 9 – Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten, die im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen erhoben wurden – Weiterverarbeitung von Daten in Bezug auf das mutmaßliche Opfer einer Straftat für den Zweck seiner Anklage – Wendung ‚anderer Zweck als der, für den die personenbezogenen Daten erhoben werden‘ – Daten, die von der Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats für die Zwecke ihrer Verteidigung gegenüber einer Staatshaftungsklage verwendet werden“
In der Rechtssache C-180/21https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=268431&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7156– Zur Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats für den Zweck der Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte gegenüber einer Staatshaftungsklage
83 In Art. 6 DSGVO sind die Fälle abschließend aufgeführt, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten als rechtmäßig angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C-439/19, EU:C:2021:504, Rn. 99).
84 Dazu gehört nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e DSGVO der Fall, dass die Verarbeitung, die für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, und nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO der Fall, dass die Verarbeitung, die zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 DGSVO gilt Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f nicht für die von Behörden in Erfüllung ihrer Aufgaben vorgenommene Verarbeitung.
85 Aus Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 DSGVO geht, wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend ausgeführt hat, eindeutig hervor, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine Behörde im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht unter Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO fallen kann, der Verarbeitungen personenbezogener Daten betrifft, die zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen erforderlich sind. Wie sich aus dem 47. Erwägungsgrund der DSGVO ergibt und von der Kommission geltend gemacht wurde, kann Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO auf solche Datenverarbeitungen keine Anwendung finden, da ihre Rechtsgrundlage vom Gesetzgeber vorgesehen sein muss. Daraus folgt, dass, wenn die Verarbeitung durch eine Behörde für die Wahrnehmung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich ist und daher zu den in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Verordnung genannten Aufgaben gehört, die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e DSGVO und die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO einander ausschließen.
Rn. 83 verweist auf eine im Forum bereits 2x mit unterschiedlichem Schwerpunkt thematisierte Entscheidung
1.EuGH C-439/19 - DSGVO - Datenübertragung an Wirtschaftsteilnehmer unzulässighttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35594.02.EuGH C-439/19 - DSGVO -> Staatl. Maßnahme darf das Zulässige nicht überschreitenhttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35418.0Hinweis: Rn. 99, auf die in Rn. 83 hingewiesen wird, ist hier zitiert.
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA
vom 19. Mai 2022(1)
Rechtssache C-180/21https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=259624&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7156b) Rechtmäßigkeit der Verarbeitung im Licht der DSGVO
89. Unter welchen Voraussetzungen eine Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist, ist in Art. 6 Abs. 1 der DSGVO geregelt: „Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist“, die anschließend genannt werden. Die dortige Aufzählung ist abschließend(23).
90. Von diesen Bedingungen liegen meines Erachtens weder die Einwilligung der betroffenen Person (Buchst. a) noch die Erfüllung eines Vertrags (Buchst. b), die Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung (Buchst. c)(24) oder der Schutz lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person oder eines Dritten (Buchst. d) vor.
91. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist die Bedingung in Art. 6 Abs. 1 Buchst. f der DSGVO erfüllt. Nach Auffassung der Kommission ist dies nach Unterabs. 2 dieses Absatzes jedoch in der vorliegenden Rechtssache ausgeschlossen, da diese Bedingung „nicht für die von Behörden in Erfüllung ihrer Aufgaben vorgenommene Verarbeitung [gilt]“(25).
94. Für Behörden, die in Erfüllung der ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben tätig werden (hier den staatlichen Strafanspruch geltend zu machen und den Staat gegenüber Staatshaftungsklagen zu vertreten), ist das maßgebliche Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der DSGVO das öffentliche Interesse, dem sie nach Buchst. e dieser Bestimmung dienen.
95. Bei der Bedingung in Buchst. f geht es um die Wahrung berechtigter Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen.
96. Diese Klausel betrifft daher weniger die Verteidigungsmöglichkeiten der öffentlichen Gewalt – die gegebenenfalls unter Buchst. e fallen – als vielmehr die etwaige Vorrangigkeit der Interessen, Rechte und Freiheiten der betroffenen Person gegenüber dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder gegenüber einem Dritten. Sie gilt eher für Streitigkeiten zwischen (privaten) Parteien, deren Interessen nicht öffentlicher Art sind.
Es wird hier also die Aussage getroffen, siehe Rn. 91 dieses Schlußantrages, daß sich Behörden nicht auf
Art 6 Abs. 1 Buchstabe f berufen können, sondern
Art 6 Abs. 1 Buchstabe e zur Anwendung kommt.
Mit diesem
Art 6 Abs. 1 Buchstabe e ist aber die Weitergabe personen-bezogener Daten an Wirtschaftsteilnehmer nicht vereinbar; siehe hierzu den unter 1. betätigten Querverweis auf EuGH C-439/19 und darin Leitsatz 3; der in Beitrag #2 thematisiert ist.
Da die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Wirtschaftsteilnehmer sind, siehe auch
EuGH C-41/90 - Ö.-R.-Anstalt ist als Marktakteur ein Wettbewerbsunternehmenhttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35201.0BGH KZR 31/14 - Dt. ÖRR = Unternehmen im Sinne des Kartellrechtshttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=33155.0sind die Meldedatenabgleiche und sonstigen Zugriffe der ÖRR auf die Meldedatenbestände unionsrechtswidrig?
Fußnote 25, siehe Rn. 91 des Schlußantrages25 Im 47. Erwägungsgrund der DSGVO heißt es: „Da es dem Gesetzgeber obliegt, per Rechtsvorschrift die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Behörden zu schaffen, sollte diese Rechtsgrundlage nicht für Verarbeitungen durch Behörden gelten, die diese in Erfüllung ihrer Aufgaben vornehmen.“
Bei Verarbeitung pers.-bez.-Daten ist das Unionsgrundrecht unmittelbar bindend; (BVerfG 1 BvR 276/17 & BVerfG 1 BvR 16/13)
Keine Unterstützung für
- Amtsträger, die sich über europäische wie nationale Grundrechte hinwegsetzen oder dieses in ihrem Verantwortungsbereich bei ihren Mitarbeitern, (m/w/d), dulden;
- Parteien, deren Mitglieder sich als Amtsträger über Grundrechte hinwegsetzen und wo die Partei dieses duldet;
- Gegner des Landes Brandenburg wie auch gesamt Europas;