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Autor Thema: EuGH C-398/09 - Ausnahme d. Erstattung rechtsgrundl. entr. Unternehmensabgabe  (Gelesen 1132 mal)

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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
6. September 2011(*)

„Nichterstattung einer rechtsgrundlos entrichteten Abgabe – Ungerechtfertigte Bereicherung aufgrund des Zusammenhangs zwischen der Einführung dieser Abgabe und der Aufhebung anderer Abgaben“

In der Rechtssache C-398/09

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=109141&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=147942

Rn. 17
Zitat
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Anspruch auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat, eine Folge und eine Ergänzung der Rechte darstellt, die den Einzelnen aus den Bestimmungen des Unionsrechts erwachsen, die diesen Abgaben entgegenstehen. Der Mitgliedstaat ist also grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zu erstatten (vgl. Urteile vom 9. November 1983, San Giorgio, 199/82, Slg. 1983, 3595, Randnr. 12, vom 21. September 2000, Michaïlidis, C-441/98 und C-442/98, Slg. 2000, I-7145, Randnr. 30, vom 10. April 2008, Marks & Spencer, C-309/06, Slg. 2008, I-2283, Randnr. 35, sowie vom 28. Januar 2010, Direct Parcel Distribution Belgium, C-264/08, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 45).

Rn. 18
Zitat
Als Ausnahme vom Grundsatz der Erstattung nicht mit dem Unionsrecht vereinbarer Abgaben kann jedoch die Rückzahlung einer rechtsgrundlos erhobenen Abgabe abgelehnt werden, wenn sie zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Berechtigten führt. Der Schutz der in diesem Bereich durch die Unionsrechtsordnung garantierten Rechte verlangt daher nicht die Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Steuern, Gebühren oder Abgaben, wenn die zur Zahlung dieser Abgaben herangezogene Person sie nachweislich tatsächlich auf andere abgewälzt hat (vgl. Urteil Comateb u. a., Randnr. 21).

Rn. 19
Zitat
Unter diesen Umständen hat nämlich nicht der Abgabenpflichtige die Last der ohne Rechtsgrund erhobenen Abgabe getragen, sondern der Abnehmer, auf den die Last abgewälzt worden ist. Würde man daher dem Abgabenpflichtigen den Abgabenbetrag erstatten, den er bereits auf den Abnehmer abgewälzt hat, käme dies einer Doppelzahlung an ihn gleich, die als „ungerechtfertigte Bereicherung“ angesehen werden kann, ohne dass damit die Folgen der Rechtswidrigkeit der Abgabe für den Abnehmer beseitigt wären (Urteil Comateb u. a., Randnr. 22).

Rn. 20
Zitat
Da jedoch eine solche Nichterstattung einer auf den Verkauf von Waren erhobenen Steuer eine Beschränkung eines aus dem Unionsrecht abgeleiteten subjektiven Rechts ist, ist sie eng auszulegen. Die unmittelbare Abwälzung der ohne Rechtsgrund gezahlten Abgabe auf den Abnehmer stellt daher die einzige Ausnahme vom Recht auf Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben dar.

Allerdings:
Rn. 23
Zitat
Die Erstattung einer rechtswidrigen Abgabe an einen Abgabepflichtigen, der ihren Betrag auf seine Kunden abgewälzt hat, kann nämlich zwar zu einer ungerechtfertigten Bereicherung dieses Abgabepflichtigen führen, doch gilt dies nicht für den Fall der Aufhebung anderer Abgaben, die mit der Einführung einer gegen das Unionsrecht verstoßenden Abgabe im Zusammenhang stehen soll.

Rn. 22
Zitat
Ebenso kann ein Mitgliedstaat einen Antrag auf Erstattung einer rechtswidrigen Abgabe nicht deshalb ablehnen, weil diese Abgabe wirtschaftlich mit der Aufhebung einer zulässigen Abgabe in entsprechender Höhe verrechnet worden ist.

Aber dennoch:
Rn. 25
Zitat
Diesem Ergebnis stehen die Urteile vom 26. Juni 1979, McCarren (177/78, Slg. 1979, 2161), und vom 13. Dezember 1983, Apple and Pear Development Council (222/82, Slg. 1983, 4083), nicht entgegen. Auch wenn es nämlich der Gerichtshof in Randnr. 25 des Urteils McCarren und in Randnr. 41 des Urteils Apple and Pear Development Council nicht ausgeschlossen hat, dass das nationale Gericht die Erstattung einer rechtswidrigen Abgabe nach innerstaatlichem Recht aus einem anderen Grund als wegen ihrer Abwälzung ablehnen kann, ist die unmittelbare Abwälzung der ohne Rechtsgrund gezahlten Steuer auf den Abnehmer, wie in Randnr. 20 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die einzige Ausnahme vom Recht auf Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben.

Zitat
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Die Regeln des Unionsrechts über die Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge sind dahin auszulegen, dass diese Rückforderung nur dann zu einer ungerechtfertigten Bereicherung führen kann, wenn die von einem Abgabenpflichtigen ohne Rechtsgrund gezahlten Beträge, die in einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden, unmittelbar auf den Abnehmer abgewälzt wurden. Das Unionsrecht verwehrt es daher einem Mitgliedstaat, die Erstattung einer rechtswidrigen Abgabe mit der Begründung abzulehnen, dass die vom Abgabenpflichtigen rechtsgrundlos entrichteten Beträge mit einer Einsparung aus der gleichzeitigen Aufhebung anderer Abgaben verrechnet worden seien, da eine solche Verrechnung aus der Sicht des Unionsrechts nicht als ungerechtfertigte Bereicherung in Bezug auf die erstgenannte Abgabe angesehen werden kann.

Der EuGH bestätigt also, daß der Staat rechtsgrundlos geleistete Abgaben grundsätzlich zu erstatten hat, aber nur an jene Abgabepflichtigen, welche diese Abgabe nicht tatsächlich derart auf Dritte abgewälzt haben, daß sie tatsächlich von diesen Dritten geleistet worden ist.

Wer als Unternehmen seinen Rundfunkbeitrag "eingepreist" hat und insofern von seinen Kunden tragen läßt, (Dritte im Sinne des Unionsrechts), ist demnach möglicherweise genausowenig erstattungsberechtigt, wie jemand, der sie steuermindernd in der Steuererklärung geltend gemacht und anerkannt bekommen hat.

Eine grundsätzliche Erstattungspflicht besteht für den Staat insofern wohl nur gegenüber jenen Personen, die diese unionsrechtswidrige Abgabe tatsächlich selbst getragen haben.

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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PEDRO CRUZ VILLALÓN
vom 7. Dezember 2010(1)
Rechtssache C-398/09

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=78565&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=147942

Zitat
22.      Seit dem Jahr 1960 bejaht der Gerichtshof das Bestehen eines Rechts auf Erstattung von Beträgen, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat( 8 ). In der umfangreichen späteren und auf das Prinzip der unmittelbaren Wirkung gestützten Rechtsprechung ist dieser Grundsatz bestätigt worden( 9 ). Letztlich ist das Recht auf Erstattung von Abgaben, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden, eine Folge und Ergänzung jener Rechte, die dem Einzelnen durch die diese Abgaben verbietenden Bestimmungen eingeräumt werden( 10 ).

Zitat
23.      Nun leitet sich zwar das Recht auf Erstattung unmittelbar aus dem Unionsrecht her, der zu seiner Geltendmachung zur Verfügung stehende Rechtsbehelf fällt hingegen in den Bereich des jeweiligen nationalen Rechts( 11 ). Nach der Rechtsprechung ist es nämlich gemäß dem Grundsatz der Zusammenarbeit Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für die Rechtsbürger aus der unmittelbaren Wirkung der Unionsbestimmungen ergibt. So sind nach ständiger Rechtsprechung mangels einer unionsrechtlichen Regelung auf dem Gebiet der Erstattung rechtswidrig erhobener Abgaben die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für diese Erstattungsanträge Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten( 12 ).

Zitat
24.      Nach einigen Urteilen des Gerichtshofs( 13 ) erstreckt sich die Tätigkeit des nationalen Gesetzgebers nicht nur auf die formellen, sondern auch auf die materiellen Voraussetzungen der Erstattung. Die Rechtsprechung hat insbesondere bestätigt, dass auf die Klagefristen, die Verjährung und den Verfall, Verzugszinsen und sonstige mit der Erstattung rechtsgrundlos entrichteter Beträge zusammenhängende Nebenfragen nationales Recht anzuwenden ist( 14 ).

Zitat
27.      Zum einen muss der nationale Gesetzgeber auf jeden Fall den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz beachten. So darf die Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Beträge nicht von – materiellen oder formellen – Voraussetzungen abhängen, die ungünstiger sind als für ähnliche, nur innerstaatliches Recht betreffende Erstattungsanträge, und diese Voraussetzungen dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren( 15 ).

Zitat
33.      Nach dem Effektivitätsgrundsatz gelten z. B. die Abwälzung betreffende innerstaatliche Beweisregeln, die es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Erstattung zu erreichen, als nicht mit dem Unionsrecht vereinbar( 20 ). Bei für unionsrechtswidrig erklärten indirekten Steuern ist die Möglichkeit der Ablehnung ihrer Erstattung auf der Grundlage einer Abwälzungsvermutung, nach der die Beweislast stets beim Steuerpflichtigen liegt, ausgeschlossen, wobei ferner nicht allein wegen des Bestehens einer gesetzlichen Verpflichtung, die Abgabe in den Preis einfließen zu lassen, vermutet werden darf, die gesamte Steuerlast sei abgewälzt worden. Die Frage der tatsächlichen Abwälzung oder Nichtabwälzung einer indirekten Abgabe ist eine Tatfrage, deren Beurteilung in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts fällt( 21 ).

Zitat
40.      Das Einfließenlassen der Steuer in den Verkaufspreis ist daher nicht das einzige und abschließende Kriterium für eine Ausnahme von der Erstattung; der entscheidende Umstand ist, dass diese Erstattung tatsächlich eine ungerechtfertigte Bereicherung bewirken kann, entweder, weil die Abgabe schließlich vom Käufer der Ware getragen wurde, oder wegen eines anderen Umstands. Mit anderen Worten ist die ungerechtfertigte Bereicherung nicht nur die Grundlage für die Ausnahme, sie ist die Ausnahme selbst( 26 ).

Zitat
41.      Daher ist es möglich, dass die Erstattung der Abgabe nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung führt, obwohl eine Abwälzung erfolgt ist, und die Erstattung kann umgekehrt eine ungerechtfertigte Bereicherung bewirken, obwohl die Abgabe nicht abgewälzt wurde.

Zitat
51.      Die Abwälzung wird steuertechnisch als Instrument zur Verlagerung der Steuerlast auf den endgültig Steuerpflichtigen definiert, so dass die Steuer aus der Sicht des Einzelnen oder des Unternehmens, das zunächst zahlt und anschließend abwälzt, neutral ist und nur eine Stufe des Erhebungsprozesses darstellt( 28 ). Diese Verlagerung der Abgabenlast erfolgt normalerweise über den Verkaufspreis und geht entweder ununterscheidbar in diesem auf oder wird, wie bei der Mehrwertsteuer, gesondert ausgewiesen; jedenfalls muss sich die Einführung der Abgabe in der Preisentwicklung bemerkbar machen. In den Fällen, in denen – wie es bei der Ambi überwiegend der Fall gewesen zu sein scheint – nicht offensichtlich ist, dass die Abgabenlast zur Gänze auf einen Dritten verlagert wurde, kann aber kaum davon ausgegangen werden, es habe eine „Abwälzung“ im eigentlichen Sinne stattgefunden.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 02. Juli 2021, 19:38 von pinguin«
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