Rn 70
2. Bei der Ausgestaltung dieser Ordnung genießt der Gesetzgeber weitgehende Freiheit. Wenn er sich im Interesse der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung aber entschließt, die Rundfunkveranstaltung ganz oder zum Teil öffentlichrechtlichen Anstalten anzuvertrauen, dann ist er von Verfassungs wegen nicht nur gehalten, deren grundrechtliche Freiheit zu respektieren. Er hat vielmehr auch die Pflicht, ihnen die zur Erfüllung der Aufgabe erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Andernfalls könnten sie den von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geforderten Dienst nicht leisten. Dieser Pflicht des Gesetzgebers, die Finanzierung der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten zu gewährleisten, entspricht ein ebenfalls aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgendes Recht der Anstalten, die zur Erfüllung ihres Auftrags erforderlichen Mittel zu erhalten.
Rn 71
Wie der Gesetzgeber diese verfassungsrechtliche Pflicht erfüllt, ist grundsätzlich Sache seiner Entscheidung. Jedoch hat er dabei die Funktion des öffentlichrechtlichen Rundfunks zu beachten. Die Finanzierung muß ihr nach Art und Umfang entsprechen. Auch in der Literatur wird allgemein angenommen, daß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG eine funktionsgerechte Finanzierung der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten erfordert.
[...]
Rn 76
Das bedeutet freilich nicht, daß daneben andere Finanzierungsquellen, namentlich Werbeeinnahmen, untersagt wären, solange sie die Gebührenfinanzierung nicht in den Hintergrund drängen. [...]
Dieser letzte Satz besagt, dass der Steuerstaatsgrundsatz auch im Rundfunkrecht gilt. Der Steuerstaatsgrundsatz besagt, dass
das vorrangige Finanzierungsmittel öffentlicher Haushalte Steuern sind. Wenn das vorrangige Finanzierungsmittel des Haushalts des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Rundfunkbeitrag ist, so nimmt der Rundfunkbeitrag die rechtliche Qualität einer Steuer an. Folge daraus ist, dass sich der Rundfunkbeitrag finanzverfassungsrechtlich eben nicht deutlich von einer Steuer unterscheidet, ja für den Haushalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seinem Sinn gemäß gar die Funktion einer Steuer für einen öffentlichen Haushalt erfüllt, vorrangiges Finanzierungsmittel zu sein.
Im übrigen erschließt sich aus diesem Satz und aus dem weiteren Sinnzusammenhang, in welchem er steht, eindeutig, dass die Rundfunkabgabe
zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dient. Sie hat also
Finanzierungsfunktion, nicht jedoch Entgeltfunktion.
Aus diesem Grund geht die Argumentation der Gerichte fehl, der Rundfunkbeitrag sei eine Gegenleistung für das Programmangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diese Argumentation dient erkennbar allein der Verteidigung eines Zustandes, der mit elementaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht zu rechtfertigen ist. Aus dem Text ergibt sich, dass der Gesetzgeber
zur funktionsgerechten Finanzausstattung verpflichtet ist, damit die dienende Freiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verwirklicht werden kann.
Damit kann vom Rundfunkbeitrag als einer Gegenleistung für einen individuellen Vorteil nicht die Rede sein.Der verfassungsrechtliche Leitsatz
"Bezugsgröße für die Bestimmung des zur Aufgabenerfüllung Erforderlichen ist nicht jedes einzelne Programm, sondern das gesamte Programmangebot einer öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalt." wird absichtlich falsch umgedeutet in:
"Der Rundfunkbeitrag ist die Gegenleistung für das Programmangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks."Mit anderen Worten und dem Sinn gemäß korrekt formuliert, lautet dieser Leitsatz nämlich einfach: "Der Umfang der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks richtet sich danach, was zur Erfüllung seiner Aufgabe erforderlich ist." Dies geht dann schließlich auch unmissverständlich aus folgendem Satz hervor:
Rn 78
3. Der Umfang der finanziellen Gewährleistungspflicht des Staates für die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten wird ebenfalls von ihrer Funktion umgrenzt. [...]
Dem Staat obliegt die finanzielle Gewährleistungspflicht für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
An dieser Stelle muss wiederum die Frage gestellt werden: Wenn dem Staat die finanzielle Gewährleistungspflicht für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten obliegt, mit welcher Argumentation wird dann der Gegenleistungscharakter des Rundfunkbeitrags gerechtfertigt?Rn 81
Die Bestimmung dessen, was zur Funktionserfüllung erforderlich ist, kann nicht den Rundfunkanstalten allein obliegen. Sie bieten keine hinreichende Gewähr dafür, daß sie sich bei der Anforderung der vor allem von den Empfängern aufzubringenden finanziellen Mittel im Rahmen des Funktionsnotwendigen halten. Rundfunkanstalten haben wie jede Institution ein Selbstbehauptungs- und Ausweitungsinteresse, das sich gegenüber der ihnen auferlegten Funktion verselbständigen kann. Das gilt erst recht unter den Bedingungen des Wettbewerbs mit privaten Veranstaltern, die sowohl in der Beschaffung ihrer Gelder als auch in der Gestaltung ihrer Programme freier sind.
Rn 82
Es kann aber auch nicht dem Gutdünken des Gesetzgebers überlassen werden zu bestimmen, welche Mittel er den Rundfunkanstalten zur Erfüllung ihrer Aufgabe bereitstellen will. Das verbietet der enge Zusammenhang zwischen Programmfreiheit und Finanzausstattung. Genösse der Gesetzgeber in finanzieller Hinsicht uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit, dann könnte er Verfassungsrecht, das einem unmittelbaren Verbot von Programmen entgegensteht, dadurch umgehen, daß er dasselbe Ergebnis mittelbar durch Entzug oder Beschränkung von Finanzierungsmöglichkeiten erreicht (vgl. BVerfGE 74, 297 [342]). Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten die Finanzierung derjenigen Programme zu ermöglichen ist, deren Veranstaltung ihren spezifischen Funktionen nicht nur entspricht, sondern auch zur Wahrnehmung dieser Funktionen erforderlich ist [vgl. BVerfGE 74, 297 [342]]."
Und genau dies ist der
Persilschein, den das Bundesverfassungsgericht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk erteilt, denn es stellt hiermit einen Grundsatz auf, der in praktischer Hinsicht nicht umsetzbar ist, weil dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk
aufgrund des Grundsatzes der Rundfunkfreiheit in die inhaltliche Programmgestaltung nicht reingeredet werden darf. Genau diese Rechtslage ist es, die
das Ausufern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ermöglicht. Mit anderen Worten gesagt: Der Gesetzgeber ist dazu verpflichtet, solche Programme zu finanzieren, die der Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsprechen. Und welche Programme dies sind, entscheidet der öffentlich-rechtliche Rundfunk aufgrund seines Grundrechts der Rundfunkfreiheit.
Im Ergebnis bestimmt der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit dann doch allein, was zu seiner Funktionserfüllung erforderlich ist. Gut, gell?Und es geht weiter:
Rn 84
4. Eine genaue Bestimmung dessen, was zur Wahrung der Funktion des öffentlichrechtlichen Rundfunk finanziell jeweils erforderlich ist, bereitet allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Die zur Entscheidung von Finanzfragen erstrebenswerte Quantifizierung läßt sich aus dem Erforderlichkeitskriterium nicht stringent ableiten. [...]
Das Bundesverfassungsgericht sagt hier:
"Was unter dem Grundversorgungsauftrag zu verstehen ist, das wissen wir auch nicht. Ist sowieso viel zu schwierig, das zu definieren." Damit fehlt die elementare Grundlage, um das Wirken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks klar einzugrenzen, mit anderen Worten: Es fehlen die Grenzen des Grundrechts auf Rundfunkfreiheit.
Kein Wunder, dass es inzwischen drei öffentlich-rechtliche Sendergruppen (ARD, ZDF, Deutschlandradio) gibt - und eben nicht lediglich zwei, wie es in der Diskussion um die Zusammenlegung von ARD und ZDF verkürzt dargestellt wurde.
Rn 86
[...] Von Verfassungs wegen kommt es allein darauf an, ob die Höhe der Rundfunkgebühr und das Maß der gesetzlich zugelassenen Werbung zusammen mit den weiteren Einnahmequellen der Rundfunkanstalten eine funktionsgerechte Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks ermöglichen. [...]
Die Rundfunkabgabe soll eine "funktionsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ermöglichen.
Deutlicher kann man den Finanzierungscharakter nicht mehr herausstellen. Für die Annahme, der Rundfunkbeitrag habe Entgeltcharakter, bleibt kein Raum mehr.