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GERICHTSTERMIN: Verhandlung, BayVGH München, Di, 20.02.2018, 10:30h
Philosoph:
--- Zitat von: Mork vom Ork am 06. März 2018, 09:43 ---
--- Zitat ---Gericht: [...] Es liegt ein Härtefall vor, wenn es sich um einen atypischen Fall handelt, den der Gesetzgeber übersehen hat. Wenn es sich um einen atypischen Fall handle, liege ein Härtefall vor und die Prüfung des Gerichts endete an dieser Stelle. [...]
--- Ende Zitat ---
Ich frage mich die ganze Zeit, woher diese Formulierung stammt, die den Härtefall als atypischen Fall definiert, den der Gesetzgeber übersehen hat.
Hat jemand vielleicht eine Idee der Quelle dieser Definition?
--- Ende Zitat ---
Soweit ich informiert bin, ist das durchaus eine gängige Definition, die sich an die BVerfG-Rechtsprechung anlehnt, z.B.:
Beschluss des BVerfG vom 25.06.2014, 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10
http://www.bverfg.de/e/rs20140625_1bvr066810.html
--- Zitat ---Rn. 50: Außerdem darf eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (vgl. BVerfGE 112, 268 <280 f.>; 117, 1 <31>; 120, 1 <30>; 123, 1 <19>; 127, 224 <246>).
--- Ende Zitat ---
Man kann das durchaus sinnvoll so verstehen, dass bei einer Regelung, die eine größere Gruppe treffen soll, nicht die "Ränder" also die Ausnahmen dieser Gruppe als Leitbild dienen sollen, sondern eben der "Durchschnitt". Deshalb muss sich der Gesetzgeber aber auch am GG orientieren und untersuchen, ob es Leute besonders hart trifft oder sogar ungerechtfertigt. Das ist beim RBStV der Fall, wo es auch die Nichtnutzer trifft (atypischer Fall) und nicht alle, deren finanzielle Möglichkeiten vergleichbar sind, entsprechend Art. 3 GG eine Befreiungsmöglichkeit finden.
Bei dem Passus, dass der "Gesetzgeber einen Fall übersehen" haben könnte, sollte man inzwischen doch mal zwischen Realität und Ideal unterscheiden. Der Gesetzgeber sollte kompetent sein und Gesetze überprüfen, bevor er sie verabschiedet. Da das inzwischen immer weniger der Fall ist, sollten die Gerichte entsprechend reagieren und dann nicht alles durchwinken, sondern die Angelegenheiten wenigstens dem BVerfG vorlegen. Vielleicht fängt man dann in der Legislative doch wieder an zu denken.
Interessanterweise wird der atypische Fall je nach Gusto unterschiedlich angewendet. Man blicke mal in seinen "Widerspruchsbescheid", in dem drin steht, dass nur atypische Fälle befreit werden können. Wenn nun der Nicht-Teilnehmer nicht befreit wird, weil er kein atypischer Fall sei, dann muss man sich doch fragen, wie viele Leute überhaupt noch am Rundfunk teilnehmen.
Insgesamt ist dieses Gesetz nur darauf angelegt, die Versorgungsposten zu sichern, nicht aber wirklich etwas Positives für die Demokratie zu leisten.
Philosoph:
Inzwischen gibt es eine
Urteilsveröffentlichung zur Verhandlung unserer Studentin vor dem BayVerwGH München:
Urteil v. 28.02.2018 – 7 BV 17.770
http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2018-N-6999?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1
Markus KA:
VGH München, Urteil v. 28.02.2018 – 7 BV 17.770 Rn. 24:
--- Zitat ---Gegebenenfalls ist ein Student während des nicht geförderten Zweitstudiums darauf zu verweisen, nicht nur seinen Lebensunterhalt, sondern auch den Rundfunkbeitrag durch eigene Anstrengungen zu finanzieren.
--- Ende Zitat ---
VGH München, Urteil v. 28.02.2018 – 7 BV 17.770
http://www.gesetze-bayern.de/(X(1)S(cdoaa1hsfmjxrbgkruvjxdbf))/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2018-N-6999?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1
Eine Studentin, die aus welchen Gründen auch immer ihr Studium verlängern oder ändern musste, aus diesem Grund nicht mehr BaföG erhält, obwohl sich an ihrer schlechten finanziellen Situation nichts geändert hat und jeden Cent für Studium und Lebensunterhalt zusammenkratzen muss, darf noch zusätzlich bluten und den ÖRR finanzieren.
Gemäß dem Motto "Strafe muss sein, wenn Du es nicht schaffst, finanziert Dich der Staat nicht mehr und zusätzlich darfst Du noch zur Strafe den ÖRR finanzieren"!
Es wird lapidar begründet, die Situation sei ein "Normalfall" und "vorhersehbar" (Rn.23)
Philosoph:
Soweit ich das sehe, beruft man sich in der bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit auf dieses
"Grundsatzurteil" des Bay VGH vom 3.12.2013, 7 ZB 13.1817
http://gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2013-N-59320?hl=true
RN 23 ff.:
--- Zitat ---Die bloße Einkommensschwäche als solche hat damit nach den zuletzt geltenden Regelungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrags grundsätzlich nicht mehr zur Gebührenbefreiung geführt.
bb) An dieser nach ständiger Rechtsprechung (s. o.) mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG) und dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) im Einklang stehenden Beschränkung der Befreiung für einkommensschwache Personen auf durch Leistungsbescheid nachweisbare Fälle der Bedürftigkeit hat der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag nichts geändert. Vielmehr sind - anknüpfend an die Regelung des § 6 Abs. 2 RGebStV (LT-Drs. 16/7001) - auch nach § 4 Abs. 7 Satz 2 RBStV die Voraussetzungen für die Befreiung oder Ermäßigung durch die entsprechende Bestätigung der Behörde oder des Leistungsträgers im Original oder durch den entsprechenden Bescheid im Original oder in beglaubigter Kopie nachzuweisen (Gall/Siekmann in Hahn/Vesting, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, § 4 RBStV Rn. 4, 73; VG Gelsenkirchen, B. v. 7.10.2013 - 14 K 2595.13 - juris). Dies gilt nach dem Willen des Normgebers (LT-Drs. 16/7001, S. 16) auch für den im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2011 (1 BvR 665/10, BVerfGK 19, 181) und vom 30. November 2011 (1 BvR 3269/08 und 1 BvR 656/10, ZUM 2012, 244) ausdrücklich in § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV geregelten Fall, wonach eine besondere Härte vorliegt, wenn eine Sozialleistung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 RBStV in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten.
Allein die nicht durch entsprechende Leistungsbescheide nachgewiesene materielle Bedürftigkeit führt daher auch nach neuem Recht nicht zu einer Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gemäß § 4 Abs. 1 oder Abs. 6 RBStV (Gall/Siekmann in Hahn/Vesting, Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, § 4 RBStV Rn. 52).
cc) Da eine etwaige Vermögenslosigkeit der Klägerin somit keinen Befreiungstatbestand des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags erfüllt, bestand für das Verwaltungsgericht auch keine Veranlassung, die Vermögenssituation der Klägerin im Wege der Amtsermittlung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO weiter aufzuklären oder die Klägerin gemäß § 86 Abs. 3 VwGO auf eine etwaige Unvollständigkeit ihrer hierzu vorgelegten Unterlagen hinzuweisen.
[Hervorhebung durch mich.]
--- Ende Zitat ---
1. Der VGH interpretiert die Beschlüsse des BVerfG vom 9. und 30. November 2011 offensichtlich völlig anders als der unbedarfte Leser. Darin steht es, meiner Ansicht nach zumindest, gerade nicht so, wie der VGH behauptet.
Auf einen Versagungsbescheid kam es dem BVerfG offenkundig ebensowenig an wie auf die Bindung an die in § 4 Abs. 1 RBStV genannten "sozialen" Befreiungstatbestände. (Davon weiß das BVerfG aber anscheinend selbst nichts mehr...)
2. Der Kommentar von Rundfunkfunktionären (Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht) kann nicht als Grundlage für rechtliche Entscheidungen dienen. Die Rundfunkfunktionäre legen hier die selbst eingebrachten Gesetze in für sie günstiger Weise aus. Es fehlt an einem objektiven Kommentar. Eigentlich sollte man mal darüber nachdenken, ob die Verwendung dieses Werkes als Grundlage für gerichtliche Entscheidungen nicht grundsätzlich rechtsfehlerhaft ist.
Vgl.: Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht - Die juristische Welt der Kommentare
https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,20125.0.html
3. Ob der Landesgesetzgeber § 4 Abs. 6 RBStV tatsächlich so ausgelegt haben will, wie der VGH dies in Rn. 24 des o.g. Beschlusses behauptet, ist fragwürdig. Hier würde es sich wohl anbieten, mal direkt bei den entsprechenden Politikern und Gremien nachzufragen.
Die (gleichlautenden) Begründungen zu § 4 Abs. 6 RBStV lautet:
--- Zitat ---Absatz 6 sieht weiterhin eine Beitragsbefreiung in besonderen Härtefällen vor. Abweichend zur bisherigen Regelung der Rundfunkgebührenbefreiung in besonderen Härtefällen in § 6 Abs. 3 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages handelt es sich bei der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Rundfunkbeitragsbefreiung um eine gebundene Entscheidung der zuständigen Landesrundfunkanstalt.1 Absatz 6 weicht auch insoweit von der Regelung des § 6 Abs. 3 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages ab, als aus Gründen der Rechtsklarheit ausdrücklich geregelt wird, dass eine Rundfunkbeitragsbefreiung das Stellen eines „gesonderten“ Antrages voraussetzt. Der Begriff des besonderen Härtefalles wird nicht definiert.2 Ein besonderer Härtefall liegt insbesondere vor, wenn, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 vorliegen, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann.3 Mit der Regelung des Satzes 2 ist ein besonderer Härtefall insbesondere auch in dem Fall gegeben, dass eine Sozialleistung nach Absatz 1 Nr. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. Für den Nachweis ist die Vorlage eines ablehnenden Bescheids dieses Inhalts erforderlich. Darüber hinaus ist ein besonderer Härtefall unter anderem dann anzunehmen, wenn es einem Rundfunkbeitragsschuldner objektiv unmöglich wäre, zumindest über einen Übertragungsweg (Terrestrik, Kabel, Satellit, Internet oder Mobilfunk) Rundfunk zu empfangen. Satz 3 sieht schließlich vor, dass die Regelung in Absatz 4 auf das Verfahren zur Bescheidung von Anträgen auf Rundfunkbeitragsbefreiung nach Absatz 6 entsprechende Anwendung findet.
(Bay. LT, Drucksache 16/7001, S. 16; Hervorhebung von mir)
--- Ende Zitat ---
1Hier wird eindeutig gesagt, daß die zuständige Landesrundfunkanstalt eine Entscheidung über den Befreiungsantrag zu treffen hat, nicht der nicht-rechtsfähige Beitragsservice.
2Sehr wichtig! "Der Begriff des besonderen Härtefalls wird nicht definiert." D.h. es läßt sich nicht ohne Weiteres feststellen, ob es sich in einem besonderen Fall um einen besonderen Härtefall handelt oder nicht. Dies muß dann aber überprüft werden. Zu behaupten, ein Härtefall liege nicht vor, weil die in § 4 Abs. 1 RBStV geforderten Befreiungstatsbestände nicht erfüllt wären, läuft diesem Satz zuwider.
3Der Gesetzgeber wollte also offensichtlich die Möglichkeit geben, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachzuweisen. Wie weist man so etwas nach? Zum Beispiel, indem man einen ablehnenden Sozialhilfebescheid vorliegt, wie im nachfolgenden Satz gefordert. Damit sind die Möglichkeiten des Nachweises der vergleichbaren Bedürftigkeit aber nicht ausgeschöpft - darum auch das Wörtchen "insbesondere".
Fragen wir uns doch mal, woran sich eine Bedürftigkeit orientieren könnte.
Art. 1 Abs. 1 GG besagt, daß die Würde des Menschen unantastbar ist. Das BVerfG hat immer wieder entschieden, daß zu dieser Würde auch der Erhalt der Existenz zählt, sprich die Gewährung der finanziellen Existenzgrundlage entweder aktiv durch Gewähren staatlicher Hilfe oder passiv durch das steuerfreie Existenzminimum. Damit wäre folgerichtig die vergleichbare Bedürftigkeit ohne Weiteres durch Einkommenssteuerbescheid oder Rentenbescheid oder Wohngeldbescheid (nicht in allen Fällen) nachweisbar. Man läßt es nur von Seiten der LRA/Beitragsservice nicht zu und die VG springen den LRA bei, indem sie davon auch nichts wissen wollen.
Damit stellt sich aber für uns die Frage, ob hier die Gerichte absichtlich und schamlos den Willen des Gesetzgebers zu Ungusten eines großen Teils der Bevölkerung falsch, da zu eng, auslegen, obwohl die Landtags-Begründung gerade dies nicht hergibt.
Sollte der Gesetzgeber § 4 Abs. 6 RBStV tatsächlich so ausgelegt sehen wollen, wie die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die LRA/Beitragsservice das tun, dann stellt sich die Frage, ob die Gesetzgeber (unabsichtlich, da nicht nachgedacht) ein verfassungswidriges Gesetz erlassen haben, da es einen Eingriff in die menschenwürdige Existenz (Art. 1 Abs. 1 GG) erlaubt.
Mr. Orange:
--- Zitat von: Philosoph am 01. Februar 2019, 13:51 ---Sollte der Gesetzgeber § 4 Abs. 6 RBStV tatsächlich so ausgelegt sehen wollen, wie die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die LRA/Beitragsservice das tun, dann stellt sich die Frage, ob die Gesetzgeber (unabsichtlich, da nicht nachgedacht) ein verfassungswidriges Gesetz erlassen haben, da es einen Eingriff in die menschenwürdige Existenz (Art. 1 Abs. 1 GG) erlaubt.
--- Ende Zitat ---
Die Frage stellt sich gar nicht, weil die LRA völlig frei in der Frage sind, ob befreit wird oder nicht.
Ein Rechtsanspruch auf Befreiung gibt es nicht.
Das ist einfach nicht vorgesehen, damit hat sich das
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