"Beitragsservice" (vormals GEZ) > Widerspruchs-/Klagebegründungen
Worin erschöpft sich die "Finanzierungsgarantie" d. ö.r. Rundfunks?
Knax:
Nach alter Rechtslage konnte man selbst entscheiden, ob man Rundfunk konsumieren wollte oder nicht. Dementsprechend hat man die Rundfunkgebühr bezahlt oder nicht. Auch konnte man in dieser Situation darüber entscheiden, ob man selbst sich für die jeweils gegenwärtige Höhe der Rundfunkgebühr, die im Zeitablauf stets gestiegen ist, den Rundfunk leisten will oder nicht.
Die gegenwärtige Rechtslage ist nicht lediglich eine schwere Verletzung des marktwirtschaftlichen Grundsatzes der Konsumentensouveränität. Die gegenwärtige Rechtslage wirft die Frage auf, in welcher (absoluten) Höhe man den Endverbraucher (Wohnungsinhaber bzw. Betriebsstätteninhaber) mit der Abgabe überhaupt belasten darf? Diese Frage stellte sich nach alter Rechtslage nicht, weil es jedem frei stand, Rundfunk zu konsumieren oder nicht und somit die Rundfunkgebühr zu zahlen oder nicht.
Insoweit kollidieren die Interessen zweier Grundrechtsträger, der Rundfunk auf der einen Seite und der Bürger auf der anderen Seite, unmittelbar miteinander.
cook:
Das ist genau die Büchse der Pandora, die der Rundfunkbeitrag geöffnet hat. Das war sehr unklug vom ÖRR. Sollte das BVerfG den Rundfunkbeitrag bestätigen, dann wäre es in einer zweiten Linie gezwungen, über die Höhe zu entscheiden.
--- Zitat ---Rn 83
Das Kriterium der Erforderlichkeit erlaubt einen angemessenen Ausgleich zwischen der Programmautonomie der Rundfunkanstalten und den vom Gesetzgeber wahrzunehmenden finanziellen Interessen der Rundfunkempfänger. Einerseits begrenzt es den öffentlichrechtlichen Rundfunk nicht auf ein extern festgesetztes Mindestangebot, sondern trägt seiner grundrechtlich gesicherten Freiheit bei der Funktionserfüllung Rechnung. Andererseits verhindert es aber, daß jede den Rundfunkanstalten wünschbar erscheinende Programmausweitung eine Pflicht des Staates zur Einnahmenerhöhung nach sich zieht. Es ist auch hinreichend anpassungsfähig.
--- Ende Zitat ---
Wie wir sehen, verhindert das Kriterium der Erforderlichkeit eben nicht, dass der ÖRR zum Selbstbedienungsladen verkommen ist. Das liegt an dem Freibrief, den das BVerfG dem ÖRR in den nachfolgenden Randnummern erteilt. Das Ergebnis der Überlegungen setzt eben keine Deckelung auf das, was eigentlich erforderlich ist. Es gibt noch kein Kriterium, wonach es ab einem Punkt zu viel wäre. Da sich die Ausgaben der LRAs exponential entwickeln, wird auch der Beitrag schon sehr bald ins Utopische ansteigen müssen.
Wenn das BVerfG klug ist (ich zweifle daran), dann wird es einen Ausweg für die Nicht-Empfänger finden. Ansonsten können sich die Gerichte bereits jetzt überlegen, was eigentlich alles genau zum Funktionsumfang des ÖRR gehört:
- Spielfilmproduktion, Sport, Pensionen, Intendantengehälter, wieviele Programme genau, Internetauftritte, Sponsoring, ... ?
Denn die tatsächlichen Kosten des ÖRR spielen im Ergebnis keine Rolle, sondern nur das, was nötig ist.
Rn. 86
--- Zitat ---Von Verfassungs wegen kommt es allein darauf an, ob die Höhe der Rundfunkgebühr und das Maß der gesetzlich zugelassenen Werbung zusammen mit den weiteren Einnahmequellen der Rundfunkanstalten eine funktionsgerechte Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks ermöglichen.
--- Ende Zitat ---
Da der deutsche ÖRR im internationalen Kaufkraft-Vergleich der pro Kopf weitaus teuerste der Welt ist, stellt sich die Frage der Erforderlichkeit sehr dringend. Wer gezwungen ist, einen Beitrag zu leisten, muss auch das Recht haben, die Höhe des Beitrags prüfen zu lassen. Die Kostendeckungs-Prüfung der KEF reicht dafür nicht.
Im Übrigen wird auch immer wieder deutlich, dass der Staat verpflichtet ist, für die Finanzierung zu sorgen. Das heißt gerade nicht, dass der ÖRR staatliche Befugnisse zum Beitreiben von Zahlungen haben muss / darf.
drboe:
--- Zitat von: volkuhl am 07. Januar 2017, 12:05 ---Die Gebührenfinanzierung wurde seit 2013 durch eine Beitragsfinanzierung abgelöst.
Der Unterschied zwischen Gebühr und Beitrag ist essentiell:
Bei Gebühren ist die tatsächliche Nutzung erforderlich.
Bei Beiträgen ist nur die Möglichkeit der Nutzung erforderlich.
Das BVerfG hat aus gutem Grund eben nicht formuliert "Die dem öffentlichrechtlichen Rundfunk gemäße Art der Finanzierung ist vielmehr die Gebühren- oder Beitragsfinanzierung.", sondern setzt implizit die Nutzung bei den Zahlungspflichtigen voraus.
--- Ende Zitat ---
Das stimmt so nicht. Die ehemalige "Gebühr" hatte nämlich Beitragscharakter, weil es eben auf eine tatsächliche Nutzung nicht ankam. Etwas anderes hat das BVerfG mit Sicherheit nicht festgestellt. Die tatsächliche Nutzung des ÖRR liesse sich auch gar nicht ermitteln. Anknüpfungspunkt der "Gebühr" war aber der Besitz eines zum Rundfunkempfang geeigneten Gerätes, was diese Abgabe quasi vor dem Steuerverdacht "rettete". Der jetzige Bezug, die "Inhaberschaft einer Wohnung od. eines Geschäfts", ermöglicht aber gerade nicht die Nutzung der Angebots der ÖR-Anstalten. Ich habe in leeren Wohnungen noch nie eine Sendung der ÖR-Anbieter oder anderer gehört oder gesehen.
M. Boettcher
Knax:
--- Zitat von: drboe am 08. Januar 2017, 18:32 ---
--- Zitat von: volkuhl am 07. Januar 2017, 12:05 ---Die Gebührenfinanzierung wurde seit 2013 durch eine Beitragsfinanzierung abgelöst.
Der Unterschied zwischen Gebühr und Beitrag ist essentiell:
Bei Gebühren ist die tatsächliche Nutzung erforderlich.
Bei Beiträgen ist nur die Möglichkeit der Nutzung erforderlich.
Das BVerfG hat aus gutem Grund eben nicht formuliert "Die dem öffentlichrechtlichen Rundfunk gemäße Art der Finanzierung ist vielmehr die Gebühren- oder Beitragsfinanzierung.", sondern setzt implizit die Nutzung bei den Zahlungspflichtigen voraus.
--- Ende Zitat ---
Das stimmt so nicht. Die ehemalige "Gebühr" hatte nämlich Beitragscharakter, weil es eben auf eine tatsächliche Nutzung nicht ankam. Etwas anderes hat das BVerfG mit Sicherheit nicht festgestellt. Die tatsächliche Nutzung des ÖRR liesse sich auch gar nicht ermitteln. Anknüpfungspunkt der "Gebühr" war aber der Besitz eines zum Rundfunkempfang geeigneten Gerätes, was diese Abgabe quasi vor dem Steuerverdacht "rettete". Der jetzige Bezug, die "Inhaberschaft einer Wohnung od. eines Geschäfts", ermöglicht aber gerade nicht die Nutzung der Angebots der ÖR-Anstalten. Ich habe in leeren Wohnungen noch nie eine Sendung der ÖR-Anbieter oder anderer gehört oder gesehen.
--- Ende Zitat ---
Ich denke, dass die Formulierung aus dem Sinnzusammenhang verstanden werden muss. Dem Gericht geht es meiner Ansicht nach an dieser Stelle darum, zu sagen, dass die Einnahmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht primär, sondern nur sekundär aus Werbeeinaahmen bestehen dürfen. Würden die Einnahmen nämlich primär aus Werbeeinnahmen bestehen, wäre die inhaltliche Programmgestaltung von den werbenden Unternehmen beeinflussbar, da ein Abhängigkeitsverhältnis bestehen würde. Um gerade ein solches Abhängigkeitsverhältnis zu verhindern, stellt das Gericht fest, dass die Gebührenfinanzierung -an dieser Stelle hätte man auch "Abgabenfinanzierung" schreiben können- die gemäße (d.h. angemessene) Finanzierungsmethode darstellt.
An dieser Stelle wird die Parallele zu anderen öffentlichen Haushalten deutlich: Nach dem Steuerstaatsprinzip sind öffentliche Haushalte vorrangig durch Steuern zu finanzieren. Warum? Um Abhängigkeitsverhältnisse zu verhindern. Gewinnt ein Financier zu große Macht über die Finanzierung eines öffentlichen Haushalts, können Entscheidungen nicht mehr unbeeinflusst getroffen werden. Damit hat der Rundfunkbeitrag im Haushalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Funktion, die Steuern für die öffentlichen Haushalte des Gebietkörperschaften haben. Mit anderen Worten: Der Rundfunkbeitrag hat insofern die rechtliche Qualität einer Steuer.
drboe:
--- Zitat von: Knax am 08. Januar 2017, 21:42 ---
--- Zitat von: drboe am 08. Januar 2017, 18:32 ---Das stimmt so nicht ....
--- Ende Zitat ---
Ich denke, dass die Formulierung aus dem Sinnzusammenhang verstanden werden muss. Dem Gericht geht es meiner Ansicht nach an dieser Stelle darum, zu sagen, dass die Einnahmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht primär, sondern nur sekundär aus Werbeeinaahmen bestehen dürfen. Würden die Einnahmen nämlich primär aus Werbeeinnahmen bestehen, wäre die inhaltliche Programmgestaltung von den werbenden Unternehmen beeinflussbar, da ein Abhängigkeitsverhältnis bestehen würde. Um gerade ein solches Abhängigkeitsverhältnis zu verhindern, stellt das Gericht fest, dass die Gebührenfinanzierung -an dieser Stelle hätte man auch "Abgabenfinanzierung" schreiben können- die gemäße (d.h. angemessene) Finanzierungsmethode darstellt.
...
--- Ende Zitat ---
Das sehe ich ebenso und dieser Tenor der Entscheidung wurde von dir oben bereits korrekt ausgeführt. User 'volkuhl' hat in seinem Beitrag m. E. aber vor allem den Unterschied zwischen einer Gebühr (= Gegenwert für eine konkrete individuelle Leistung) und Beitrag (Entgelt für die Möglichkeit zur Nutzung eines Angebots) herausstellen wollen. Das führt m. E. allgemein in die Irre und vom Kontext der BVerfG Entscheidung weg. Hätte man es mit dem "Beitrag" beim Anknüpfungspunkt 'Gerät' belassen, hätte ich nicht geklagt.
Ich bin ziemlich sicher, dass unterschiedliche Arten der Finanzierung der ÖRR zulässig sind, d. h. es ist sowohl eine Finanzierung mittels einer Gebühr (z. B. als Erlaubnis zum Betrieb eines Empfangsgerätes) oder eines Beitrags möglich ist, solange bei letzterem der Anknüpfungspunkt sachgerecht ist, was Wohnung/Betrieb definitiv nicht sind. Eine überwiegende oder vollständige Werbefinanzierung wäre meiner Meinung nach mit dem Prinzipien eines ÖRR nicht kompatibel, eine Mischfinanzierung mit Beschränkungen zur Werbung aber schon. Das sieht das BVerfG offenbar ebenso. Was aber nicht unbedingt dazu führen wird, dass die hoffentlich in diesem Jahr fällige Entscheidung in Sachen "Beitrag" befriedigend ausfällt. Ob die derzeitigen Beschränkungen sinnvoll etc. sind, kann man diskutieren. Ebenso nat. ob ein konsequenter Verzicht auf Werbung nicht besser wäre Unabhängigkeit zu sichern. Erkennbar ist politische Unabhängigkeit Fiktion, die Vermutung einer Abhängigkeit von großen Werbetreibenden immerhin nicht abwegig.
M. Boettcher
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