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Autor Thema: Auszug aus Drs. 20/2446 (Bürgerschaft HH) / Zustimmungsgesetz rechtswidrig?  (Gelesen 3457 mal)

a

azdb-opfer

Ich bin eben über etwas gestolpert:

Zitat
Die Gesetzgebungskompetenz der Parlamente wird in einer Vielzahl von Politikbereichen darauf beschränkt, seitens der Exekutive ausgehandelten Staatsverträgen zuzustimmen oder diese abzulehnen. Aktuelle Beispiele sind die Bereiche der Medienpolitik und des Glücksspielrechts.

Nach Artikel 43 der Hamburgischen Verfassung bedürfen „Staatsverträge, die Gegenstände der Gesetzgebung betreffen oder Aufwendungen betreffen, für die Haushaltsmittel nicht vorgesehen sind“ der Zustimmung der Bürgerschaft.

Bislang erfolgte selten eine ausführliche Bewertung der Entwürfe von Staatsverträgen durch die Bürgerschaft. Vielmehr werden diese bisher der Bürgerschaft lediglich in einem ersten Schritt zur Kenntnisnahme zugeleitet. In einem zweiten Schritt erfolgt dann im Nachgang zur Unterzeichnung des Staatsvertrags durch die Regierungschefs die Zuleitung und Beratung des jeweiligen Zustimmungsgesetzes an die Landesparlamente.

Aufgrund dieses Verfahrens ist keine ergebnisoffene Sachbefassung mehr möglich, sondern nur das bloße „Abnicken“ des Staatsvertrages.

Dieses Defizit bei der Behandlung von Staatsverträgen lässt sich etwa an der Beteiligung von Parlamentsvertretern bei den Expertenanhörungen der Rundfunkkommission erkennen. Eine unmittelbare Beteiligung erfolgt hierbei nicht. Wohingegen Verbandsvertreter und weitere Experten an diesen Anhörungen teilnehmen und somit aktiv Einfluss auf den Inhalt der Staatsverträge nehmen können, bleibt dies den gewählten Volksvertretern regelmäßig verwehrt.

Ein besonders eindringliches Beispiel stellt hierfür der 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag dar. Der Regelungsinhalt dieses Staatsvertrages, die Zukunft der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ist sehr umstritten.

In der Hamburgischen Bürgerschaft wurde dem Entwurf aber bereits am 09. Februar 2011 zugestimmt. Eine Begründung enthielt der damalige Gesetzentwurf (Drs. 19/8175) nicht, da diese erst am 10. Februar 2011 in einer abgestimmten Form vorlag.

Quelle: Antrag der FDP-Fraktion "Beteiligungsrechte der Bürgerschaft bei Staatsverträgen stärken"
Link: https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/34818/beteiligungsrechte-der-b%C3%BCrgerschaft-bei-staatsvertr%C3%A4gen-st%C3%A4rken.pdf


Das Abstimmungsverhalten wurde hier bereits veröffentlicht:

Zitat
Wer möchte der Ausschussempfehlung folgen und das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag aus Drucksache 19/8175 beschließen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist einstimmig so beschlossen.

Es bedarf einer zweiten Lesung. Stimmt der Senat einer sofortigen zweiten Lesung zu?

(Der Senat gibt seine Zustimmung zu erkennen.)

Das tut er. Gibt es Widerspruch aus dem Hause? – Den sehe ich nicht.

Wer will das soeben in erster Lesung beschlossene Gesetz in zweiter Lesung beschließen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das Gesetz ist somit auch in zweiter Lesung und damit endgültig beschlossen.

Quelle: Plenarprotokoll 19/72 / 19. Wahlperiode - 72. Sitzung am 9. Februar 2011
Link: https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/32320/plenarprotokoll-19-72.pdf


Die Abgeordneten haben das vorgelegte Gesetz ohne Begründung in (geschätzt) maximal 2 Minuten abgenickt. Die Begründung wurde erst einen Tag später nachgereicht, als das Gesetz bereits beschlossen war.

Die Gerichte begründen ihre Urteile immer mit der Notwendigkeit der Abgabenreform. Es wird auch immer behauptet, dass der Landesgesetzgeber berechtigt war, diese Reform zu beschließen, um die "Flucht aus der Rundfunkgebühr" zu beenden. Dass die Urteilsbegründungen total absurd sind, will ich hier nicht thematisieren, das wurde hier im Forum ausreichend dokumentiert.

Ich frage mich, wie die Abgeordneten "blind" ein Gesetz beschließen konnten, obwohl sie die (von den Gerichten oft zitierte) Begründung zum Abstimmungszeitpunkt nicht kannten.

Welche rechtlichen Konsequenzen könnten sich daraus ergeben?


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 07. Oktober 2016, 22:03 von azdb-opfer«

T
  • Beiträge: 334
Der Hergang in Hamburg zeigt, dass sich die Parlamentarier, im vorliegenden Fall, die Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft, offenbar überhaupt nicht mit dem Inhalt des neuen Staatsvertrages auseinander gesetzt haben. Beschämend ist darüber hinaus, wie die vorgesehenen beiden Lesungen, die wohl dafür gedacht sind, zwischenzeitlich die Möglichkeit der Reflexion und des Abwägens von Argumenten zu gewähren, einfach zusammen gelegt wurden und ohne Pause eine nach dem anderen beschlossen wurden.

Eine Schilderung der Zustimmung der Hamburger Bürgerschaft zum Rundfunkbeitragsstaatsvertrages bietet auch das Buch von

Stephanie Eggerath: Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag der Länder. Verfassungsrechtsfragen der Rolle der Länderparlamente bei rundfunkstaatsvertraglichen Reformen am Beispiel des Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags, Baden-Baden : Nomos, 2016, ISBN 978-3-8487-3226-5 (ein Buch, das im wesentlichen konformistisch die üblichen Formulierungen rekapituliert, aber gleichwohl einige nützliche Informationen bietet):
Zitat
Bemerkenswert schnell gestaltete sich das Zustimmungsverfahren in Hamburg. Der Hamburger Senat hatte die Bürgerschaft mit Mitteilung vom 23. November 2010 über den Entwurf des Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags unterrichtet und gleichzeitig mitgeteilt, dass eine Unterzeichnung für den 15. Dezember 2010 vorgesehen sei und die Bürgerschaft um „Kenntnisnahme“ des Vertragstextes gebeten [Hbg. LT-Drs. 19/7959 v. 23.11.2010]. Mit einer Mitteilung, die auf den 14. Dezember 2010 – und damit auf einen Tag vor der endgültigen Unterzeichnung des Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags durch die Regierungschefinnen und Regierungschefs – datiert, beantragte der Hamburger Senat, die Bürgerschaft möge den beigefügten Gesetzentwurf zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag beschließen [Hbg. LT-Drs. 19/8175 v. 14.12.2010]. Eine Begründung enthielt der Gesetzentwurf nicht. Diese wurde erst im Januar 2011 fertiggestellt. Die hamburgische Bürgerschaft hinderte dies jedoch nicht daran, noch zuvor als erstes Landesparlament dem Staatsvertrag zuzustimmen: Nachdem sich der Kultur-, Kreativ- und Medienausschuss am 13. Januar 2011 unter Hinzuziehung von Senatsvertreterinnen und -vertretern mit dem Gesetzentwurf befasst und eine Zustimmung empfohlen hatte [Hbg. LT-Drs. 19/8469 v. 18.1.2011], vollzog die Bürgerschaft in ihrer Sitzung am 9. Februar 2011 die erste und zweite Lesung des Entwurfs ohne jegliche Debatte und stimmte dem Gesetz endgültig zu. [Hbg. PlPr 19/72 v. 9.2.2011, 4556]
Zitat Seite 166-167


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  • Beiträge: 436
Diese Vorgehensweise ist doch in allen Länderparlamenten, nicht nur in HH bei der Zustimmung zum RBStV. ersichtlich.

Da wurden sicherlich vom SWR-Justiziar Hermann Eicher im Vorfeld der Lesungen und Abstimmungen die vorformulieren Textbausteine an die Fraktionsvorsitzenden in den Länderparlamenten zugesendet. Und in den Fraktionssitzungen kommt dann der Befehl Fraktionszwang (Klubzwang).

So läuft das System inzwischen. Argumente ----> wo gibt es hier Argumente in den Parlamenten.

Selbst die eigentlich unabhängigen Gerichte geben sich die dortigen Richter die Klinke in die Hand und sagen, der Kollege vom Gericht X hat so entschieden, egal welche Gründe sie mir in Ihrer Klage nennen, ich muss deshalb ebenfalls so entscheiden.


Edit "Bürger":
Bitte nicht in allgemeine Verlautbarungen abdriften, sondern konstruktiv und zielgerichtet am Kern-Thema dieses Threads arbeiten, welches da lautet
Auszug aus Drs. 20/2446 (Bürgerschaft HH) / Zustimmungsgesetz rechtswidrig?
und im wesentlichen die formale Abfolge der Gesetzgebung zum Thema hat.
Danke für das Verständnis und die Berücksichtigung.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 04. Januar 2017, 00:09 von Bürger«

a

azdb-opfer

Diese Vorgehensweise ist doch in allen Länderparlamenten, nicht nur in HH bei der Zustimmung zum RBStV. ersichtlich.

Nicht in allen Landesparlamenten. In NRW wurden diverse Wissenschaftler angehört, z. B. Prof. Dr.  Ingo von Münch als Experte für Verfassungsrecht. Der war früher FDP-Landesvorsitzender, Wissenschafts- und Kultursenator und 2. Bürgermeister der Hansestadt Hamburg. Prof. Dr. von Münch hat den Rundfunkbeitrag als verfassungswidrig eingestuft und den Abgeordneten in NRW empfohlen, die Zustimmung zu verweigern.
Leider wurde er überhört, wie die anderen Experten auch.

Zurück zum Zustimmungsgesetz in Hamburg:
Hamburg hat komplett auf die Expertenanhörung verzichtet. Die Abgeordneten der Bürgerschaft sollten nicht mit unangenehmen Wahrheiten "belästigt" werden. Warnungen von unabhängigen Verfassungsrechtlern hätten den reibungslosen Ablauf (s.o.) gestört. Das war offensichtlich vom Landesgesetzgeber nicht erwünscht.

Was ich mit dem ersten Beitrag andeuten wollte: eigentlich dürften die Landesverwaltungsgerichte (und die LRA) den RBStV in HH nicht anwenden, da das Zustimmungsgesetz (zum Abstimmungszeitpunkt) offensichtlich unbegründet (und damit rechtswidrig) war.

@TVfrei: Danke für den Literaturhinweis.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 04. Januar 2017, 01:21 von azdb-opfer«

 
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