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Allgemeines => Dies und Das! => Thema gestartet von: pinguin am 03. August 2019, 17:31

Titel: BVerfGE 8, 122 - Volksbefr. Hessen -> Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten
Beitrag von: pinguin am 03. August 2019, 17:31
Zitat
1. Der dem Bundesverfassungsrecht angehörende Satz von der Pflicht des Bundes und der Länder zu bundesfreundlichem Verhalten kann nicht verwaltungsmäßig als eigene Angelegenheit der Länder im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG ausgeführt, er kann nur "beachtet" werden. Nach dem geltenden Verfassungsrecht ist er von Bund und Ländern bei jeder ihrer Maßnahmen, sei es beim Erlaß von Gesetzen, sei es beim Erlaß von Regierungs- und Verwaltungsakten zu beachten. Gegen diesen Grundsatz kann sowohl durch ein Tun als auch durch ein Unterlassen verstoßen werden.

Die Bundesregierung kann gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG unmittelbar das Bundesverfassungsgericht anrufen, um eine Entscheidung darüber zu erreichen, ob ein Land außerhalb der Ausführung von Bundesgesetzen sich dem Grundgesetz gemäß verhalten hat.  

Zitat
6. Im Bundesstaat haben Bund und Länder die gemeinsame Pflicht zur Wahrung und Herstellung der grundgesetzlichen Ordnung in allen Teilen und Ebenen des Gesamtstaates. Soweit der Bund dafür nicht unmittelbar Sorge tragen kann, sondern auf die Mitwirkung des Landes angewiesen ist, ist das Land zu dieser Mitwirkung verpflichtet.

Rn. 21
Zitat
a) Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten hat das Bundesverfassungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtslehre aus dem Wesen des Bundesstaates entwickelt (vgl. BVerfGE 1, 117 [131]; 1, 299 [315 f.]). Durch diesen Grundsatz wird dem Bund und den Ländern in erster Linie eine Schranke beim Gebrauchmachen von ihren Zuständigkeiten gezogen (BVerfGE 4, 115 [140]); derselbe Grundsatz begründet aber unter Umständen auch Hilfs- und Mitwirkungspflichten des Bundes oder der Länder, die als Schranke ihrer Freiheit innerhalb ihrer Zuständigkeiten begriffen werden können. So hat das Bundesverfassungsgericht in den zitierten Entscheidungen aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens eine Pflicht der finanzstärkeren Länder abgeleitet, den schwächeren Ländern in gewissen Grenzen Hilfe zu leisten, und eine Pflicht der Länder, sich in einem Falle, in dem die Verteilung von Bundesmitteln auf die Länder der Zustimmung aller Länder bedurfte, über die Verteilung zu verständigen. In derselben Richtung liegt es, wenn aus der allgemeinen Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten die besondere Pflicht abgeleitet wird, daß ein Land von einer ihm gegenüber einer Gemeinde zustehenden Befugnis Gebrauch macht, um eine Störung der grundgesetzlichen Ordnung zu beseitigen, zu deren Beseitigung der Bund mangels einer Kompetenz nicht imstande ist.

Rn. 24
Zitat
c) Der für Bund und Länder gleicherweise geltende Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens hat die Funktion, die aufeinander angewiesenen "Teile" des Bundesstaats, Bund und Länder, stärker unter der gemeinsamen Verfassungsrechtsordnung aneinander zu binden, aber nicht die Aufgabe, das bundesstaatliche Gefüge zu lockern. Deshalb kann sich kein Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten mit der Behauptung oder mit dem Nachweis entziehen, daß auch der andere Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nicht nachgekommen sei; die Verletzung der Pflicht durch den einen Teil entbindet den anderen nicht von der Beachtung dieser selben Pflicht. Deshalb kommt es auf die Behauptungen des Landes Hessen nicht an, der Bund verletze mit der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr das Grundgesetz, er habe außerdem, indem er bisher das Parteiengesetz nicht erlassen habe und für eine verfassungswidrige Finanzierung der Parteien und für eine dadurch bewirkte Verfälschung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament verantwortlich sei, gegen das Grundgesetz verstoßen.

Rn. 25
Zitat
d) Die Feststellung der Verletzung der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten setzt auch nicht den Nachweis einer "Treulosigkeit" oder der Böswilligkeit des Landes voraus. Sie impliziert überhaupt keinen "Vorwurf". Es geht ausschließlich um die Klärung eines objektiven Begriffs des Verfassungsrechts und, darauf aufbauend, um die Beurteilung eines Sachverhalts, bei dem vorausgesetzt werden kann, daß die daran Beteiligten in der Überzeugung von der Verfassungsmäßigkeit ihrer Handlungsweise gehandelt haben.


Urteil    
des Zweiten Senats vom 30. Juli 1958    
-- 2 BvG 1/58 --

http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv008122.html