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Autor Thema: EGMR -> Art 10 EMRK -> Verbot des Staates, einzugreifen  (Gelesen 746 mal)

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Das Verbot des Staates, in die Tragweite des Art 10 EMRK, bzw., in die Gewährleistungen der EMRK insgesamt, einzugreifen, ist nahezu unbegrenzt. In dieser hier thematisierten Rechtssache ging es sinngemäß um die Wiederaufnahme eines gerichtlichen Verfahrens, das seitens des beklagten Staates unterbunden worden ist, (hab' ich so verstanden); dieses Nichtzulassen der Wiederaufnahme des gerichtlichen Verfahrens war ein Eingriff in den Art 10 EMRK und unzulässig.

CASE OF VEREIN GEGEN TIERFABRIKEN SCHWEIZ (VgT) v. SWITZERLAND (No. 2)
https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-93265

Zitat
79.  Artikel 1 der Konvention sieht vor, dass die Vertragsstaaten "jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Menschen die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ... [der] Konvention". Wie der Gerichtshof in der Rechtssache Marckx (oben zitiert, § 31; siehe auch Young, James und Webster gegen das Vereinigte Königreich, 13. August 1981, § 49, Serie A Nr. 44) feststellte, kann es zusätzlich zu der in erster Linie negativen Verpflichtung eines Staates, sich eines Eingriffs in die Garantien der Konvention zu enthalten, "positive Verpflichtungen geben, die diesen Garantien innewohnen".

81Bei der Feststellung, ob eine positive Verpflichtung besteht oder nicht, ist der gerechte Ausgleich zwischen dem allgemeinen Interesse der Gemeinschaft und den Interessen des Einzelnen zu berücksichtigen, dessen Suche nach diesem Ausgleich der gesamten Konvention innewohnt. Die Tragweite dieser Verpflichtung wird zwangsläufig variieren, da die unterschiedlichen Situationen in den Vertragsstaaten und die Entscheidungen, die hinsichtlich der Prioritäten und der Mittel getroffen werden müssen, zu berücksichtigen sind. Diese Verpflichtung darf jedoch nicht so ausgelegt werden, dass sie den Behörden eine unmögliche oder unverhältnismäßige Belastung auferlegt (siehe z. B. Osman gegen das Vereinigte Königreich, 28. Oktober 1998, § 116, Reports 1998-VIII, und Appleby und andere gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 44306/98, § 40, ECHR 2003-VI).

85. In Bezug auf die Anforderungen von Artikel 46 ist zunächst festzustellen, dass ein beklagter Staat, der gegen die Konvention oder ihre Protokolle verstoßen hat, verpflichtet ist, den Entscheidungen des Gerichtshofs in allen Verfahren, in denen er Partei ist, Folge zu leisten. Mit anderen Worten, eine vollständige oder teilweise Nichtdurchführung eines Urteils des Gerichtshofs kann die internationale Verantwortung des Vertragsstaats auslösen. Der betreffende Vertragsstaat ist nicht nur verpflichtet, den Betroffenen die als gerechte Entschädigung zugesprochenen Beträge zu zahlen, sondern auch individuelle und/oder gegebenenfalls allgemeine Maßnahmen im Rahmen seiner innerstaatlichen Rechtsordnung zu ergreifen, um die vom Gerichtshof festgestellte Verletzung zu beenden und die Auswirkungen zu beseitigen, mit dem Ziel, den Beschwerdeführer so weit wie möglich in die Lage zu versetzen, in der er sich befunden hätte, wenn die Anforderungen der Konvention nicht missachtet worden wären (siehe u. a. Scozzari und Giunta v. Italien [GC], Nr. 39221/98 und 41963/98, § 249, ECHR 2000-VIII, und Assanidze v. Georgia [GC], Nr. 71503/01, § 198, ECHR 2004-II).

87.  In jedem Fall sind die beklagten Staaten verpflichtet, dem Ministerkomitee detaillierte und aktuelle Informationen über die Entwicklung der Vollstreckung der für sie verbindlichen Urteile zu übermitteln (Regel 6 der Regeln des Ministerkomitees für die Überwachung der Vollstreckung von Urteilen und der Bedingungen gütlicher Einigungen - siehe oben, Randnummer 35). In diesem Zusammenhang unterstreicht der Gerichtshof die Verpflichtung der Staaten, Verträge nach Treu und Glauben zu erfüllen, wie dies insbesondere im dritten Absatz der Präambel und in Artikel 26 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge von 1969 zum Ausdruck kommt (siehe oben, Ziffer 37).

92.  Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass Artikel 10 § 2 der Konvention nur wenig Spielraum für Beschränkungen der politischen Meinungsäußerung oder, wie im vorliegenden Fall, der Erörterung von Fragen von öffentlichem Interesse bietet (siehe Lingens gegen Österreich, 8. Juli 1986, § 42, Serie A Nr. 103; Castells gegen Spanien, 23. April 1992, § 43, Serie A Nr. 103). Spanien, 23. April 1992, § 43, Serie A Nr. 236; Thorgeir Thorgeirson gegen Island, 25. Juni 1992, § 63, Serie A Nr. 239; Wingrove gegen das Vereinigte Königreich, 25. November 1996, § 58, Berichte 1996-V; und Monnat gegen die Schweiz, Nr. 73604/01, § 58, EMRK 2006-X). Dies gilt umso mehr im vorliegenden Fall, wenn man das Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juni 2001 berücksichtigt. Außerdem betraf der Fernsehwerbespot die Batteriehaltung von Schweinen. Da er sich auf die Gesundheit der Verbraucher sowie auf den Tier- und Umweltschutz bezog, lag er daher unbestreitbar im öffentlichen Interesse.

96.  Außerdem kann das Argument, die Ausstrahlung des Werbespots könne insbesondere von den Verbrauchern oder den Fleischhändlern und -erzeugern als unangenehm empfunden werden, sein weiteres Verbot nicht rechtfertigen. Der Gerichtshof erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Freiheit der Meinungsäußerung nicht nur für "Informationen" oder "Ideen" gilt, die wohlwollend aufgenommen oder als harmlos oder gleichgültig angesehen werden, sondern auch für solche, die beleidigen, schockieren oder stören. Dies sind die Forderungen nach Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es keine "demokratische Gesellschaft" gibt (siehe Handyside gegen das Vereinigte Königreich, 7. Dezember 1976, § 49, Serie A Nr. 24; Lehideux und Isorni gegen Frankreich, 23. September 1998, § 55, Reports 1998-VII; Murphy gegen Irland, no. 44179/98, § 72, ECHR 2003-IX; und Monnat, oben zitiert, § 55).

97.  Der Gerichtshof stellt schließlich fest, dass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, ihr Rechtssystem so zu organisieren, dass ihre Gerichte den Anforderungen der Konvention gerecht werden können (siehe mutatis mutandis, Bottazzi gegen Italien [GC], Nr. 34884/97, § 22, EMRK 1999-V, und die dort zitierte Rechtsprechung). Dieser Grundsatz gilt auch für die Vollstreckung der Urteile des Gerichtshofs. Dementsprechend ist es in diesem Zusammenhang ebenso unerheblich, wie die Regierung zu argumentieren, dass das Bundesgericht die Ausstrahlung des Werbespots nach dem Urteil des Gerichtshofs in keinem Fall hätte anordnen können. Dasselbe gilt für das Argument, dass der klagende Verband eine Zivilklage hätte erheben müssen.



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Siehe auch das neue Thema:

EGMR -> Art 10 EMRK -> "In einer demokratischen Gesellschaft notwendig"
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=36662.0

Ergänzung aus einer weiteren Entscheidung, die hier gut dazu passt.

CASE OF TÁRSASÁG A SZABADSÁGJOGOKÉRT v. HUNGARY
https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-92171

Zitat
27.  In Anbetracht des durch Artikel 10 geschützten Interesses kann das Gesetz keine willkürlichen Beschränkungen zulassen, die zu einer Form der indirekten Zensur werden können, wenn die Behörden Hindernisse für die Beschaffung von Informationen schaffen. Letztere Tätigkeit ist beispielsweise ein wesentlicher vorbereitender Schritt im Journalismus und ist ein inhärenter, geschützter Teil der Pressefreiheit (siehe Dammann gegen die Schweiz (Nr. 77551/01, § 52, 25. April 2006).  Zur Funktion der Presse gehört die Schaffung von Foren für die öffentliche Debatte. Die Verwirklichung dieser Funktion ist jedoch nicht auf die Medien oder professionelle Journalisten beschränkt. Im vorliegenden Fall wurde die Vorbereitung des Forums für die öffentliche Debatte von einer Nichtregierungsorganisation durchgeführt. Der Zweck der Aktivitäten der Klägerin kann daher als ein wesentliches Element einer informierten öffentlichen Debatte angesehen werden. Der Gerichtshof hat wiederholt den wichtigen Beitrag der Zivilgesellschaft zur Diskussion über öffentliche Angelegenheiten anerkannt (siehe z. B. Steel und Morris gegen das Vereinigte Königreich (Nr. 68416/01, § 89, EMRK 2005-II). Die Klägerin ist eine Vereinigung, die sich mit Menschenrechtsprozessen befasst und verschiedene Ziele verfolgt, darunter den Schutz der Informationsfreiheit. Sie kann daher wie die Presse als sozialer "Wachhund" bezeichnet werden (siehe Riolo gegen Italien, Nr. 42211/07, § 63, 17. Juli 2008; Vides Aizsardz?bas Klubs v. Latvia, no. 57829/00, § 42, 27. Mai 2004). Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof davon überzeugt, dass ihre Tätigkeiten einen ähnlichen Schutz durch die Konvention verdienen wie der Schutz der Presse.
Könnte es eine indirekte Diskriminierung der Printmedien sein, wenn sich die Bürger*innen Printmedien deshalb nicht mehr leisten können, weil der Staat die Bürger*innen unabhängig ihres Nutzungsverhaltens zur Finanzierung des öffentlichen Rundfunks heranzieht und die individuellen Mittel der Bürger*innen für Publikationen beider Informationsmedien nicht ausreicht? Immerhin schaffen die Behörden doch in Belangen der Informationsbeschaffung genau dadurch Hindernisse?


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