Hinweis:Diese Entscheidung erging zu Zeiten der Gültigkeit der Datenschutz-Richtlinie, an deren Stelle die DSGVO getreten ist; der Sachverhalt ist heute anhand der DSGVO zu messen.
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
4. Mai 2017(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 95/46/EG – Art. 7 Buchst. f – Personenbezogene Daten – Voraussetzungen der Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten – Begriff der Erforderlichkeit zur Verwirklichung des berechtigten Interesses eines Dritten – Antrag auf Übermittlung personenbezogener Daten über den Verursacher eines Verkehrsunfalls zur Verteidigung rechtlicher Ansprüche vor Gericht – Verpflichtung des für die Verarbeitung Verantwortlichen, einem solchen Antrag stattzugeben – Fehlen“
In der Rechtssache C-13/16https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=190322&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=3752536Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass er nicht dazu verpflichtet, einem Dritten personenbezogene Daten zu übermitteln, damit er vor einem Zivilgericht Klage auf Ersatz eines durch die betreffende Person verursachten Schadens erheben kann. Jedoch steht er der Übermittlung solcher Daten auf der Grundlage des nationalen Rechts nicht entgegen.
Rn. 25Nach Art. 5 der Richtlinie 95/46 haben die Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Vorschriften der Richtlinie die Voraussetzungen näher zu bestimmen, unter denen die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist. Insoweit bestimmt Art. 7 der Richtlinie, der die Grundsätze in Bezug auf die Zulässigkeit der Verarbeitung solcher Daten festlegt, dass „[d]ie Mitgliedstaaten vor[sehen], dass die Verarbeitung personenbezogener Daten lediglich erfolgen darf“, wenn eine der in dieser Vorschrift abschließend aufgeführten Voraussetzungen erfüllt ist. Nach Art. 7 Buchst. f der Richtlinie darf die Verarbeitung personenbezogener Daten erfolgen, wenn sie zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, erforderlich ist, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 geschützt sind, überwiegen.
Rn. 26 Mithin ergibt sich aus der Systematik der Richtlinie 95/46 und dem Wortlaut ihres Art. 7, dass ihr Art. 7 Buchst. f für sich genommen nicht zu einer Verarbeitung von Daten wie der Übermittlung an einen Dritten von Daten, die zur Verwirklichung von dessen berechtigtem Interesse erforderlich sind, verpflichtet, sondern eine solche Verarbeitung von Daten lediglich erlaubt. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 43 bis 46 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sprechen auch andere Unionsrechtsakte zu personenbezogenen Daten für eine solche Auslegung (vgl. in diesem Sinne zur Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich der elektronischen Kommunikation Urteil vom 29. Januar 2008, Promusicae, C-275/06, EU:C:2008:54, Rn. 54 und 55).
Rn. 28Nach Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46 ist die Verarbeitung personenbezogener Daten unter drei kumulativen Voraussetzungen zulässig: berechtigtes Interesse, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden (1), Erforderlichkeit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses (2) und kein Überwiegen der Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person (3).
Rn. 29Zur Voraussetzung der Wahrnehmung eines berechtigten Interesses ist festzustellen, dass, wie der Generalanwalt in den Nrn. 65, 79 und 80 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kein Zweifel daran besteht, dass das Interesse eines Dritten, eine persönliche Information über eine Person zu erlangen, die sein Eigentum verletzt hat, um gegen sie eine Schadensersatzklage zu erheben, berechtigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Januar 2008, Promusicae, C-275/06, EU:C:2008:54, Rn. 53). Bestätigt wird dies durch Art. 8 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 95/46, nach dem das Verbot der Verarbeitung bestimmter Arten personenbezogener Daten, etwa derer, aus denen die rassische Herkunft oder politische Meinungen hervorgehen, u. a. dann nicht gilt, wenn die Verarbeitung der Daten zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche vor Gericht erforderlich ist.
Rn. 30Zur Voraussetzung der Erforderlichkeit der Verarbeitung der Daten ist festzustellen, dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen (Urteile vom 9. November 2010, Volker und Markus Schecke und Eifert, C-92/09 und C-93/09, EU:C:2010:662, Rn. 86, vom 7. November 2013, IPI, C-473/12, EU:C:2013:715, Rn. 39, und vom 11. Dezember 2014, Ryneš, C-212/13, EU:C:2014:2428, Rn. 28). Im vorliegenden Fall lässt sich der Verursacher des Schadens nach den Angaben des vorlegenden Gerichts allein anhand des Namens und des Vornamens nicht hinreichend identifizieren, um eine Klage gegen ihn erheben zu können. Hierzu ist nach der Vorlageentscheidung ferner die Anschrift und/oder die Identifikationsnummer dieser Person erforderlich.
National kann sich keine Person auf die DSGVO stützen, um eine Weitergabe, bzw. Verarbeitung personen-bezogener Daten zu begründen, (siehe Leitsatz), die DSGVO steht dieser Verarbeitung im konkreten Fall lediglich nicht entgegen; der Grund für jede Art der Verarbeitung muß sich bereits im nationalen Recht wiederfinden und gesetzlich bestimmt sein.
¹SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MICHAL BOBEK
vom 26. Januar 2017(1)
Rechtssache C-13/16https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=187183&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=375253632. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob nach der Richtlinie eine Pflicht des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen besteht, Daten offenzulegen, die die Identifizierung einer Person, die eine Ordnungswidrigkeit begangen haben soll, ermöglichen, so dass R?gas satiksme eine Zivilklage erheben kann.
33. Meine Antwort auf diese konkrete Vorlagefrage ist ein klares „Nein“. Die Richtlinie selbst begründet keine solche Pflicht. Sie sieht lediglich die Möglichkeit (im Sinne einer Erlaubnis oder Ermächtigung) hierzu vor, sofern eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt ist. Die rechtliche Möglichkeit eines bestimmten Handelns ist von der Pflicht zu einem solchen Handeln zu unterscheiden.
Es wird also klar zum Ausdruck gebracht, daß auch im Unionsrecht die Möglichkeit, also das Recht, etwas zu tun, nicht die Pflicht zu diesem Tun behinhaltet, sondern auch das Unterlassen dieses Tuns unionsrechtmäßig ist.
35. Die vorliegenden Schlussanträge sind daher wie folgt aufgebaut: Zuerst lege ich dar, warum die Richtlinie meiner Ansicht nach für die Stelle, die im Besitz der Daten ist, keine Pflicht zur Weitergabe begründet (Abschnitt A). Um die Fragen des vorlegenden Gerichts in dieser Rechtssache umfassend und nutzbringend zu beantworten, mache ich danach Ausführungen zu den Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 7 Buchst. f der Richtlinie sowie dazu, in welchem Umfang personenbezogene Daten weitergegeben werden dürfen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind (Abschnitt B).
38. Was zunächst Systematik und Logik der Richtlinie betrifft, liegt dieser die Regel zugrunde, dass, um ein hohes Maß an Schutz des Rechts auf Privatsphäre zu gewährleisten, personenbezogene Daten im Allgemeinen nicht verarbeitet werden sollen ( 4 ). Die Verarbeitung personenbezogener Daten soll ihrer Art nach vielmehr die Ausnahme bleiben.
40. Vor diesem Hintergrund bestätigt der Wortlaut des Art. 7 eindeutig, dass die aufgeführten Kategorien als bloße Gestattung oder Ermöglichung der Verarbeitung personenbezogener Daten und nicht als eine Verpflichtung anzusehen sind, wenn der Sachverhalt unter eine der gesetzlichen Ausnahmen fällt. Nach dieser Bestimmung „[sehen d]ie Mitgliedstaaten … vor, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten lediglich erfolgen darf, wenn …“(5). Diesem Wortlaut, der auch in den anderen Sprachfassungen verwendet wird ( 6 ), ist eindeutig zu entnehmen, dass die in Art. 7 aufgeführten Ausnahmen tatsächlich Ausnahmen sind. Sie können nicht als eine Verpflichtung zur Verarbeitung personenbezogener Daten ausgelegt werden.
41. Die Tatsache, dass zumindest einige der Ausnahmen nach Art. 7 unmittelbare Wirkung haben ( 7 ), ändert an der obigen Schlussfolgerung nichts. Sie begründen als solche weder einen Anspruch desjenigen, der um Informationen ersucht, auf deren Bereitstellung, noch begründen sie eine Pflicht desjenigen, der im Besitz von Informationen ist, zu deren Weitergabe. Art. 7 stellt vielmehr allgemeine Regeln auf, die den Auftragsverarbeiter in die Lage versetzen zu bestimmen, ob, wann, wie und in welchem Umfang er ihm vorliegende personenbezogene Daten verarbeiten darf.
Die ÖRR haben also nicht automatisch das Recht, die personen-bezogenen Daten aller wohnungsinnehabenden Bürger*innen zu erhalten, und die Behörden, bspw., haben nicht das automatische Recht, diese Daten an den ÖRR aktiv oder passiv durchzureichen; jedenfalls nicht auf Basis der DSGVO.
42. Übergeordnetes Ziel der Richtlinie ist schließlich, der Verarbeitung personenbezogener Daten gemeinsame unionsrechtliche Schranken und Grenzen zu setzen. Die konkreten Grundlagen und Gründe für die Verarbeitung sind dann typischerweise im nationalen Recht oder in anderen Unionsrechtsakten zu finden. Mit anderen Worten setzt die Richtlinie der Datenverarbeitung Grenzen und ist nicht deren Triebfeder.
43. Demnach deuten Wortlaut, Systematik, gedanklicher Ansatz und Zweck der Richtlinie allesamt klar darauf hin, dass deren Art. 7 Buchst. f nicht als Quelle oder Grundlage einer Pflicht zur Weitergabe personenbezogener Daten zu verstehen ist.
45. Beispielsweise enthält auch die Richtlinie 2002/58/EG über den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation ( 8 ), die die Richtlinie 95/46 im Bereich der elektronischen Kommunikation ergänzt, keine Weitergabepflicht. Der Gerichtshof hat im Urteil Promusicae klargestellt, dass die erstgenannte Richtlinie die Mitgliedstaaten weder hindere noch zwinge, eine Pflicht zur Weitergabe personenbezogener Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen ( 9 ). Die Entscheidung hierüber liegt also beim Mitgliedstaat und ist keine zwangsläufige Folge des Unionsrechts.
Die DSGVO nennt also Möglichkeiten für die Zulässigkeit der Verarbeitung personen-bezogenener Daten, deren konkrete Rechtsgrundlage im nationalen Recht oder anderen Uniosnrechtsakten begründet ist.
49. Hier ist jedoch deutlich hervorzuheben, dass der folgende Teil der vorliegenden Schlussanträge sich auf die Möglichkeit der Weitergabe personenbezogener Daten in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens bezieht, und zwar unter der Bedingung, dass das nationale Recht die Grundlage für eine solche Weitergabe vorsieht. Mit anderen Worten kann gefragt werden: Welche Grenzen setzt das Unionsrecht der Weitergabe personenbezogener Daten in einer solchen Situation? Wäre, sofern das nationale Recht die Weitergabe personenbezogener Daten in einer ähnlichen Situation vorsähe, eine solche Weitergabe mit Art. 7 Buchst. f der Richtlinie vereinbar?
53. Die meisten Parteien und Streithelfer stützten sich auf den vom vorlegenden Gericht herangezogenen Art. 7 Buchst. f. Die österreichische Regierung hat in ihren schriftlichen Erklärungen jedoch geltend gemacht, Art. 7 Buchst. f der Richtlinie sei auch für die Zwecke der Erhebung einer Zivilklage nicht die richtige Rechtsgrundlage. Dem sei so, weil diese Bestimmung eine zu abstrakt und unbestimmt gefasste Grundlage für die Datenverarbeitung bilde. Sie könne daher keinen derartigen Eingriff in das Recht auf Datenschutz rechtfertigen.
55. Art. 7 der Richtlinie sieht verschiedene Rechtsgrundlagen für eine rechtmäßige Datenverarbeitung vor, wobei sechs Szenarien unterschieden werden. Damit solche Daten verarbeitet werden dürfen, müssen sie unter mindestens eine der in Art. 7 genannten Kategorien fallen. Allerdings ist klar, dass sich diese Bestimmungen nach Anwendungsbereich und Zweck unterscheiden.
56. Verallgemeinernd gesagt enthält Art. 7 drei Arten von Ausnahmen, nach denen die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist: Erstens, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung erteilt hat (Art. 7 Buchst. a), zweitens, wenn das Vorliegen eines berechtigten Interesses des für die Verarbeitung Verantwortlichen oder eines Dritten in gewissem Umfang vermutet wird (Art. 7 Buchst. b bis e), und drittens, wenn die konkurrierenden berechtigten Interessen nicht nur nachgewiesen werden, sondern auch schwerer wiegen müssen als die Interessen oder Rechte und Freiheiten der betroffenen Person (Art. 7 Buchst. f).
58. Jenseits akademischer Betrachtungen sind hier jedoch zwei Punkte hervorhebenswert. Erstens schließen sich die Ausnahmen des Art. 7 nicht gegenseitig aus. Somit können auf einen Sachverhalt zwei oder möglicherweise sogar alle drei Ausnahmen anwendbar sein(13). Zweitens dürfte der praktische Unterschied in der Anwendung trotz des leicht abweichenden Wortlauts, vorausgesetzt, es liegt ein klar benanntes und glaubhaftes berechtigtes Interesse vor, eher gering sein.
2. Bedingungen und Anwendungsbereich des Art. 7 Buchst. f der Richtlinie
60. Art. 7 Buchst. f enthält zwei kumulative Bedingungen. Beide müssen erfüllt sein, damit die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist: Erstens muss die Verarbeitung zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten, dem bzw. denen Daten weitergegeben werden, wahrgenommen wird. Zweitens muss dieses Interesse schwerer wiegen als die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person(14).
62. Für die Zwecke von Art. 7 Buchst. f müssen also drei Merkmale erfüllt sein:
a) das Vorliegen eines berechtigten, die Verarbeitung rechtfertigenden Interesses;
b) der Vorrang dieses Interesses gegenüber den Rechten und Interessen der betroffenen Person (Interessenabwägung) und
c) die Erforderlichkeit der Verarbeitung zur Verwirklichung des berechtigten Interesses.
64. Die Richtlinie legt nicht fest, was unter einem berechtigten Interesse zu verstehen ist(15). Daher ist es Sache des für die Verarbeitung Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters, festzustellen, ob es ein berechtigtes Interesse gibt, das einen Eingriff in die Privatsphäre rechtfertigen könnte, wobei diese Feststellung unter der Aufsicht der nationalen Gerichte geschieht.
Ist also nachgewiesen, daß das EMA personen-bezogene Daten weitergibt oder weitergegeben hat, (aktiv oder passiv), ist auch das EMA bspw. nötigenfalles gerichtlich zu belangen, nicht der ÖRR.
66. Die zweite Bedingung betrifft die Abwägung zweier widerstreitender Interessen, nämlich die Interessen und Rechte der betroffenen Person(18) und die Interessen des für die Verarbeitung Verantwortlichen oder Dritter. Das Abwägungserfordernis folgt ersichtlich aus Art. 7 Buchst. f und der Entstehungsgeschichte der Richtlinie. Nach ihrem Art. 7 Buchst. f sind die berechtigten Interessen der betroffenen Person gegen die berechtigten Interessen des für die Verarbeitung Verantwortlichen oder eines Dritten abzuwägen. Die Entstehungsgeschichte belegt, dass die Interessenabwägung in leicht abgewandelter Form bereits im ursprünglichen Kommissionsvorschlag(19) sowie nach erster Lesung des Europäischen Parlaments auch im geänderten Vorschlag(20) vorgesehen war.
67. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Anwendung von Art. 7 Buchst. f eine Abwägung der jeweiligen einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen erfordere. Dabei sei die Bedeutung der sich aus den Art. 7 und 8 der Charta ergebenden Rechte der betroffenen Person zu berücksichtigen(21). Bei dieser Abwägung sei von den konkreten Umständen des Einzelfalls auszugehen(22).
68. Die Abwägung ist der Schlüssel zur korrekten Anwendung von Art. 7 Buchst. f. Genau dieser Vorgang unterscheidet Art. 7 Buchst. f grundlegend von den übrigen Bestimmungen des Art. 7. Er hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof betont, dass die Mitgliedstaaten das Ergebnis der Abwägung der einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen nicht für bestimmte Kategorien personenbezogener Daten abschließend vorschreiben können, ohne Raum für ein Ergebnis zu lassen, das aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls anders ausfällt(23).
69. Um die Abwägung sinnvoll durchzuführen, müssen insbesondere die Art und Sensibilität der erbetenen Daten, der Grad ihrer öffentlichen Zugänglichkeit(24) und die Schwere des begangenen Gesetzesverstoßes angemessene Berücksichtigung finden. Einer der im Rahmen der Abwägung möglicherweise zu gewichtenden Umstände, der im vorliegenden Fall von Bedeutung ist, ist das Alter der betroffenen Person.
70. Zur Erforderlichkeit und damit gewissermaßen zur elementaren Verhältnismäßigkeit hat der Gerichtshof ganz allgemein entschieden, dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen (25). Daher dürfen Art und Menge der Daten, die verarbeitet werden dürfen, nicht über das hinausgehen, was zur Verwirklichung der in Rede stehenden berechtigten Interessen erforderlich ist.
71. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist eine Würdigung des Verhältnisses zwischen Zwecken und gewählten Mitteln. Die gewählten Mittel dürfen nicht über das Erforderliche hinausgehen. Dieser Gedanke gilt jedoch auch umgekehrt: Die Mittel müssen geeignet sein, den angegebenen Zweck zu erreichen.
72. Praktisch gesehen hat der für die Verarbeitung Verantwortliche, der die Erforderlichkeit zu beurteilen hat, zwei Möglichkeiten. Entweder sieht er davon ab, überhaupt Daten weiterzugeben, oder er muss dann, wenn er sich für eine Verarbeitung der betreffenden Daten entscheidet, alle Daten weitergeben, die zur Verwirklichung der betreffenden berechtigten Interessen erforderlich sind(26).
73. Erstens schreiben Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und der 28. Erwägungsgrund der Richtlinie vor, dass personenbezogene Daten den Zwecken entsprechen, für die sie erhoben und/oder weiterverarbeitet werden, dafür erheblich sind und nicht darüber hinausgehen(27). Aus diesen Bestimmungen folgt also, dass die weitergegebenen Daten für die Verwirklichung der berechtigten Interessen zweckentsprechend und erheblich sein müssen.
74. Zweitens gebietet der gesunde Menschenverstand bezogen auf die Daten, die tatsächlich verarbeitet werden sollen, eine vernünftige Heran- und Vorgehensweise. Um Auskunft ersuchenden Personen sollten daher durchaus verwertbare und relevante Daten, die für die Verwirklichung ihres eigenen berechtigten Interesses erforderlich und ausreichend sind, bereitgestellt werden, ohne dass an eine andere Stelle, die eventuell ebenfalls im Besitz der betreffenden Informationen ist, ein Ersuchen weitergeleitet werden muss.
76. Schließlich ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die Frage danach, in welchem Umfang genau Daten weitergegeben werden dürfen, vom einzelstaatlichen Recht zu beantworten ist. Zugegebenermaßen könnte auch das einzelstaatliche Recht eine solche nur teilweise Weitergabe von Informationen vorsehen, die für sich genommen unzureichend wäre. Das ist tatsächlich möglich. Die Tatsache, dass die nationalen Rechtsvorschriften möglicherweise praktisch wenig hilfreich sind, macht sie nicht automatisch mit Unionsrecht unvereinbar, sofern sie sich im Rahmen der den Mitgliedstaaten zustehenden Rechtssetzungskompetenz halten. Hier soll allerdings nur zum Ausdruck gebracht werden, dass Art. 7 Buchst. f der Richtlinie einer vollständigen Weitergabe aller erforderlichen Informationen, die für die effektive Verwirklichung des berechtigten Interesses einer Person benötigt werden, nicht entgegensteht, solange die sonstigen Bedingungen erfüllt sind.
85. Ein letzter Punkt: Sollte die Interessensabwägung zu dem Ergebnis führen, dass die Interessen der betroffenen Person die Interessen der um Weitergabe personenbezogener Daten ersuchenden Person nicht überwiegen, stellt sich eine abschließende Frage: Ist die Datenweitergabe erforderlich und, wenn ja, in welchem Umfang?
86. Wiederum ist es Sache des vorlegenden Gerichts, im nationalen Recht die Rechtsgrundlage ausfindig zu machen, auf die eine solche Weitergabe gestützt werden kann. Ist eine solche Grundlage ermittelt, steht das in Art. 7 Buchst. f der Richtlinie niedergelegte Kriterium der „Erforderlichkeit“ der vollständigen Weitergabe aller Informationen, die nach lettischem Recht für die Erhebung einer Zivilklage benötigt werden, meines Erachtens nicht entgegen.
91. Vorliegend handelt es sich um einen etwas sonderbaren Fall. Das vorlegende Gericht fragt im Kern, ob eine Ausnahme, die die Verarbeitung personenbezogener Daten gestattet, als eine den für die Verarbeitung Verantwortlichen treffende Pflicht ausgelegt werden kann, die Identität einer Person preiszugeben, die einen Autounfall verursacht hat. Man hat hier den Eindruck, dass der eigentliche Grund, diese Frage zu stellen, darin besteht, dass der Zugang zu diesen Informationen auf der nationalen Ebene im Namen des Datenschutzes erschwert, wenn nicht sogar vollständig versperrt ist.
92. Wenn man die Abfolge der hier maßgeblichen Ereignisse betrachtet, könnte ein uninformierter Betrachter unbefangen die folgende Frage stellen: Sollte ein individuelles Ersuchen um Offenlegung der Identität einer Person, die das Eigentum des Ersuchenden verletzt hat und die dieser auf Schadensersatz verklagen möchte, tatsächlich ein Fall sein, in dem die Polizeibeamten die Pflicht trifft, eine mehrstufige Interessenabwägung und Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, gefolgt von einem sich hinziehenden Rechtsstreit und einer Stellungnahme der nationalen Datenschutzbehörde?
93. Der vorliegende Fall ist erneut eine Begebenheit(30), bei der die Datenschutzvorschriften unter ziemlich überraschenden Umständen relevant werden und Anwendung finden. Der Fall erzeugt nicht nur beim uninformierten Betrachter ein gewisses gedankliches Unwohlsein mit Blick auf die angemessene Anwendung und das vernünftige Wirken von Datenschutzvorschriften. Ich ergreife diese Gelegenheit zu einigen Schlussbemerkungen hierzu.
94. Es besteht kein Zweifel daran, dass dem Schutz personenbezogener Daten im digitalen Zeitalter eine elementare Bedeutung zukommt. Der Gerichtshof hat an der Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Bereich führend mitgewirkt(31), und dies zu Recht.
95. Jedoch spiegeln die zitierten Fälle wahrhaftig das Hauptanliegen des Schutzes personenbezogener Daten wider, für die der Datenschutz ursprünglich eingeführt worden ist und weswegen er energisch verteidigt werden muss: Die groß angelegte Verarbeitung personenbezogener Daten mit mechanisierten, digitalen Mitteln, und zwar in allen ihren Erscheinungsformen, wie etwa das Erheben, Verwalten, und Verwenden großer Datensätze, der Weitergabe von Datensätzen zu anderen als legitimen Zwecken, das Zusammenstellen und Abgreifen von Metadaten und so weiter.
97. Verallgemeinernd gesagt hat der Gerichtshof im Urteil Promusicae auf der Notwendigkeit bestanden, die sich mit personenbezogenen Daten befassenden Richtlinien so auszulegen, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten sichergestellt ist(32).
Weiterführende Entscheidungen:EuGH C-620/19 - Jur. Pers. können sich nicht auf die DSGVO stützenhttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=34888.0EuGH C-439/19 - DSGVO -> Staatl. Maßnahme darf das Zulässige nicht überschreitenhttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35418.0EuGH C-439/19 - DSGVO - Datenübertragung an Wirtschaftsteilnehmer unzulässighttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35594.0EuGH C-61/19 - Nutzung pers. bez. Daten nur mit aktiver Erlaubnishttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=34445.0EuGH C-511/18 - Pers.bez. Daten dürfen nur unionsrechtmäßig verarbeitet werdenhttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=34647.0EuGH C-78/18 - "Recht auf Achtung d. Privat- und Familienlebens"https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35374.0EuGH C-201/14 Ohne Kenntnis d. Bürger kein Datenaustausch zwecks Verarbeitg.https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,15947.msg105965.html#msg105965Fußnote:¹ Man beachte den nationalen Rang der Normengebungsbefugnis, wie er in Art 31 GG seinen Ausdruck findet.
Bei Verarbeitung pers.-bez.-Daten ist das Unionsgrundrecht unmittelbar bindend; (BVerfG 1 BvR 276/17 & BVerfG 1 BvR 16/13)
Keine Unterstützung für
- Amtsträger, die sich über europäische wie nationale Grundrechte hinwegsetzen oder dieses in ihrem Verantwortungsbereich bei ihren Mitarbeitern, (m/w/d), dulden;
- Parteien, deren Mitglieder sich als Amtsträger über Grundrechte hinwegsetzen und wo die Partei dieses duldet;
- Gegner des Landes Brandenburg wie auch gesamt Europas;