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Autor Thema: BVerfG 1 BvL 3/21 - Kürzung staatl. Unterstützung nicht auf Vermutung stützbar  (Gelesen 429 mal)

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Vielleicht passt diese aktuelle Entscheidung des BVerfG ja auch in Rundfunk-Belangen?

BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. Oktober 2022
- 1 BvL 3/21 -, Rn. 1-99,

http://www.bverfg.de/e/ls20221019_1bvl000321.html

Zitat
1.    Der objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums korrespondiert ein Leistungsanspruch, im Fall der Bedürftigkeit materielle Unterstützung zu erhalten. Der Anspruch erstreckt sich auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Diese Sozialleistungen müssen fortlaufend realitätsgerecht bemessen werden, damit gesichert ist, dass tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge getragen wird. Sie können nicht pauschal nur auf der Grundlage der Vermutung abgesenkt werden, dass Bedarfe bereits anderweitig gedeckt sind und Leistungen daher nicht zur Existenzsicherung benötigt werden, ohne dass dies für die konkreten Verhältnisse hinreichend tragfähig belegt wäre.

2.    Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber nicht, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden. Einer Entscheidung des Gesetzgebers, zu verlangen, an der Überwindung der Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen, steht das Grundgesetz daher nicht entgegen. Der Gesetzgeber kann den Bezug existenzsichernder Leistungen grundsätzlich an die Erfüllung der Obliegenheit knüpfen, tatsächlich eröffnete, hierfür geeignete, erforderliche und zumutbare Möglichkeiten zu ergreifen, die Bedürftigkeit unmittelbar zu vermeiden oder zu vermindern. Eine pauschale Absenkung existenzsichernder Leistungen lässt sich auf eine solche Obliegenheit jedoch nur stützen, wenn diese tatsächlich erfüllt werden kann und dadurch Bedarfe in diesem Umfang nachweisbar gedeckt werden.

Zitat
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1. Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers, da das Grundrecht die Würde jedes individuellen Menschen schützt und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann (BVerfGE 125, 175 <222 f.> m.w.N. – Höhe der Regelleistung I; ebenso BVerfGE 132, 134 <159 Rn. 63> – Höhe der Asylbewerberleistungen; siehe auch BVerfGE 137, 34 <72 Rn. 74> – Höhe der Regelleistung II; BVerfGE 142, 353 <371 f. Rn. 39> – Bedarfsgemeinschaft; BVerfGE 152, 68 <114 Rn. 120> – Sanktionen im Sozialrecht). Verfassungsrechtlich ist entscheidend, dass Sozialleistungen fortlaufend realitätsgerecht bemessen werden und damit tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge getragen wird (vgl. BVerfGE 125, 175 <225>; 132, 134 <162 Rn. 69, 163 Rn. 72>; 137, 34 <73 Rn. 77, 74 Rn. 79>; 142, 353 <370 ff. Rn. 36, 38, 43>).

Zitat
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Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind (BVerfGE 125, 175 <223>; 132, 134 <160 Rn. 64>; 142, 353 <370 Rn. 37>). Das Grundrecht bedarf der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen im Hinblick auf die konkreten Bedarfe der Betroffenen auszurichten hat (vgl. BVerfGE 125, 175 <222>; 132, 134 <159 Rn. 62>). Der existenznotwendige Bedarf der Leistungsberechtigten muss stets gedeckt sein (vgl. BVerfGE 125, 175 <224>; 132, 134 <160 Rn. 65>).

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a) Da das Grundgesetz selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen vorgibt, beschränkt sich die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz zunächst darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind (vgl. BVerfGE 125, 175 <225 f.>; 132, 134 <165 Rn. 78>; 137, 34 <75 Rn. 81>). Diese Kontrolle bezieht sich im Wege einer Gesamtschau auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienen, diese Höhe zu bestimmen (BVerfGE 142, 353 <372 Rn. 41>). Evident unzureichend sind Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich ist, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen können, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist (BVerfGE 137, 34 <75 Rn. 81>; 142, 353 <372 Rn. 41>).

Zitat
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a) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (zur Bedeutung der Rechtsprechung bei der Auslegung des Grundgesetzes BVerfGE 148, 296 <350 ff. Rn. 126 ff.>; 152, 152 <176 Rn. 58, 178 Rn. 62>) stellt insbesondere dann hohe Anforderungen an die Rechtfertigung abgesenkter Sozialleistungen, wenn inländische und ausländische Staatsangehörige insoweit ungleich behandelt werden (vgl. EGMR, Gaygusuz v. Austria, Urteil vom 16. September 1996, Nr. 17371/90, § 42; Poirrez v. France, Urteil vom 30. September 2003, Nr. 40892/98, § 46). Strenge Anforderungen ergeben sich aber bereits nach dem Grundgesetz, wenn der Gesetzgeber hinsichtlich unterschiedlicher Personengruppen unterschiedliche Maßstäbe anlegt (vgl. BVerfGE 137, 34 <74 Rn. 78>; oben Rn. 56). Das gilt auch für eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit, die verschärften verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen unterliegt (vgl. BVerfGE 130, 240 <255> – Bayerisches Erziehungsgeldgesetz).


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